Gerade in frühen Melanomstadien sind Biomarker als Entscheidungshilfen dringend nötig, wenn es um die Frage nach dem Beginn einer adjuvanten Therapie oder dem Therapiestopp bei kompletter Remission geht. Die Zukunft könnte hier in der Bestimmung des Genexpressionsprofils und der zirkulierenden Tumor-DNA liegen.
Was wird beim Genexpressionsprofil (GEP) bestimmt?
Das derzeitige Sequenzierungs-Panel umfasst drei Mutationen: BRAF (40–45 % der Fälle), NRAS (20 %) und cKIT (sehr selten). Die drei sind therapieführend und schließen sich gegenseitig aus. Hat man die eine Mutation, hat man nicht die andere.
Wie funktioniert der Test?
Ein in Deutschland angebotener 11-Gene-Test zur Charakterisierung des Rezidivrisikos von Melanom-Primärtumoren basiert auf elf Kandidatengenen. Und das Interessante dabei ist: die Selektion der Gene beruht allein auf einem mathematischen Algorithmus, nicht auf wissenschaftlichen Aspekten. Aus Tausenden Genen werden quasi die herausgesucht, die am besten mit der Prognose korrelieren. Der Test aus den USA verwendet z. B. völlig andere Gene.
Wer führt den Test bei uns durch?
Momentan wird er, auch wegen der Anwendung in Studien, im Zentrallabor bei Prof. Dirschka in Wuppertal durchgeführt. Er könnte aber irgendwann dezentral ablaufen – mit der neuen Technik einer deutschen Firma, die anhand einer kleinen Gewebeprobe in einem CD-ähnlichen Chip alle möglichen Mutationen des Tumors ablesen kann. Prinzipiell wäre es dann möglich, spezielle Testkits für verschiedene Tumorentitäten bereitzustellen, was sensationell wäre.
Was sagt der deutsche Test aus?
Der Test ist so eingestellt, dass der Cut-off bei 0 liegt: oberhalb von 0 ist das Risiko zu versterben mindestens 20 % (High Score), unterhalb von 0 unter 20 % (Low Score). Untersuchungen v. a. aus Tübingen haben gezeigt, dass der Test sogar besser mit der Prognose korreliert als die derzeitige AJCC-Klassifikation.
Worauf basiert die Grenze von 20 %?
Ab 20 % wird das Risiko als so relevant angesehen, um von einem Hochrisiko zu sprechen und somit eine adjuvante Therapie als prophylaktische Maßnahme einzuleiten. Und genau damit befasst sich auch die derzeit unter Leitung von Prof. Schadendorf durchgeführte, Biomarker-getriebene NivoMela-Studie. Da gibt es eine Kontrollgruppe, Low Score, die ausschließlich nachbeobachtet wird, und eine High-Score-Gruppe, in der 2 : 1 randomisiert wird, d. h. zwei von drei erhalten adjuvant Nivolumab und einer wird ausschließlich nachbeobachtet. Und im Idealfall ist es wirklich so, dass der Score zwischen niedrigem und hohem Rezidivrisiko bzw. dem Risiko, am Melanom zu versterben, diskriminieren kann – und das unabhängig von den klassischen Kriterien der Tumordicke, das ist das alles Entscheidende. Denn wäre beides gleich gut, könnten wir auch die Tumordicke nehmen, die etabliert ist.
Was könnten die Studienergebnisse für die Zukunft bedeuten?
Die Studie ist seit September 2022 voll rekrutiert, der primäre Endpunkt ist das rezidivfreie Überleben nach 3 und 5 Jahren. Ich denke also, dass die ersten Ergebnisse frühestens Ende 2023 vorliegen werden. Zeigt sich dann, dass der Test wirklich so gut zwischen hohem und niedrigem Risiko diskriminieren kann, wäre das einerseits fantastisch, stellt uns aber vor ein anderes Problem: für die Stadien IIB und C haben wir jetzt zwar die Zulassung für Pembrolizumab, aber was machen wir mit Patienten im Stadium IIA oder IB, die einen hohen Score im GEP-Test haben? Bei uns ist der Off-Label-Use bei Weitem nicht so einfach durchzuführen wie in den USA. Das wird noch ein weiter Weg werden.
Gäbe es dann nicht auch den umgekehrten Fall?
Genau. Im Umkehrschluss müssten wir natürlich dann auch die Nerven haben, einen Patienten mit einem 4 mm dicken Melanom mit Ulzeration und einer Wahrscheinlichkeit zu versterben von 40 %, der zulassungskonform bisher immer behandelt wurde, im Falle eines negativen Scores im Genexpressionstest nicht zu behandeln. Aber: wieviel Prozent Fehlerwahrscheinlichkeit beim Test können wir uns eigentlich erlauben? Wie vielen Patienten würde so eine zugelassene Therapie durch einen falsch negativen Test vorenthalten werden? Die Trennschärfe liegt beim GEP-Test ja nicht bei 100 %, dann wäre der Fall klar. Sicher, Übertherapie soll vermieden werden – die PD-1-Antikörper rufen ja auch nicht unerhebliche Nebenwirkungen hervor. Und auch die Kosten bei bis zu 70 % Übertherapie darf man nicht vergessen. Die Untertherapie ist meiner Meinung nach aber das größere Risiko.
Gibt es Möglichkeiten, die Trennschärfe zu erhöhen, evtl. durch einen zusätzlichen Test?
Wir haben neben dem Genexpressionsprofil tatsächlich noch einen zweiten, sehr interessanten Biomarker: die zirkulierende Tumor-DNA (ctDNA). Die Idee dahinter ist, dass derjenige mit Mutation – man guckt auch hier wieder nach BRAF, NRAS und cKIT –, der keine ctDNA aufweist, eine gute Prognose hat. Findet man dagegen ctDNA, würde man von einer schlechten Prognose ausgehen, was eine Indikation für eine adjuvante Therapie darstellt. Natürlich könnte die ctDNA auch für das Therapiemonitoring verwendet werden. Würde sie unter Therapie negativ, könnte der Patient unter Annahme einer kompletten Remission die Therapie absetzen. Prof. Gebhardt in Hamburg forscht viel zu dem Thema und in England wurde im November 2021 die randomisierte, kontrollierte Interventionsstudie „Detection“ gestartet, die in einem prospektiven Ansatz bei 1 050 Melanompatienten in den Stadien IIB oder C untersucht, ob eine frühe Nivolumabtherapie bei Patienten mit positivem ctDNA-Befund der Standardbehandlung mit Nachbeobachtung und Therapie im Falle eines Rezidivs überlegen ist. Primärer Endpunkt ist das Gesamtüberleben nach 84 Monaten. Es bleibt spannend!
Der Experte
Prof. Dr. med. Axel Hauschild
Leiter der dermatoonkologischen Arbeitsgruppe und Professor der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
24105 Kiel
ahauschild@dermatology.uni-kiel.de
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