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Persönliche Skills

Außergewöhnliche Situationen

Der richtige Umgang mit aggressiven Patientinnen

Theresia Wölker

Patientinnen sind in der Praxis meistens höflich und kooperativ. Manche können aber durchaus auch übellaunig, zänkisch und streitlustig sein. Was dann? Wir geben Tipps, wie Sie mit aggressiven Menschen (und sich selbst) im Praxis-Alltag besser umgehen.

Die Aggression ist ein biologisch tief verankertes Verhaltensmuster – nicht nur beim Menschen. Sie ist eine der Grundlagen unserer Schaffenskraft. Eine grundsätzliche Blockade der Aggression macht das menschliche Leben unmöglich. Erst wenn die eingesetzte Kraft zerstören soll, wird Aggression bedenklich.


Die Typologie der Aggression

Spezifische Situationen oder Reize lösen Aggressionen aus. Vorwiegend sind es negative Gefühle, die sie hervorrufen, beispielsweise Frustration, Schmerz, Furcht oder Hunger. Gerade der letzte Aspekt wird oft in der Privatpraxis unterschätzt. Vergessen Sie nie, dass Hunger und Durst Menschen nicht nur reizbar, sondern unberechenbar machen können. Denn gerade dann, wenn Grund- oder Basisbedürfnisse des Menschen keine Beachtung finden, können sich relativ rasch aggressive Verhaltensmuster zeigen. Hier helfen proaktive Überlegungen, die in der Privatpraxis selbstverständlich sein sollten, z. B. das Angebot von Erfrischungsgetränken oder aromatischen Tees, die als sympathisches Willkommens-Ritual und auch in kritischen Gesprächen mithelfen, unnötige Spannungen abzubauen. Ob und wie Aggressivität im Verhalten zum Ausdruck kommt, liegt natürlich auch an der jeweiligen Persönlichkeitsstruktur, den sozialen Normen und an den erlernten Verhaltensmustern. Die von dem Neurobiologen Gerhard Roth entwickelte Typologie geht von drei Verhaltensmustern aus:

• Die erste Gruppe hat gelernt, dass Gewalt eine Erfolgsstrategie sein kann. Das können z. B. Patientinnen sein, die ziemlich rasch lautstark werden und dann energisch „ihr Recht“ einfordern.

• Die zweite Gruppe fühlt sich schnell bedroht oder abgelehnt. Diese Menschen sehen sich ihren spontanen Empfindungen wie Ärger oder Angst ausgeliefert und können ihre Impulse nur schwer kontrollieren. Dazu zählt auch der erlebte Kontrollverlust – so wie ihn während der Corona-Pandemie viele Menschen empfinden. Deshalb bieten Verschwörungstheorien für manche Patientinnen auch eine (vermeintliche) Zuflucht in Krisenzeiten. Sie liefern Schuldige und damit ein vermeintliches Gefühl von Kontrolle. In der Praxis erlebt man es nach den Worten der Psychologin Pia Lamberty von der Uni Mainz als „ein generalisiertes Misstrauen gegenüber allen, die als mächtig wahrgenommen werden.“ Dazu zählen dann auch Ärzte und das Gesundheitssystem insgesamt.

• Der dritte Typ ist der Psychopath. Er hat keine Kontrolle über seine Aggressionen, wird geplant gewalttätig und agiert dabei oft besonders brutal. Psychopathen empfinden kein Mitgefühl und bereuen ihre Taten nicht. Vor dieser Gruppe – die allerdings bei Männern häufiger vorkommt – muss sich die Praxis unbedingt schützen.


Mit der Ausnahmesituation umgehen

Aggressives Verhalten und verbale Attacken sind für Ärzte und Praxismitarbeiter immer belastend. Unschöne Situationen, sprachliche Angriffe, laute Vorwürfe und Drohungen kosten nicht nur Zeit, Aufmerksamkeit und Nerven, sie vergiften buchstäblich die Atmosphäre. Kommen eskalierende Situationen häufiger vor, senken sie zudem die Leistungsfähigkeit des Teams und hinterlassen auch bei anderen Patientinnen einen schlechten Eindruck. Das Schlimmste daran aber sind Angst, Ohnmacht und das Gefühl, der Ausnahmesituation hilflos ausgeliefert zu sein. Ist unser Gegenüber wütend, dann nehmen wir das mit allen Sinnen wahr: Wut (franz. „Rage“) ist die Bezeichnung für einen von starken motorischen und vegetativen Reaktionen begleiteten Affektzustand, der zu den instinkt- oder triebabhängigen Kampf- und/oder Abwehrreaktionen gezählt wird. Manche beben oder zittern vor Wut. Diesen Zustand anzusehen und zu ertragen, ist schon eine Herausforderung für jede MFA und jeden Arzt. Der Dichter Friedrich von Logau formulierte es so: „Wo Zorn nimmt Überhand, da steigt ein Nebel auf, der den Verstand verblend´ und wehrt ihm seinen Lauf.“ Das heißt: In einem solchen Zustand ist die Verstandesebene mehr oder weniger außer Kraft gesetzt. Deshalb ist es für die adäquate Reaktion umso wichtiger, NICHT auf der Verstandesebene anzusetzen, sondern sich selbst um eine gute Emotionsregulierung zu kümmern. Die wichtigste Regel: mit Gelassenheit, Besonnenheit und gleichzeitig Wachsamkeit die Zorneswelle abklingen lassen und sich auf die eigene innere Ruhe zu konzentrieren. Das ist schnell geschrieben, aber wie macht man das im Praxis-Alltag? Dabei helfen ein paar Grundsätze:

• Nicht sofort reagieren, also dem Handlungsimpuls nicht nachgeben. Das ist sehr schwierig und bedarf der regelmäßigen Übung. Vor allem das Praxisteam ist üblicherweise auf das anpackende TUN trainiert. In kritischen Situationen sind besonnenes Handeln und Innehalten aber entscheidend.

• Ruhe bewahren. Als Arzt haben Sie gelernt, in Notfallsituationen professionell zu handeln. Wenn es von Seiten der Patientinnen laut wird, sollte die andere Seite leiser werden. Einige Hinweise: Distanz vergrößern hilft fast immer. Der Schreibtisch im Behandlungszimmer oder die Rezeption sind dabei immer eine gute Schutzbarriere. Oder einfach einige Sekunden schweigen und innerlich bis zehn zählen. Dazu gehören auch eine aufrechte Körperhaltung und die Konzentration auf Beine und Füße. Eine gute Körperspannung hilft, mit den eigenen Gefühlen regulierend umzugehen und sich von der Erregung nicht anstecken zu lassen. Machen Sie sich klar, was „Toleranz“ heißt: Ich kann andere Menschen und ihre Ansichten am besten ertragen, wenn ich selbst einen festen Standpunkt und ein gutes Stehvermögen habe.

• Der „neutrale Beobachter“ hilft. Jeden Konflikt kennzeichnen drei Elemente: eine gegenseitige Zielbehinderung, eine Abhängigkeit der Beteiligten und eine Verletzung auf der Beziehungsebene. Wenn beide Seiten „Recht haben wollen“, wird es keinen vernünftigen Ausweg aus der Situation geben. Deeskalierende Strategien versuchen immer, einen Ausgleich zu schaffen und Möglichkeiten zu finden, wie man das Problem lösen kann. Oft helfen einfach nur kleine Zaubersätze: „Ich kann Ihren Ärger verstehen“ oder „Was können wir jetzt für Sie tun, damit wir zu einer Lösung kommen?“. Manchmal hilft eine Entschuldigung „Es tut mir leid, dass das passiert ist“.


Training zahlt sich aus

Für das Praxisteam ist es beim internen Präventivtraining hilfreich, sich vorzustellen, dass neben den beiden Gesprächspartnern ein unbeteiligter Dritter sozusagen als Zeuge der Szene dabei ist.

• ICH: Welche Gefühle habe ich? Wut? Angst? Habe ich die Kontrolle? Lasse ich mich provozieren? Was ist mein Ziel?

• DER ANDERE: Was will er erreichen? Was würde ich an seiner Stelle wollen? Welche Gefühle hat er?

• Der NEUTRALE BEOBACHTER: Wie würde ein heimlicher Beobachter die Lage und unser Verhalten sehen und beurteilen? Sind wir im „Kampf-modus“ oder versuchen wir eine Lösung zu finden? Verschwenden wir unsere Zeit oder verfolgen wir wirklich noch unsere Ziele?

Angesichts der allgemeinen Zunahme von aggressivem Verhalten in der Gesellschaft ist es eine unbedingt notwendige Präventionsstrategie, sich auf den Worst Case vorzubereiten – mit einem Schutz- und Notfall-Konzept. Neben Deeskalations- und Kommunikationsstrategien sollten Sie mit dem Praxisteam konkrete Verhaltensweisen und Codewörter für den Ernstfall abstimmen, schriftlich formulieren (QM) und regelmäßig einüben. Unsere eigene Konfliktkompetenz resultiert aus Erfahrungen in unserer biografischen Entwicklung und dem eigenen Erleben von Gewalt, Toleranz und sozialem Verhalten. Neben der Fähigkeit zur Selbstkontrolle und Selbstregulation ist Achtsamkeit für die eigenen Bedürfnisse eine Notwendigkeit, um dauerhaft für die Patientinnen da sein zu können – trotz bedauerlicher Ausnahmefälle.

Fazit

• Im Umgang mit Aggressionen bei Patientinnen auch immer die eigene Grundhaltung überprüfen: Was bedeutet für mich Empathie, Respekt, Toleranz, Fairness?

• Kritische Einschätzung von herausfordernden Situationen im Team üben: Wann wird es gefährlich? Was muss ich wann tun? Nicht alle eskalierende Situationen lassen sich gewaltfrei lösen.

• Klare Regeln, um Situa tionen wirklich unter Kontrolle zu bringen. Notfall-Knopf/Ruf installieren und Codewörter vereinbaren

• Deeskalation geht immer vor: Die „präventive ommunikation“ (z. B. unerschütterliche Höflichkeit, Contenance, empathische Fähigkeiten) muss man üben, üben, üben …

• Distanz einhalten und selbstsicher auftreten ind wichtig. Auch die eigene Körperhaltung und Mimik sollten Sie immer wieder überprüfen. Oft gibt es einen Unterschied zwischen Selbstbild und Fremdbild.

• Ein eiserner Grundsatz sollte lauten: Führen Sie niemals Machtkämpfe mit Patientinnen. Handeln Sie stattdessen nach dem Motto: Wir sind die Problem-Löser – zur Not auch im Umgang miteinander.

Die Autorin

Theresia Wölker
Beraterin und Fachreferentin im Gesundheitswesen
(Schwerpunkte QM, ­Kommunikation, Stressbewältigung und Resilienz)

www.theresia-woelker.de

Bildnachweis: privat

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