Die Anwendung von Antibiotika kann in Abhängigkeit von ihrem Wirkspektrum und dem Zeitpunkt ihrer Anwendung die Wirksamkeit verschiedener Chemotherapieregime beeinflussen. Durch rationale Anwendung von Antibiotika und die Stärkung der Darmflora lassen sich die Wirkverluste der onkologischen Therapie reduzieren.
Das Mikrobiom ist essenziell für die Entwicklung und Aufrechterhaltung einer großen Anzahl homöostatischer Prozesse im menschlichen Körper und trägt bedeutend zur Abwehr von Pathogenen bei. Chemotherapien beeinträchtigen die kommensale Darmmikrobiota und erzeugen möglicherweise neue antimikrobielle Resistenzen, indem sie die bakterielle SOS-Antwort aktivieren. Dann versuchen die Bakterien geschädigte DNA zu reparieren, wobei Fehler auftreten. Daraus können zahlreiche Mutationen resultieren, z. B. in Form von Antibiotikaresistenzen. Durch den Einsatz von Antibiotika wird das physiologische Gleichgewicht des Darmmikrobioms zusätzlich gestört. Antibiotika in Kombination mit Chemotherapien fördern somit die Überbesiedlung von Pathogenen und deren Migration aus dem Darmlumen über die Darmwand in die Blut- und Lymphbahnen (Abb. 1). Ein gesundes Immunsystem kann dieser bakteriellen Translokation entgegenwirken und die Ausbildung einer Sepsis effektiv verhindern. Bei immungeschwächten Patienten ist dieser Prozess jedoch gestört. Zudem steigt die Wahrscheinlichkeit für die Translokation von Pathogenen, sofern gleichzeitig eine gastrointestinale Mukositis vorliegt. Die Anwendung von Antibiotika zum Zeitpunkt einer Chemotherapie wurde mit einer schlechteren Prognose bei einer Vielzahl an unterschiedlichen Tumoren in Zusammenhang gebracht. So wurde z. B. bei lokal fortgeschrittenen Kopf- oder Hals-Tumoren und bei Ovarialkarzinomen ein verkürztes Gesamtüberleben nach der Gabe von Antibiotika beobachtet.
Reduzierte Antitumoreffekte von Cyclophosphamid und Platinsalzen aufgrund der Behandlung mit Antibiotika, die gegen grampositive Keime gerichtet sind, wurden bereits in Tiermodellen beobachtet. Diese Effekte stehen im Zusammenhang mit der Translokation grampositiver Bakterien während einer Mukositis (Abb. 1) mit daraus resultierender Bildung von zytotoxischen reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) und Tumorinvasion durch pathogene Th17-Zellen. In einer klinischen Studie mit 800 Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie, die Cyclophosphamid erhielten, sowie mit 122 Patienten mit rezidiviertem Lymphom, die Cisplatin erhielten, wurde der Einfluss von Antibiotika auf die Antitumortherapie untersucht. Patienten, die gegen grampositive Erreger gerichtete Antibiotika – wie Vancomycin, Teicoplanin, Linezolid oder Daptomycin – erhielten, zeigten ein signifikant geringeres Therapieansprechen als Patienten, die keine oder Antibiotika mit einem anderen Wirkspektrum erhielten. Das progressionsfreie und das Gesamtüberleben war in der Patientengruppe mit den relevanten Antibiotika signifikant verkürzt.
Bei Leberkrebspatienten, die vor oder während der Chemotherapie Breitspektrumantibiotika aus der Gruppe der Carbapeneme erhielten, wurde ein verkürztes progressionsfreies und Gesamtüberleben beobachtet. Die weitere Auswertung ergab, dass die Verwendung antianaerober Wirkstoffe wie Carbapeneme, Cefmetazol, Flomoxef, Cefpirom, Cefepim, Clindamycin und Pazufloxacin die Prognose von Patienten mit Leberkrebs verschlechtert, insbesondere wenn sie vor der Chemotherapie eingesetzt werden. Die Verkürzung des progressionsfreien und des Gesamtüberlebens war bereits bei Gabe von gegen Anaerobier gerichteten Medikamenten (z.B. Carbapeneme wie Imipenem, Meropenem, Ertapenem ) von weniger als acht Tagen erkennbar (Abb. 2).
Ob die Antibiose vor oder während einer Chemotherapie unterschiedlichen Einfluss hat, wurde in einer aktuell veröffentlichten Studie mit 1.446 Patienten mit fortgeschrittenem kolorektalen Karzinom untersucht. Es zeigte sich, dass die Anwendung von Antibiotika vor Beginn der 5-FU-basierten Chemotherapie das progressionsfreie und das Gesamtüberleben verkürzt. Dieser Zusammenhang wurde jedoch nicht beobachtet, sofern die Antibiose nach Beginn der Chemotherapie durchgeführt wurde. Demzufolge scheint die Beeinträchtigung der Darmflora durch Antibiotika größeren Einfluss auf die Prognose zu haben, als Tumoreffekte oder Interaktionen von Antibiotika mit Zytostatika während der Chemotherapie. Besonders bei der prophylaktischen Anwendung von Breitbandantibiotika ist daher Vorsicht geboten. Von Vorteil ist es, das antibiotisch wirksame Medikament auf die onkologische Therapie zugeschnitten sorgsam auszuwählen. Zudem ist auch der Zeitpunkt der Antibiotikagabe entscheidend: Antibiosen vor Beginn der Chemotherapie üben einen tendenziell negativeren Effekt auf den Therapieerfolg aus als chemotherapiebegleitende Antibiosen.
Bei übermäßigem Einsatz verlieren Antibiotika ihre Wirksamkeit. Eine Infektion mit antibiotikaresistenten Bakterien erschwert die Therapie, insbesondere bei Tumorpatienten. Zur Vermeidung der Resistenzbildung empfiehlt sich eine prophylaktische Antibiotikatherapie lediglich bei Patienten mit hohem Infektionsrisiko. Zudem verändern Antibiotika die Mikrobiomzusammensetzung. Das Ausmaß dieser Veränderung ist abhängig von der Antibiotikaklasse, ihrem antibiotischen Wirkspektrum (Ausrichtung gegen gramnegative, grampositive oder anaerobe Bakterien), der Dosis und der Anwendungsdauer. Ein Ansatz ist Antibiotic Stewardship, d.h., der rationale und verantwortungsvolle Einsatz von Antibiotika durch den Nachweis einer bakteriellen Infektion, durch die Wahl des adäquaten Antibiotikums, in adäquater Therapiedauer, Dosierung und Applikation. Antibiotika sollten besonders bei Krebspatienten sehr zielgerichtet eingesetzt werden, denn Infektionen können zu Verzögerungen von Chemotherapiezyklen und zu Dosisreduktionen – was den Therapieerfolg erheblich beeinträchtigt – oder gar zum Therapieabbruch führen.
Die gezielte Zufuhr von Darmmikroorganismen scheint prophylaktisch sinnvoll zu sein. In einer placebokontrollierten Studie mit 42 pädiatrischen Krebspatienten, die eine Chemotherapie erhielten, wurde der Effekt der enteralen Gabe des Probiotikums Bifidobacterium breve Stamm Yakult untersucht. In der Probiotikagruppe war die Häufigkeit von Fieber und die Anwendung intravenöser Antibiotika seltener im Vergleich zur Placebogruppe. Diese Studie liefert erste Hinweise, dass die Gabe von ausgewählten Probiotika klinische Vorteile für immungeschwächte Patienten bietet, indem ihr intestinales Milieu verbessert wird. Die Translokation von Bakterien über die Darmschleimhaut ist ein wichtiger Mechanismus in der Entwicklung der febrilen Neutropenie. Ein möglicher prophylaktischer Ansatz, um die Darmbesiedlung mit pathogenen Mikroorganismen und somit die febrile Neutropenie zu verhindern, ist die Gabe von Milchsäurebakterien. Die Sicherheit der Gabe von Enterococcus faecium M-74, verschiedenen Lactobacillen, wie z. B. Lactobacillus plantarum, wurde in kleineren Studien nachgewiesen. Die mikrobiellen Therapien waren in diesen Studien selbst bei Hochrisikopatienten, die eine hämatopoetische Stammzelltransplantation erhielten, sicher. Darüber hinaus können Probiotika in der Prophylaxe und Therapie von Chemotherapie-induzierter intestinaler Mukositis, einer Ursache für die febrile Neutropenie, von Vorteil sein. Zudem weisen Metaanalysen auf den Nutzen der Anwendung von Probiotika zur Prophylaxe von Antibiotika-assoziierten Diarrhoen und Clostridioides-difficile-Infektionen (CDI) hin.
Antibiotika-induzierte Dysbiosen können Diarrhoen auslösen. Das Risiko für solche Durchfälle steigt insbesondere nach der Verordnung von Breitspektrumantibiotika. Tumorpatienten haben ein besonders hohes Risiko für einen Clostridioides-difficile-Infekt. Clostridioides (bis August 2016 Clostridium) difficile (C. difficile), das ca. 15–20 % der Antibiotika-assoziierten Durchfallerkrankungen und mehr als 95 % der Fälle von pseudomembranöser Kolitis verursacht, ist ein grampositives, obligat anaerobes Stäbchenbakterium mit umweltresistenten Sporen. C. difficile ist ein Darmbakterium, das für gesunde Menschen harmlos ist. Bei der Überbesiedlung mit C. difficile können jedoch Toxine gebildet werden. Toxin A und B sind dabei die bedeutendsten krankheitsauslösenden Faktoren. Ob und in welchem Schweregrad eine Krankheitssymptomatik ausgebildet wird, ist abhängig vom Zustand des Patienten. Ein bedeutender Risikofaktor ist eine gestörte Darmflora, z. B. durch vorausgehende Antibiotikabehandlungen. Vergleichbar mit den Maßnahmen zur Prävention der Resistenzentwicklung empfiehlt sich der rationale Einsatz von Antibiotika zur Vermeidung von CDI. In der Therapie der CDI sollte, wenn möglich, die Therapie mit den CDI-auslösenden Antibiotika so schnell wie möglich beendet werden. Eine Krankheitsepisode mit diesem Erreger kann mit den Antibiotika Vancomycin, Fidaxomicin oder Metronidazol behandelt werden. Bei schweren Verläufen können Vancomycin oder Fidaxomicin eingesetzt werden. Eine chirurgische Therapie ist bei einer Darmperforation und schweren therapierefraktären Verläufen mit einem toxischen Megakolon oder einem Ileus notwendig. Ungefähr ein Viertel der CDI-Patienten erleidet innerhalb kurzer Zeit einen Rückfall. Multiple Rezidive werden mit Fidaxomicin oder Vancomycin therapiert.
Zur Sekundärprophylaxe ist eine Stuhltransplantation (Fecal microbiota transfer, FMT) möglich, die das Auftreten eines erneuten Rezidivs in ca. 80 % nach einer einmaligen und in ca. 90 % nach mehrmaligen Applikationen verhindern kann. Ihr vorteilhafter Effekt beruht vermutlich auf der Wiederherstellung der Diversität und der Homöostase des Darmmikrobioms. Zudem kann eine einmalige Infusion des humanen monoklonalen Antikörpers Bezlotoxumab zur Vorbeugung von wiederkehrenden CDI verwendet werden. Der Antikörper bindet an das C.-difficile-Toxin-B und neutralisiert es. Begleitend zur antibakteriellen Therapie gegen eine CDI kann die Rezidivrate durch Bezlotoxumab signifikant gesenkt werden.
Die Autorin
Dr. phil. nat. Miriam Neuenfeldt
Wissenschaftliche
Autorin & Referentin
18439 Stralsund
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