Neben der Tumorerkrankung führt die onkologische Therapie in vielen Fällen zur beeinträchtigten Darmgesundheit. Die Regulation der Darmflora mittels mikrobiologischer Therapie – auch Symbioselenkung oder Darmsanierung genannt – kann eine hilfreiche Ergänzung einer onkologischen Behandlung sein.[1,2]
Zahlreiche Studien konnten Zusammenhänge zwischen klinischen Krankheitsbildern und einem Ungleichgewicht in der Zusammensetzung des Mikrobioms, der sogenannten Dysbiose, nachweisen. In diesem Zustand können sich pathogene Keime verstärkt vermehren. Nimmt die Artenvielfalt im Darm ab, resultiert aus dem verarmten Mikrobiom eine erhöhte Infektanfälligkeit, ein geschwächtes Immunsystem und ein erhöhtes Krebsrisiko. Zytostatika, Antibiotika, Kortikosteroide oder eine Strahlentherapie können das Darmmikrobiom zusätzlich beeinträchtigen. Dies schwächt das darmassoziierte Immunsystem und verlangsamt möglicherweise den Heilungsprozess. Darüber hinaus beeinflusst die Dysbiose den Erfolg onkologischer Therapien.[1–5] Primäre Ziele der mikrobiologischen Therapie sind daher die Modulation des Immunsystems sowie der Darmmikrobiotika (Abb. 1). Die Darmsanierung soll zudem die Wirksamkeit einer onkologischen Immuntherapie unterstützen. Der Darm ist das ideale Zielorgan für immunmodulatorische Maßnahmen, da in ihm – als größter Grenzfläche des Körpers – mehr als 70 % der Immunzellen lokalisiert sind.[2,6,7]
Die Zusammensetzung des Darmmikrobioms ist so individuell wie der Fingerabdruck, jedoch werden in Abhängigkeit von den dominanten Bakterienstämmen drei Enterotypen unterschieden (Tab. 1). Der Enterotyp hat großen Einfluss auf die Nährstoffverarbeitung und die intestinale Vitaminproduktion. Dabei ist er unabhängig von Alter, Geschlecht, Körpergewicht oder Wohnort. Jedoch können die Enterotypen durch Langzeitdiäten beeinflusst werden. Zudem sind Kenntnisse des jeweiligen Darmfloratypus in der mikrobiologischen Therapie und Diagnose hilfreich.[8,9]
Zu den Anzeichen für eine gestörte Darmflora gehören Verdauungsbeschwerden, wie Meteorismus, Flatulenzen, Darmkrämpfe, Darmträgheit, Verstopfung oder Diarrhö. Störungen der Darmmikrobiotika lassen sich mit der quantitativen Stuhlfloraanalyse untersuchen. Dabei werden prominente Markerkeime erfasst. Der optimale Stuhl-pH-Wert liegt zwischen 5,5 und 6,5.[10] Verschiedene Verdauungs- und Schleimhautparameter ergänzen die mikrobiologische Stuhluntersuchung. Zur Erfassung der systemischen Immunität werden verschiedene Blutimmunparameter bestimmt. Den Zustand des darmassoziierten Immunsystems spiegelt sekretorisches Immunglobulin A (sIgA) im Stuhl wieder. Darüber hinaus gibt es umfassende und relativ teure Mikrobiomanalysen.[2,6] Bei dem Großteil der Darmmikroorganismen handelt es sich um Anaerobier, die größtenteils nicht kultiviert werden können. Sie können jedoch durch molekular-genetische Sequenzierung analysiert werden. So kann die gewonnene DNA mittels qPCR-basierter Verfahren (quantitative Polymerase-Kettenreaktion) Bakterien zugeordnet und entsprechend quantifiziert werden. Dabei werden mikrobielle 16S-rRNA-Genfragmente sequenziert. Die Metagenomik und metatranskriptomische Methoden sind weitere Sequenzierungstrategien zur Untersuchung des Mikrobioms.[11] Da diese Analytik nicht in jedem Fall konsistente Ergebnisse liefert, die zwischen verschiedenen Laboren vergleichbar wären, und die Kosten für solche Tests hoch sind, empfehlen sie sich insbesondere im Rahmen klinischer Fragestellungen und Studien.[12]
Während einer mikrobiologischen Therapie werden verschiedene lebende Bakterien- oder auch Hefestämme verabreicht, die Probiotika. Laut Definition der WHO sind Probiotika „lebende Mikroorganismen, die dem Wirt einen gesundheitlichen Vorteil bringen, wenn sie in ausreichender Menge aufgenommen werden.“[13–16] Die Keime sind unterschiedlich stark immunogen (Abb. 2). Bei überschießender Reaktion sollte auf schwächer immunogene Keime gewechselt werden.[7] Probiotika sind als mikrobiologische Arzneimittel und probiotische Nahrungsergänzungsmittel verfügbar. Die physiologischen Darmbakterien werden zur Vermehrung durch lösliche Ballaststoffe, die Präbiotika, angeregt. Diese unverdaulichen Nahrungsbestandteile dienen den intestinalen Bakterien als Energie- und Nährstoffquelle. Eingesetzt werden z. B. Inulin, resistente Stärke, Galakto- bzw. Fructo-Oligosaccharide oder Lactulose.[6,17] In Topinambur, Chicorée, Schwarzwurzeln, Pastinaken, Löwenzahn oder Artischocken ist z. B. der Ballaststoff Inulin reichlich enthalten. Aufgrund seiner verdauungsfördernden Wirkung wird Inulin auch zum Abnehmen eingesetzt.[18] Der Ballaststoff stärkt zudem die Darmflora, und Studien geben Hinweise auf eine Reduktion des Risikos für Darmkrebs.[19,20] Resistente Stärke kann ebenfalls zur Vorbeugung von Kolonkarzinomen beitragen, indem sie den pH-Wert im Dickdarm senkt und in den optimalen Bereich bringt.[10] Obgleich der Pankreas im Überschuss stärkeabbauende Amylasen sezerniert, passiert ein kleiner Teil das mit der Nahrung aufgenommenen Stärke unverdaut den Dünndarm. Diese resistente Stärke gelangt in den Dickdarm und dient den dort siedelnden Bakterien als Energie- und Nährstoffquelle. Es gibt drei unterschiedliche Typen resistenter Stärke:
Typ 1: Stärke, die in intakten Zellen eingeschlossen ist, z. B. in ganzen oder grob zerkleinerten Getreidekörnern und z. T. in Hülsenfrüchten.
Typ 2: Stärke, die aufgrund des Aufbaus der Stärkekörner bzw. ihrer Molekülanordnung im Stärkekorn im Dünndarm nicht verdaut wird, z. B. Stärke in rohen Kartoffeln, grünen Bananen oder amylosereichen Maissorten (Amylomais).
Typ 3: Retrogradierte Stärke, die beim Abkühlen erhitzter stärkehaltiger Lebensmittel, wie Brot, Kartoffeln, Nudeln oder Reis, durch teilweise Umlagerung der Stärkemoleküle und Ausbildung amylaseresistenter kristalliner Bereiche entsteht.[21]
Die Mikroflora im Dickdarm ist auf eine gesunde, ballaststoffreiche Ernährung angewiesen, denn Ballaststoffe senken den pH-Wert auf den optimalen Bereich.[10]
In der Therapie der Dysbiose werden häufig Pro- und Präbiotika zusammen eingesetzt. Die Kombinationen werden Synbiotika genannt.[6,14]
Die mikrobielle Therapie besteht aus mehreren Schritten, die dem Schweregrad der Dysbiose des Patienten individuell angepasst werden.
Darmreinigung
Zur Vorbereitung einer Darmsanierung wird der Darm üblicherweise gereinigt. Dazu werden Abführmittel, wie Bittersalze und Glaubersalze oder pflanzliche Mittel, verwendet. So können Bitterpflanzen wie Löwenzahn, Brennnessel oder Artischocke den Körper bei der Bekämpfung schädlicher Darmkeime unterstützen. Ein altbewährtes Hausmittel sind Flohsamenschalen, die im Darm aufquellen und Kotablagerungen an den Darminnenwänden aufweichen. Zusätzlich oder alternativ kann der Darm direkt mithilfe von Einläufen gereinigt werden. Eine Form der intensivierten Darmspülung ist die Kolonhydrotherapie. Dabei wird das Kolon während einer ca. 45-minütigen Sitzung mehrfach mit Wasser gespült. Die Therapie, die u. a. bei Kolon- und Rektumkarzinomen kontraindiziert ist, kann mit Bauchmassagen unterstützt werden.
Gezielte Beseitigung pathogener Darmkeime
Bei intestinalem Pilzbefall können Antimykotika im Rahmen der Darmsanierung eingesetzt werden.
Probiotische Therapie
Nach der Darmreinigung kann der Aufbau der gesunden Darmmikrobiotika mit Probiotika, Präbiotika oder Synbiotika beginnen. Grundsätzlich ist eine einschleichende Dosierung empfehlenswert. Oral verabreichte Probiotika werden in der Regel gut vertragen. Treten Blähungen, leichte Bauchschmerzen oder Diarrhöen auf, ist die Therapie zu modifizieren. Der Einsatz von Saccharomyces-Präparaten ist bei Schwerkranken oder Immunsupprimierten, z. B. Tumorpatienten während einer Chemo- oder Strahlentherapie, wegen des bisher nicht einschätzbaren Risikos einer Saccharomyces-Infektion kontraindiziert.[6] Probiotika, die nicht durch eine spezielle Galenik vor der Magen- und Gallensäure geschützt sind, sollten bis zu 30 Minuten vor oder direkt zu den Mahlzeiten eingenommen werden. Bei Einnahme nach den Mahlzeiten ist die Überlebensrate der Mikroorganismen gering.[22]
Umstellung der Ernährung auf eine ballaststoffreiche Kost
Eine ausgewogene Vollwerternährung ist die Basis der mikrobiologischen Therapie. Empfehlenswert ist z. B. die mediterrane Kost – eine Mischkost mit viel Obst und Gemüse. Es ist auf eine ausreichende Trinkmenge (mind. zwei Liter täglich) zu achten, und der Konsum von zuckerhaltigen Lebensmitteln sowie tierischen Eiweißen und Fetten ist zu reduzieren. Lebensmittel wie Joghurt, Sauermilch, Kefir, Sauerkraut oder vergorenes Getreide fördern die Darmgesundheit, da diese Lebensmittel probiotische Milchsäurebakterien enthalten. Zusätzlich können Vitamine oder andere Nahrungsergänzungen eingesetzt werden, um die Verdauung und den Stoffwechsel zu normalisieren. Die Dauer der mikrobiologischen Therapie richtet sich nach Art und Schwere der Erkrankung. Entsprechende Empfehlungen reichen von vier Wochen bis zu einem halben Jahr oder länger. Die mikrobiologische Therapie wird langfristig durchgeführt, da sich die Dysbiose ebenfalls über lange Zeiträume hinweg entwickelt hat. Die Vollwerternährung sollte dauerhaft beibehalten werden.[1,2,6,7]
Die Gabe von Mikrobiotika bei Krebspatienten wird als sicher angesehen.[14] Zahlreiche Studien zeigen den Vorteil von Probiotika in der onkologischen Therapie. So berichten mehrere Studien über vorteilhafte Effekte auf toxische Wirkungen der Chemo- und Radiotherapie, insbesondere bezüglich der Prävention von Diarrhö Grad 3 und 4.[13,23,24] Eine Ernährung reich an probiotischen Nahrungsmitteln hat ebenfalls positive Auswirkungen bei Tumorpatienten – nicht nur hinsichtlich der Darmgesundheit, sondern auch hinsichtlich antiinflammatorischer Effekte.[25]
Die Autorin
Dr. phil. nat. Miriam Neuenfeldt
Wissenschaftliche
Autorin & Referentin
18439 Stralsund
[1] Gesellschaft für Biologische Krebsabwehr (GfBK) e. V., Darmregulation; https://www.biokrebs.de/therapien/stoffwechsel-und-ernaehrung/darmregulation (Stand 14.04.2020)
[2] Gesellschaft für Biologische Krebsabwehr (GfBK) e. V., Darmregulation; https://www.biokrebs.de/images/download/Therapie_Infos/Darmregulation.pdf (Stand 14.04.2020)
[3] Sonnenburg ED et al., Cell Metab 2014; 20(5): 779–786
[4] Scott KP et al., Microb Ecol Health & Dis 2015; 26: 25877
[5] Neuenfeldt M, Das Darmmikrobiom von Krebspatienten, Privatarzt Onkol & Hämatol 2020; 1: 44–45
[6] Schmiedel V, Augustin M, Leitfaden Naturheilkunde – Methoden, Konzepte und praktische Anwendung, 7. Auflage, Elsevier Verlag, München 2017; ISBN: 978-3-437-55143-7
[7] Pfeifer B et al., Onkologie integrativ – Konventionelle und komplementäre Therapie, Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, München 2006; ISBN: 978-3-437-56420-8
[8] Manimozhiyan A et al., Nature 2011; 473(7346): 174–180
[9] Doppelherz, Welcher Darmtyp (Enterotyp) sind Sie? https://www.doppelherz.de/darmgesundheit-special/darmflora/darmtypen-enterotypen/ (Stand 14.04.2020)
[10] Schoefer L, Buttersäure in der Prävention – Resistente Stärke für mehr buttersäurebildende Bakterien im Darm, Privatarzt 2015; 6; https://www.symbiopharm.de/fileadmin/PDFs_fachbereich/Sonderdrucke_zum_Douwnload/3.3.37.pdf (Stand 14.04.2020)
[11] Cao Y et al., Microbiol 2017; https://doi.org/10.3389/fmicb.2017.01829 (Stand 14.04.2020)
[12] Deutsche Morbus Crohn / Colitis ulcerosa Vereinigung (DCCV) e. V., Teuer und sinnlos: DGVS rät von Stuhltests zur Analyse des Darm-Mikrobioms ab, 2018; https://www.dccv.de/aktuelles/nachricht/news/detail/News/teuer-und-sinnlos-dgvs-raet-von-stuhltests-zur-analyse-des-darm-mikrobioms-ab/ (Stand 14.04.2020)
[13] Hübner J, Komplementäre Onkologie– Supportive Maßnahmen und evidenzbasierte Empfehlungen, 2. Auflage, Schattauer Verlag, Stuttgart 2012; ISBN: 978-3-7945-2853-0
[14] Prävention und Integrative Onkologie (PRIO), Faktenblatt: Probiotika, September 2019; https://www.stiftung-perspektiven.de/Wissensportal/Informationen-zur-Naturheilkunde-bei-Krebs/ (Stand 14.04.2020)
[15] Guidelines for the evaluation of probiotics in food [Internet], London, Ontario: FAO & WHO, 2002; http://www.who.int/foodsafety/fs_management/en/probiotic_guidelines.pdf (Stand 14.04.2020)
[16] Sanders ME, Clin Infect Dis 2008; 46(Suppl 2): 58–61
[17] Davani-Davari D et al., Foods 2019; 8(3): 92
[18] Dewulf EM et al., Gut 2013; 62(8): 1112–1121
[19] Niness KR, J Nutr 1999; 129(7 Suppl): 1402–1406
[20] Roberfroid MB, Br J Nutr 2005; 93(Suppl 1 ): 13–25
[21] Wisker E, Verein für Unabhängige Gesundheitsberatung (UGB), Resistente Stärke – Ein Ballaststoff kommt in Mode; https://www.ugb.de/ernaehrungsplan-praevention/resistente-staerke-ein-ballaststoff-kommt-in-mode/?resistente-staerke-ballaststoffe (Stand 14.04.2020)
[22] Tompkins TA et al., Benef Microbes 2011; 2(4): 295–303
[23] Osterlund P et al., Br J Cancer 2007; 97(8): 1028–1034
[24] Wada M et al., Support Care Cancer 2010; 18(6): 751–759
[25] Serna-Thomé G et al., Rev Inves Clin 2018; 70: 136–146
Bildnachweis: LysenkoAlexander, Raycat (iStockphoto)