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Allgemeinmedizin

Alternative Screeningmethoden?

Wie lässt sich die Darmkrebsvorsorge verbessern?

Dr. med. Peter Becker

10.2.2025

Die Darmkrebsvorsorge hat in Deutschland wesentlich zu einem Rückgang der Darmkrebsinzidenz und -mortalität beigetragen. Angesichts niedriger Teilnahmequoten bleibt Darmkrebs dennoch mit 10 % die dritthäufigste krebsbedingte Todesursache in Deutschland. Helfen alternative Screeningmethoden?

Seit Einführung der Darmkrebsvorsorge im Jahre 2002 besteht für die Menschen in Deutschland die Möglichkeit, kostenfrei an einem solchen Check teilzunehmen und dabei das anzuwendende Untersuchungsverfahren auszuwählen. Aktuell bietet ein Einladeverfahren allen Versicherten ab 50 Jahren die Option einer Beratung. Gewählt werden kann zwischen initial jährlicher, ab dem 55. Lebensjahr dann zweijährlicher Durchführung eines Stuhltests oder alternativ einer Vorsorgekoloskopie. Diese können Männer gleich, Frauen erst ab 55 Jahren durchführen lassen, bei unauffälligem Befund kann nach 10 Jahren eine nochmalige Koloskopie erfolgen.

Während es in vergleichbaren westeuropäischen Ländern in den vergangenen Jahren zu einem leichten Anstieg der Inzidenz kolorektaler Karzinome um ca. 1,5 % gekommen ist, ist in Deutschland eine Abnahme der Inzidenz und Mortalität durch Darmkrebs zu verzeichnen: So ging die Zahl der Erkrankten von mehr als 72 000 im Jahr 2002 auf ca. 55 000 im Jahr 2020 zurück, die Zahl der Verstorbenen war im etwa gleichen Zeitraum von mehr als 32 000 auf ca. 23 000 rückläufig. Während der Rückgang der Mortalität zumindest teilweise auch auf Therapieverbesserungen zurückgeführt werden kann, lässt sich der Inzidenzrückgang mit sehr hoher Sicherheit auf die Vorsorge und hierbei auf die Koloskopie mit Entfernung der dabei gesehenen Adenome zurückführen.

Die Teilnahmequote an der Vorsorge ist mit ca. 20 % jedoch enttäuschend niedrig. Zwar haben etwas mehr als die Hälfte aller Menschen in Deutschland im Vorsorgealter schon einmal eine Koloskopie erhalten – ob aus Vorsorge- oder anderen Gründen –, dennoch muss das Ziel sein, mehr Menschen zur Vorsorge zu bewegen, um die Zahl an Darmkrebserkrankungen noch viel deutlicher zu senken.

Der Goldstandard

Was die Darmkrebsvorsorge von anderen Vorsorgeprogrammen unterscheidet, ist die Tatsache, dass es sich um eine Kombination aus einer Früherkennung und einer echten Vorsorge handelt, da im Zuge der Koloskopie nicht nur asymptomatische Karzinome erkannt, sondern vor allem auch Vorstufen zukünftiger Karzinome (Adenome und sessile serratierte Läsionen) entdeckt und in gleicher Sitzung entfernt werden (Abb. 1).

Die Vorsorgekoloskopie ist in Deutschland qualitätsgesichert und wird mit einer sehr hohen Erfolgs- und einer sehr niedrigen Komplikationsrate durchgeführt, die allermeisten Komplikationen treten zudem im Zuge von Polypektomien auf. Die Koloskopie ist jedoch mit einem recht hohen zeitlichen und organisatorischen Aufwand verbunden: Der Darm muss in einer zweitägigen Prozedur mittels einer meist nur mäßig verträglichen Trinklösung gereinigt werden und am Untersuchungstag können die Teilnehmenden nicht arbeiten. Zudem sind die Kapazitäten ­beschränkt und eine spontane Durchführung für Kurzentschlossene ist nicht möglich.

Irritationen um die NordICC-Studie

Die 2022 veröffentlichte NordICC-Studie hat in der Laien-, aber auch in der Fachpresse zunächst zu einer Ernüchterung über den Effekt der Vorsorgekoloskopie geführt, da die im Abstract präsentierten Daten lediglich eine signifikante Reduktion der Kolonkarzinominzidenz, nicht jedoch der Sterblichkeit gezeigt hatte. Mittlerweile haben differenzierte Analysen jedoch klar zeigen können, dass es sich hierbei um eine leider sehr nüchterne und defensive Darstellung der Daten handelt, die einen verzerrten Eindruck widerspiegeln. So wurden in erster Linie – entsprechend dem ­Studiendesign – die Zahlen der „Intention to screen“-Gruppen dargestellt, in der die tatsächliche Teilnahme­quote an der Koloskopie jedoch nur bei 42 % lag. ­Darüber hinaus wurden die in den ersten Jahren diagnostizierten Karzinome miteinbezogen, bei denen es sich jedoch nicht um verhinderbare, sondern bereits prävalente Karzinome handelt, die zu Beginn der Studie lediglich „eingesammelt“ wurden (Abb. 2). Zudem handelt es sich nur um eine Zwischenauswertung der Daten, der präventive Aspekt der Polypenentfernung wird sich höchstwahrscheinlich im Langzeitverlauf noch viel deutlicher in den Zahlen niederschlagen, sodass insgesamt kein Grund besteht, an der Effektivität der Vorsorgekoloskopie zu zweifeln.

Andere Untersuchungsverfahren

Auch wenn die Koloskopie sicherlich die aktuell beste Form der Vorsorge darstellt, ist es Realität, dass in Deutschland bei Weitem nicht alle dazu berechtigten Menschen daran teilnehmen. Die Gründe hierzu sind vielfältig: Neben (Berührungs-)Ängsten und Vorbehalten, sich einer invasiven Untersuchung oder auch der Vorbereitungsprozedur zu unterziehen, spielen auch der zeitliche und organisatorische Aufwand eine Rolle. Darüber hinaus werden mit der jetzigen Form der Kommunikation, Information und „Bewerbung“ nicht alle infrage kommenden Personen erreicht bzw. angesprochen.

Daher stellt sich die Frage nach weniger aufwendigen bzw. weniger invasiven Alternativen. Hierbei muss jedoch auch herausgestellt werden, dass derzeit die Diagnose einer (lokalisierten) Darmkrebserkrankung immer im Zuge einer Endoskopie gestellt wird, es sei denn, es liegt bereits eine Fernmetastasierung oder eine Notfallsituation (Ileus) vor. Insofern haben alle anderen Verfahren derzeit eine „Steigbügel“-Funktion, mit der Patienten und Patientinnen identifiziert werden, die dringend eine Koloskopie benötigen. Dass dieses Grundverständnis nicht vorliegt, zeigen erschreckende Daten aus Untersuchungen, die Raten von lediglich 64–90 % durchgeführten (Abklärungs-)Koloskopien nach einem positiven iFOBT zeigen.

In diesem Sinne haben alle „alternativen“ Untersuchungen auch den Nachteil, dass über das Screening hinaus zunächst kein präventiver Effekt besteht bzw. dieser erst nach einer sich anschließenden Koloskopie mit Adenomabtragung hinzukommt.

Stuhlbasierte Tests: iFOBT / FIT, Multitarget-Tests, M2-PK

Der Standardtest und Teil des Vorsorgeprogramms ist aktuell der immunologische Nachweis von nicht sichtbarem Blut im Stuhl mittels Antikörpern gegen humanes Hämoglobin (iFOBT / FIT) in einer einzelnen Stuhlprobe. Der FIT weist eine gute Sensitivität (76 %) und hohe Spezifität für kolorektale Karzinome auf (94 %), jedoch ist die Sensitivität für die fortgeschrittenen Adenome mit 33 % schlecht.

Zusätzlich zum (immunologischen) Nachweis von Blut werden bei den in den vergangenen Jahren entwickelten „Multitarget-Tests“ zusätzlich auch karzinom- und adenomassoziierte RNA- bzw. DNA-Fragmente im Stuhl nachgewiesen. Hierdurch erhöht sich bei etwas niedrigerer Spezifität die Sensitivität gegenüber dem FIT auf ca. 94 % für die Entdeckung kolorektaler Karzinome und auf ca. 45 % für fortgeschrittene Adenome. Da die Tests überwiegend neu entwickelt wurden und bislang keine Daten zum breiten Einsatz vorliegen, besteht auch angesichts höherer Kosten noch kein routinemäßiger Einsatz, das Potenzial hierfür scheint jedoch vorzuliegen.

Der M2-PK-Test weist das Enzym M2-Pyruvatkinase nach, das von Tumorzellen vermehrt gebildet und abgegeben wird. Eine Verbesserung zu anderen stuhlbasierten Untersuchungen lässt sich hiermit nicht erzielen – da insgesamt keine überzeugenden Daten vorliegen, wird sein Einsatz in der Leitlinie nicht empfohlen.

Blutbasierte Tests: Liquid biopsy

In letzter Zeit wurde eine Reihe von Tests entwickelt, die auf dem Nachweis von frei zirkulierenden adenom- bzw. karzinomassoziierten DNA- bzw. RNA-Veränderungen im Blut beruhen („Liquid biopsy“). Der Vorteil liegt hier klar in einer unmittelbar in der Praxis oder Ambulanz anwendbaren Untersuchung, die über eine Blutentnahme hinaus keinerlei Aufwand oder Vorbereitung bedarf. Untersuchungen zeigen hierdurch eine mögliche Steigerung der Teilnahme an Vorsorgeprogrammen um bis zu 17 %. Bislang werden jedoch noch teils deutlich niedrigere Sensitivitätsraten für die Detektion von Karzinomen (um 80 %) und vor allem von fortgeschrittenen ­Adenomen (nur ca. 13 %) als etwa beim FIT erzielt, die Spezifität ist mit um die 90 % ebenfalls etwas niedriger. Darüber hinaus machen die derzeit (noch?) hohen Kosten von bis zu 900 US-Dollar pro Test einen breiten Einsatz aktuell unrealistisch.

Kapselendoskopie und bildgebende Verfahren

Auch hierbei handelt es sich um rein diagnostische Verfahren. Sowohl für die Kapselendoskopie als auch für virtuelle (CT- oder MRT-)Kolonografien gibt es keine belastbaren Daten, die einen echten Nutzen für die Früherkennung zeigen. In den heterogenen Studien zeigen sich teils hohe Werte für die Karzinom- jedoch niedrige Werte für die Adenomdetektion. Da jeweils auch eine Vorbereitung wie für die Koloskopie notwendig ist, lässt sich auch kein wirklicher Vorteil der Methoden erkennen. Derzeit werden diese Untersuchungen nur in ausgewählten seltenen ­Fällen eingesetzt: Beispielsweise eine CT-Kolono­grafie unmittelbar im Anschluss an eine aufgrund von Adhäsionen abgebrochene Endoskopie bei vorbereiteten Patientinnen oder Patienten.

Sigmoideoskopie

Die Vorsorgesigmoideoskopie führte in mehreren Studien nachweislich zu einer Mortalitätsreduktion. Vorteil ist der Verzicht auf die Abführprozedur und eine kürzere, etwas weniger invasive Untersuchung. Dennoch können so die Abschnitte mit der Mehrzahl der kolorektalen Karzinome (ca. zwei Drittel in Rektum und Sigma) eingesehen und Adenome abgetragen werden. Es handelt sich jedoch um ein prinzipiell invasives Verfahren, welches am sinnvollsten mit einem FIT kombiniert werden sollte. Für Personen, die eine vollständige Koloskopie primär ablehnen, stellt dies eine akzeptable Alternative dar.

Ausblick

Optimal und auch angesichts begrenzter endoskopischer Kapazitäten wünschenswert wäre ein nicht invasives Untersuchungsverfahren, das mit hoher Zuverlässigkeit nicht nur Karzinome, sondern auch Karzinomvorstufen erkennt, sodass nur noch diejenigen endoskopiert werden, bei denen entweder ein Karzinom diagnostiziert wird oder ein Adenom zu entfernen ist. Bislang kann dies kein Verfahren leisten, daher wird versucht, alternative Ansätze zu entwickeln. Hierzu gehören u. a. der Nachweis von charakteristischen Mikrobiomveränderungen oder Atemtests mit Nachweis spezifischer flüchtiger ­organischer Verbindungen. Bislang haben diese ­Konzepte jedoch noch experimentellen Charakter.

Die Vorsorgekoloskopie stellt als gleichzeitig diagnostisches und therapeutisches Verfahren den Goldstandard und ein effektives Verfahren der Vorsorge dar. Sie ist ein invasives, aber auch sehr sicheres Verfahren. Andere Methoden erzielen zwar teilweise auch sehr gute Sensitivität und Spezifität für die Karzinomdetektion, führen aber im positiven Fall stets zur Durchführung einer Koloskopie. Angesichts der niedrigeren Erfolgsraten einer Identifikation von Karzinomvorstufen haben sie einen geringeren Vorsorgeeffekt. Durch ihren weniger aufwendigen und invasiven Charakter können sie dennoch helfen, die Teilnahmerate an der Vorsorge zu steigern. Mit verschiedenen, auch nicht medizinischen Maßnahmen muss versucht werden, die Beteiligung an der Vorsorge zu steigern.

Der Autor

Dr. med. Peter Becker
Leitender Oberarzt
Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologie, DGVS-Zertifikat Gastrointestinale Onkologie
Brüderklinikum Julia Lanz Mannheim

p.becker@bbtgruppe.de

Literatur beim Autor

Bildnachweis: © Brüderklinikum Julia Lanz, Mannheim; privat

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