Die Versorgungssituation von Hautkrankheiten ist durch einen hohen Behandlungsbedarf gekennzeichnet, einem hohen Aufkommen an Leitlinien und einer frühzeitigen Verfügbarkeit an neuen Arzneimitteln. Univ.-Prof. Dr. med. Matthias Augustin spricht zudem von einem Nord-Süd-Gefälle, das es abzubauen gilt.
Die dermatologische Versorgung in Deutschland charakterisiert eine hohe Prävalenz von Hautkrankheiten. So liegt z. B. die 1-Jahres-Prävalenz der atopischen Dermatitis (AD) derzeit bei 3,5 Millionen, die für Psoriasis bei 2,0 Millionen. „Bei der Versorgung geht es darum, einen gegebenen hohen Leidensdruck bei Patienten ernst zu nehmen und entsprechende leitliniengerechte Medikamente einzusetzen“, sagte Univ.-Prof. Dr. med. Matthias Augustin, Direktor des Instituts für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Ein weiteres Phänomen ist aus seiner Sicht die Zunahme der Prävalenz des Basalzellkarzinoms und Plattenepithelkarzinoms. „Die Zunahme an Hautkrebsfällen ist so stark, dass daraus eine starke Ressourcenbindung in der Früherkennung und der Behandlung resultiert.“ Insgesamt liegt der Behandlungsbedarf von Hautkrankheiten bei ca. 25 % der Bevölkerung. „Jeder Vierte in Deutschland hat einmal im Jahr ein Hautleiden, das einer Behandlung bedarf.“
Um dem Versorgungsbedarf gerecht zu werden, ist ein großes Aufkommen an hochwertigen Leitlinien, die oft interdisziplinär sind, zu verzeichnen. Ebenfalls positiv fällt die frühzeitige Verfügbarkeit von Innovationen auf. „Im europäischen Vergleich ist Deutschland das Land, bei dem die größte Verfügbarkeit an Medikamenten besteht, die von der EMA zugelassen sind.“ Die Arzneimittelzulassung, Verordnungsfähigkeit und Erstattungsfähigkeit seien durchaus gut. Aber es gebe Hürden danach. Neben der nicht immer vollumfänglich gegebenen Verfügbarkeit von Arzneimitteln sind das laut Augustin eine nicht durchgängig hohe Verordnungsbereitschaft, die nicht immer bestehende Incentivierung zur Versorgung und das Risiko von Regressen bzw. das generelle Haftungsrisiko. Zugleich gebe es immer weniger Dermatologen, welche die ganze Breite der Leitlinienempfehlungen umsetzen könnten. „Das sieht man zum Beispiel an der Verordnerkonzentration der Systemtherapeutika für Psoriasis, atopische Dermatitis und andere chronische Erkrankungen. Hier machen 40 % der Dermatologen 100 % der Verordnungen.“ Ein weiteres Merkmal der Versorgungssituation dermatologischer Erkrankungen sind Kapazitätsgrenzen. Patienten und Patientinnen müssen wegen überfüllter Praxen teilweise lange auf Termine warten. Auch fehlt es oft an einer Priorisierung. Aufgrund einer niedrigschwelligen Versorgung werden viele Ressourcen durch einfachere Erkrankungen verbraucht. „Und das alles im Angesicht voller Arzneimittel-Pipelines“, sagte Augustin. So gibt es z. B. bei Psoriasis insgesamt 24 verschiedene systemische Arzneimittel, die in der Leitlinie für bestimmte Indikationsbereiche empfohlen werden.
Es ist keine Konvergenz erkennbar
Auffällig sind darüber hinaus regionale Disparitäten. Innerhalb Deutschlands lässt sich eine unterschiedliche Epidemiologie feststellen: Psoriasis und die AD treten im Norden und Osten häufiger auf als im Süden. „Der regionale Unterschied macht ungefähr 30 % aus“, so Augustin. Nun wäre ein bevölkerungsbezogener höherer Arzneimitteleinsatz im Norden tolerabel, doch wie Augustin ausführte, ist die Differenz deutlich höher. Beispielsweise bewegen sich die Pro-Kopf-Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Biologika bei Psoriasis im Norden und Osten zwischen 15 und 20 Euro und beim Schlusslicht Baden-Württemberg bei rund 2,80 Euro (s. Abb.). Auch zeichnet sich ein gleichbleibender Trend ab: Dort, wo viele Biologika eingesetzt wurden, ist auch der Zuwachs größer. „Und diese Schere wird größer über die Zeit, es ist keine Konvergenz erkennbar. Das ganze gilt für Biologika, aber auch für nicht biologische Präparate.“ Eine Analyse von GKV-Daten der Techniker Krankenkasse zeigt das gleiche Ergebnis: Bei der Versorgung der Psoriasis und der atopischen Dermatitis mit Biologika existiert ein Nord-Süd-Gefälle. Wieder gibt es in Baden-Württemberg, Hessen und Bayern die wenigsten Verordnungen. Laut Augustin lässt sich dieses Muster auch bei anderen Hautkrankheiten beobachten. Nun könnte der Einsatz der Phototherapie die Ergebnisse verzerren. Doch eine Analyse der Abrechnungsdaten der Techniker Krankenkasse für Psoriasis und atopische Dermatitis zeigt einen relativ geringen Einsatz der Phototherapie. Im Jahr 2019 hatten nur noch 2,6 % der Versicherten, die unter Psoriasis litten, eine Phototherapie, bei AD nur 0,8 %. „Die Phototherapie spielt also nur noch eine nachgeordnete Rolle und ersetzt bei Weitem nicht das, was an Versorgungsdisparitäten vorliegt.“
Die Systemtherapie ist bei chronisch-entzündlichen Dermatosen in den mittelschweren bis schweren Fällen Leitlinienstandard und damit auch der Indikator für eine gute Versorgung. Allerdings zeigen sich hier Disparitäten in der Versorgung – regional und zwischen dermatologischen Praxen einer Region. Insgesamt zeichnet sich eine Unter- bzw. Fehlversorgung ab. Leitlinien müssen besser implementiert werden und es braucht Anreize für eine spezialisierte Versorgung. Zudem müssen evidenzgesicherte Innovationen auch in den dermatologischen Praxen eingesetzt und eine Versorgungssicherheit geschaffen werden.
WISO-Veranstaltung „Nord-Süd-Gefälle bei der Behandlung entzündlicher Erkrankungen?“, online, Dezember 2023