Die molekularbiologische Untersuchung des vaginalen Mikrobioms gewinnt in der Diagnostik bei rezidivierenden bakteriellen Vaginosen sowie bei unerfülltem Kinderwunsch stark an Bedeutung.
Genitale Infektionen gehören zu den häufigen Problemen in der gynäkologischen Sprechstunde. Solche Infektionen können als banale Affektionen des unteren Genitaltrakts auftreten und werden dann meist durch pathogene Bakterien, Viren oder Pilze verursacht. Sie können jedoch auch einen schweren Verlauf nehmen – mit zum Teil langfristigen Folgen für die Patientin bzw. im Falle einer Schwangerschaft auch für das Kind. Die Diagnostik genitaler Infektionen erfolgt bis heute meist mit kulturbasierten Nachweismethoden oder gezielter Suche mittels Amplifikationsverfahren. Damit können die „typischen Erreger“ genitaler Infektionen sicher identifiziert werden. Eine umfassende Analyse der gesamten die vaginale Schleimhaut besiedelnden Mikroorganismen ist auf diese Weise allerdings nicht möglich, da die meisten Keime sich gar nicht oder nur sehr schwer anzüchten lassen.
Neue Techniken, insbesondere das Next Generation Sequenzing (NGS), eröffnen die Möglichkeit, die Gesamtheit der Mikroorganismen abzubilden und zu charakterisieren. Damit können das Mikrobiom der Vagina (Vaginom), ebenso wie das Mikrobiom des Darmes oder anderer Organsysteme in ihrer Komplexität umfassend dargestellt werden.
Das Mikrobiom
Das Mikrobiom bezeichnet die Gesamtheit aller Mikroorganismen, die ein Lebewesen natürlicherweise – ohne Auslösung von Krankheitssymptomen – besiedeln. Der Mensch besitzt etwa 3 x 1013 Körperzellen und beherbergt 3,8 x 1013 bis 1014 Bakterien, davon die Mehrzahl (1011/g Faeces) im Darm.[1,2] Das metabolische Potenzial der Bakterien entspricht dem der Leber. Nach heutigem Kenntnisstand enthält die Gesamtheit dieser Bakterien deutlich mehr Gene als der Mensch (ca. 9 Mio. vs. 23.000).[3] Neben den Bakterien sind Viren einschließlich Bakteriophagen sowie Pilze natürliche Besiedler des Menschen.
Es gibt Autoren, die das Mikrobiom des Menschen als eigenes „Organ“ betrachten, dessen Organismen in einem bestimmten Gleichgewicht zueinander stehen.[4] Solange dieses Gleichgewicht aufrechterhalten wird, dient dies der Gesundheit, eine Verschiebung des Gleichgewichts führt zu entsprechenden Krankheitszuständen, die sich sowohl als akute als auch als chronische Erkrankung darstellen können.
Das vaginale Mikrobiom / Vaginom
Die vaginale Schleimhaut wird von einer Vielzahl von Mikroorganismen besiedelt (das Vaginom), wobei Laktobazillen physiologischerweise dominieren. Darüber hinaus sind ca. 300 weitere Spezies bekannt, die in Abhängigkeit von zahlreichen Faktoren nachzuweisen sind:
Ethnizität
Lebensalter
Hormonstatus
Phase innerhalb des Menstruationszyklus
Einnahme systemischer oder lokaler Medikamente
Vaginalhygiene
Anzahl der Sexualpartner sowie Präferenz für bestimmte Sexualpraktiken
Dabei scheint die Abstammung (Kaukasier, Hispanier, Afro-Amerikaner, Afrikaner, Asiaten etc.) den größten Einfluss zu haben. So stellt sich das „normale Vaginom“ einer kaukasischen Frau typischerweise anders dar als beispielsweise das Vaginom einer Afro-Amerikanerin.
Community State Types (CST)
Um die Vergleichbarkeit von Vaginombefunden zu erleichtern wurden Klassifikationssysteme entwickelt, die den jeweiligen Leitkeim, aber auch die Art und Anzahl der übrigen Keime berücksichtigen. Die ursprüngliche Klassifikation geht auf Ravel et al.[5] zurück und definiert fünf verschiedene Community State Types (CST I–V).
In den Community State Types I, II und V dominieren Lactobacillus crispatus, Lactobacillus gasseri sowie Lactobacillus jensenii, während beim CST III Lactobacillus iners führend ist. Im CST IV finden sich bei Depletion von Laktobazillen hohe Anteile an Gardnerella vaginalis bzw. Atopobium vaginae oft zusammen mit anderen Arten als Zeichen einer bakteriellen Vaginose. Inzwischen hat sich gezeigt, dass die Einführung weiterer CST, z. B. zur Beschreibung einer aeroben Vaginitis oder von Mischbildern, sinnvoll ist.
Shannon-Index (SI)
Diversität beschreibt die Eigenschaften von Lebensgemeinschaften, ein Maß dafür ist der Shannon-Wiener-Index. Er berücksichtigt sowohl die Häufigkeitsverteilung als auch die Artenzahl innerhalb eines Habitats. Vereinfacht dargestellt ist für ein stabiles (= „gesundes“) Vaginom ein niedriger SI < 1 bei="" gleichzeitig="" hohen="" anteilen="" bestimmter="" arten="" von="" laktobazillen="" typisch.="" zunahme="" der="" diversität="" bakterienarten,="" beispielsweise="" beim="" krankheitsbild="" bakteriellen="" vaginose,="" steigt="" si="" auf=""> 1 an. </ 1>
Laktobazillen als Leitkeime des Vaginoms
Inzwischen wurden mehr als 120 Arten von Laktobazillen beschrieben, die für das Vaginom wichtigsten sind L. gasseri, L. crispatus, L. jensenii und L. iners. Laktobazillen haben u. a. folgende Funktionen (Abb. 1):
Senkung des vaginalen pH-Werts auf
Bildung von Hydrogenperoxid (H2O2)
mikrozide Aktivität durch die Bildung von Laktat und Bakteriozinen
Adhärenz an das vaginale Epithel und Inhibition der Anlagerung pathogener Keime (Schutzfunktion)
Steuerung der Autophagie und damit Regulation der
„Zellerneuerung“ im Vaginalepithel
Suppression der Matrix-Metallo-Proteinase-8 (MMP-8)
vermehrte Bildung von Lipocalin als Schutz vor pathogenen Keimen
Diese physiologischen Funktionen sind nicht bei allen Laktobazillenarten gleichermaßen ausgeprägt, so sind L. cripatus, L. gasseri und L. jensenii sehr wohl in der Lage, ausreichende Mengen D-Laktat zu bilden, während L. iners vorwiegend L-Laktat bildet, dem keine besonders ausgeprägte Schutzwirkung zugesprochen wird.[6–8] Damit wird deutlich, dass eine genaue Differenzierung der Arten für die Beurteilung des Vaginoms bedeutsam ist. Diese Unterscheidung gelingt auch mittels klassischer Kulturtechniken, was aber sehr aufwendig und damit für die Routinediagnostik unpraktikabel ist. Daraus folgt, dass Ergebnisse wie „reichlich Döderlein“ – wie man sie häufig in Standardbefunden lesen kann – wenig aussagekräftig sind und keinen Rückschluss darauf zulassen, welche Laktobazillen tatsächlich vorliegen. Das erklärt dann auch, weshalb es trotz „reichlich Döderlein“ in manchen Fällen zu rezidivierenden Vaginosen kommt – möglicherweise war dann L. iners der Leitkeim und hat einer nachfolgenden bakteriellen Fehlbesiedlung Tür und Tor geöffnet.[9]
Gardnerella vaginalis gilt als einer der wichtigsten pathogenen Keime des Vaginalepithels und wird vor allem mit dem Bild der bakteriellen Vaginose in Verbindung gebracht.[10,11] Die Sensitivität des Nachweises von G. vaginalis für die Diagnose einer bakteriellen Vaginose (Amsel-Kriterien) liegt zwar bei ca. 96 %, die Spezifität jedoch nur bei ca. 30 %.[12,13]
Wie ist das zu erklären? Für G. vaginalis konnten vier Subtypen (Gruppe A–D) identifiziert werden, die sich hinsichtlich ihrer Pathogenität unterscheiden. Wichtige Virulenzfaktoren sind (Abb. 2):
Vaginolysinbildung
Sialidasebildung
Biofilmbildung
Je nachdem welcher Subtyp vorliegt und welche Virulenzfaktoren dieser Subtyp ausprägt, kommt es entweder zu einer klinisch relevanten bakteriellen Vaginose oder aber zu einer asymptomatischen Kolonisation. Dies erklärt, weshalb die Spezifität für das Vorliegen einer bakteriellen Vaginose beim „Nachweis von Gardnerella vaginalis“ so niedrig ist.[14–19] Arbeiten aus jüngster Zeit zeigen durch die Beschreibung neuer Gardnerellaarten – die in der Vergangenheit als eine Spezies angesehen wurden – wie komplex die Identifikation dieser Bakteriengattung tatsächlich ist.[20,21]
Bedeutung der Subtypisierung für die klinische Praxis
Die klinische Bedeutung der Subtypisierung der nachgewiesenen Keime soll an folgenden Szenarien aufgezeigt werden: Eine auf kulturbasierten Methoden beruhende Aussage wie „reichlich Döderlein“ suggeriert eine vermeintlich normale oder sogar ausgesprochen gute Vaginalflora, während die Aussage „massenhaft Gardnerella vaginalis“ den Arzt fast reflektorisch zur Verordnung einer Antibiose verleitet. Möglicherweise gehen aber die aufgrund der oben genannten Aussagen getroffenen therapeutischen Entscheidungen in die falsche Richtung: auch bei „reichlich Döderlein“ kann eine gestörte Vaginalflora vorliegen (sofern der Leitkeim L. iners ist) und bei „massenhaft Gardnerella vaginalis“ muss nicht zwingend eine Antibiose erfolgen – sofern ein wenig virulenter Subtyp von Gardnerella vorliegt. Die Anwendung von Sequenziertechniken zur umfassenden Analyse des Vaginoms ermöglicht – im Vergleich zur Standardkultur – eine viel differenziertere Einschätzung des realen Risikos für die Entwicklung einer bakteriellen Vaginose bzw. sie versetzt uns in die Lage, eine zielgerichtete und individualisierte antibiotische Therapie vorzunehmen.
Der klinische Einsatz der Vaginomanalytik und die Abgrenzung von anderen mikrobiologischen Methoden soll an einigen typischen Szenarien exemplarisch dargestellt werden.
Vaginomdiagnostik bei bakterieller Vaginose
Die Prävalenzen der bakteriellen Vaginose (BV) sind regional sehr unterschiedlich, in Europa durchschnittlich 23 %, in Südasien 29 % und in Nordamerika durchschnittlich 27 %. In Nordamerika konnten darüber hinaus noch deutliche Unterschiede für die einzelnen Bevölkerungsgruppen nachgewiesen werden: Afro-Amerikaner 33 % / Hispanier 31 % / Weiße 23 % / Asiaten 11 %.[22]
Die Diagnose der BV ergibt sich aus der klinischen Symptomatik und ggf. dem mikroskopischen Nachweis von „Clue cells“. Der bakteriologische Abstrich wird eher zur Bestätigung der Diagnose herangezogen. Aufgrund der typischerweise akuten Symptomatik und entsprechendem Leidensdruck wird meist unmittelbar eine antibiotische Therapie eingeleitet. Zur Therapie der BV werden üblicherweise Metronidazol und Clindamycin sowohl systemisch als auch topisch eingesetzt. Für beide Applikationsformen liegt jedoch die Rekurrenzrate zwischen 30 und 60 %. Ein Grund für diese vergleichsweise hohe Rate liegt in dem für Metronidazol und Clindamycin jeweils unterschiedlichen Wirkspektrum:
G. vaginalis und A. vaginae sind zwar gegen Clindamycin empfindlich, nachteilig ist aber die gleichzeitige Wirksamkeit von Clindamycin gegen Laktobazillen. Somit können zwar G. vaginalis und A. vaginae durch die Behandlung meist eliminiert werden, gleichzeitig führt dies jedoch zur Depletion der protektiven Laktobazillen. Das birgt a priori ein hohes Risiko für Reinfektionen. Metronidazol ist – im Gegensatz zu Clindamycin – gegen Laktobazillen nicht wirksam, aber gleichzeitig sind auch die G. vaginalis Subgruppen A und D gegen Metronidazol resistent. Die Subgruppen B und C sind mit jeweils 93 % respektive 65 % gegen Metronidazol empfindlich. Die Metronidazol-Behandlung führt somit in vielen Fällen offensichtlich nur zu einer Teilelimination von G. vaginalis, was wiederum das hohe Rezidivrisiko erklärt.[23]
Eine weitere Ursache für die Entstehung von Rezidiven ist das zum Teil sehr heterogene Keimspektrum bei bakterieller Vaginose: neben den oben genannten „typischen“ Erregern (G. vaginalis / A. vaginae) finden sich bei BV eine Vielzahl potenziell pathogener Keime, die sich mit herkömmlichen Kulturtechniken nur sehr aufwendig oder gar nicht anzüchten lassen und damit der Diagnostik entgehen (Tab.). Sofern nun gerade diese Keime resistent gegen Metronidazol und Clindamycin sind, sind Reinfektionen vorprogrammiert, da die gewählte Antibiose von vornherein an den eigentlichen Zielkeimen vorbeiging.
Mit der Vaginomanalytik auf Basis von Sequenziertechniken ist sowohl der Nachweis des gesamten Keimspektrums möglich als auch die Identifizierung entsprechender Subgruppen. Damit eröffnet sich – im Gegensatz zum bisherigen Vorgehen – die Möglichkeit einer gezielten antibiotischen und ggf. probiotischen Behandlung, insbesondere für Frauen mit rezidivierender BV bzw. Frauen mit therapieresistenten Infektionen.
Vaginomdiagnostik bei unerfülltem Kinderwunsch / habituellen Aborten
Die Prävalenz der ungewollten Kinderlosigkeit wird in Deutschland auf ca. 15 % der Paare geschätzt. Neben ovariellen Funktionsstörungen gehören auch hierzulande tubare Funktionsstörungen, vor allem im Zusammenhang mit einer Chlamydieninfektion, zu den wesentlichen Ursachen der Kinderlosigkeit. Während der Zusammenhang zwischen Chlamydien und tubarer Sterilität gesichert scheint, ist die Literatur im Hinblick auf andere Keime eher heterogen. Daher empfiehlt die aktuelle Leitlinie zur Diagnostik und Therapie vor einer assistierten reproduktionsmedizinischen Behandlung zwar ein Screening auf eine chronische Chlamydieninfektion, allerdings darüber hinaus keine spezifische Diagnostik zum Ausschluss genitaler Infektionen wie beispielsweise eine bakterielle Vaginose.[24]
Paare mit habituellen Aborten stellen eine besondere Gruppe von Patienten mit unerfülltem Kinderwunsch dar. Man kann davon ausgehen, dass 1–3 % der Paare im reproduktionsfähigen Alter davon betroffen sind. Die aktuelle „Leitlinie zur Diagnostik und Therapie bei habituellen Aborten“[25] empfiehlt ein genetisches Screening und den sonografischen und/oder hysteroskopischen Ausschluss anatomischer Ursachen für das Abortgeschehen. Ein generelles Screening auf vaginale Infektionen außerhalb der im Zuge der Schwangerenvorsorge üblichen Abklärungen wird nicht empfohlen, da bislang unklar war, ob es einen Zusammenhang zwischen habituellen Aborten und Infektionen gibt. Untersuchungen der vergangenen Jahre haben jedoch gezeigt, dass bei Frauen mit Abort die Diversität des Vaginoms signifikant erhöht war (p = 0,003) und eine Depletion der Laktobazillen vorlag (p = 0,005).[26] Darüber hinaus konnte, im Gegensatz zur früheren Lehrmeinung, nachgewiesen werden, dass das Endometrium mikrobiell besiedelt und keineswegs steril ist. Es gibt ein hohes Maß an Kongruenz zwischen dem vaginalen und endometrialen Keimspektrum, allerdings ist die Anzahl der Bakterien im Uterus im Verhältnis zur Vagina um zwei bis vier log10-Stufen niedriger.[27] Bei einem gestörten Vaginom spiegelt sich dies auch mit negativen Folgen am Endometrium wider.
Pathologische Veränderungen des Vaginoms – und damit auch der endomerialen Keimbesiedlung – wirken sich unmittelbar auf die Erfolgswahrscheinlichkeit einer IVF-Behandlung aus. Unter Anwendung der oben genannten Klassifikationssysteme lässt sich ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem vorliegenden Community State Type (CST) und der Konzeptions-Chance bei reproduktionsmedizinischen Behandlungen aufzeigen. Es erscheint folglich sinnvoll, vor Einleitung einer IVF/ICSI-Behandlung eine Vaginomdiagnostik vorzunehmen.[28–31] Bei Frauen mit habituellen Aborten oder erfolglosen IVF/ICSI-Behandlungen können wir nach gegenwärtiger Datenlage davon ausgehen, dass es mithilfe der Vaginomanalytik gelingen wird, aus der Gruppe der „idiopathischen Fälle“ diejenigen zu identifizieren, bei denen eine genitale Infektion als (Teil-)Ursache des Geschehens gefunden werden kann. Ob sich daraus dann jeweils eine spezifische Therapie ableiten lässt, muss zunächst abgewartet werden. Eine Option ist, einen individualisierten Therapieversuch zur Optimierung des Vaginoms vor der nächsten Schwangerschaft bzw. vor einer erneuten Behandlung durchzuführen.
Vaginomanalytik zur Prävention der Frühgeburt
Frühgeburten stellen nach wie vor eine große Herausforderung in der Geburtshilfe dar. Die Prävalenz beträgt weltweit zwischen 5 und 18 %, wobei ca. 35 % der neonatalen Todesfälle auf Frühgeburtlichkeit zurückgehen können. Neben anderen Faktoren spielen in ca. 40 % intrauterine Infektionen eine entscheidende Rolle.[32] Diese Infektionen lassen sich mit konventionellen mikrobiologischen Techniken kaum nachweisen, da der direkte Zugang zum intrauterinen Kompartiment nur bedingt gegeben ist und sich zahlreiche potenziell pathogene Keime dem Nachweis durch Standard-Kulturtechniken entziehen.
Im Verlauf einer unauffälligen Schwangerschaft verändert sich physiologischerweise das Vaginom: Schon vor der Schwangerschaft liegt ein Laktobazillen-dominiertes vaginales Keimspektrum vor, während der Schwangerschaft nimmt unter dem Estradioleinfluss die Diversität noch weiter ab und der relative Laktobazillenanteil weiter zu. Diese Konstellation erhöht die Kolonisationsresistenz und schützt vor aufsteigenden Infektionen. Bei einer Abnahme der Laktobazillen und einer gegenläufigen Zunahme der Diversität steigt die Wahrscheinlichkeit für einen vorzeitigen Blasensprung und eine Frühgeburt signifikant an. Auch dabei kommt es offensichtlich darauf an, welche Subgruppen von Laktobazillen bzw. potenziell pathogenen Keimen vorliegen: So konnte gezeigt werden, dass Frauen mit einer Dominanz von L. iners signifikant häufiger eine Frühgeburt erleiden als Frauen mit einer Dominanz von L. crispatus.[32,33] Diese subtilen Veränderungen des Keimspektrums können aus bereits genannten Gründen mit der herkömmlichen mikrobiologischen Diagnostik gar nicht erfasst werden. Außerdem kommt man mit einer Therapie meist zu spät, wenn es bereits zu einer signifikanten Erhöhung der Diversität gekommen ist.
Die Vaginomanalytik zielt darauf ab, bereits im Vorfeld eines Frühgeburtsereignisses – idealerweise sogar vor der Schwangerschaft – pathologische Veränderungen der vaginalen Keimbesiedlung zu erfassen, um dann gezielt präventive Maßnahmen einleiten zu können. Dabei geht es nicht nur um die Elimination potenziell pathogener Mikroorganismen, sondern vielmehr um die Wiederherstellung eines physiologischen Vaginoms mit Laktobazillen der entsprechenden Subtypen.
Therapeutische Optionen in Abhängigkeit von der VaginomAnalytik
Neben der differenzierten antibiotischen Therapie werden schon seit geraumer Zeit Probiotika, insbesondere bei rezidivierenden Infektionen, eingesetzt. Ein Probiotikum ist eine Zubereitung, die lebensfähige Mikroorganismen enthält. Es gibt eine zunehmende Zahl von Studien zum Einfluss der Probiotikumgabe bei bakterieller Vaginose. So konnten Laue et al.[34] das Rezidivrisiko bei BV durch orale Gabe eines Präparats (verschiedene Lactobacillus-Stämme) in Kombination mit Metronidazol deutlich senken. Ebenso konnten Heczko et al.[35] das Zeitintervall bis zum Auftreten eines Rezidivs bei BV durch orale Gabe eines Probiotikums deutlich verlängern. Pendharkar et al.[36] belegten in zwei offenen Studien die Wirksamkeit einer Kombinationstherapie mit Metronidazol oder Clindamycin und jeweils einem Probiotikum. Die Ergebnisse der genannten Studien müssen allerdings insbesondere wegen der sehr geringen Fallzahlen kritisch hinterfragt werden. Sobald weitere prospektiv kontrollierte, randomisierte Studien mit ausreichender Fallzahl vorliegen, kann diskutiert werden, welche neuen therapeutische Konsequenzen daraus abzuleiten sind. Zur Gabe von Probiotika bei genitalen Infektionen sind u. a. folgende Fragen noch nicht befriedigend zu beantworten:
Welche Zusammensetzung muss das Probiotikum haben?
Wie soll das Probiotikum appliziert werden (oral/vaginal)?
Bei oraler Anwendung: Wie gelangen die Laktobazillen vom Darm zur Vagina?
Wie lange hält der Effekt an?
Kann ich den CST mit Probiotika dauerhaft „verschieben“?
Die oben genannten Fragen können durch Anwendung der Vaginomanalytik in Zukunft adressiert werden und damit eröffnet sich die Möglichkeit, neben der Antibiose auch eine individualisierte probiotische Therapie anzubieten.
FAZIT:
Die konventionelle mikrobiologische Diagnostik genitaler Infektionen beruht bis heute auf kulturbasierten Methoden bzw. auf Amplifikationsverfahren. Damit lassen sich zahlreiche potenziell pathogene Keime nicht detektieren. Die moderne Vaginomanalytik nutzt Sequenziertechniken und ist damit in der Lage, die Gesamtheit der Keimbesiedlung im weiblichen Genitaltrakt zu erfassen, das quantitative Verhältnis der Keime zueinander zu berechnen und relevante Subgruppen der einzelnen Spezies zu identifizieren. Damit eröffnet sich die Möglichkeit, die Pathophysiologie und den Verlauf genitaler Infektionen besser zu verstehen und eine individualisierte Therapie dieser Infektionen zu entwickeln.
Die „traditionelle“ mikrobiologische Diagnostik hat nach wie vor einen hohen Stellenwert, insbesondere zur Abklärung akuter Infektionen oder beispielsweise sexuell übertragbarer Erkrankungen. Bei chronischen Verläufen, rezidivierenden Erkrankungen oder fraglichem Zusammenhang zwischen Erkrankung und potenziell infektiöser Ursache ist die Vaginomanalytik der konventionellen mikrobiologischen Diagnostik überlegen. Damit ist zu erwarten, dass die Untersuchung des vaginalen Mikrobioms zukünftig bei rezidivierenden bakteriellen Vaginosen oder bei Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch/habituellen Aborten bzw. Frühgeburtsneigung routinemäßig zum Einsatz kommt.
Der Autor
Prof. Dr. med. Wolfgang Heizmann
amedes Medizinische Dienstleistungen
wolfgang.heizmann@amedes-group.com
Der Autor
Prof. Dr. med. Christoph Keck
Vice President Medical Affairs
amedes Holding GmbH
Haferweg 40
22769 Hamburg
Literatur bei den Autoren
Bildnachweis: solarseven (iStockphoto)