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Allgemeinmedizin

Molekulare Allergiediagnostik

Von Molekülen und Menschen

Prof. Dr. med. Uta Jappe

19.7.2024

Die molekulare Allergologie dient der Identifikation und Charakterisierung einzelner allergener Proteine komplexer Allergenquellen wie Hausstaubmilben, Pollen, Nahrungsmitteln, um mit ihrer Hilfe die Diagnostik zu verbessern und die Allergie- und Asthmaentstehung pathomechanistisch aufzuklären. Schon heute lassen sich anaphylaxien unbekannter Ursache mithilfe von Markerallergenen besser diagnostizieren.

Allergien vom Soforttyp, die zumeist durch Antikörper vom IgE-Typ vermittelt werden, sind eine ­facettenreiche Volkskrankheit, die akut schwer, manchmal tödlich verlaufen und chronisch werden können. Die einzig ursächliche Behandlung ist die allergenspezifische Immuntherapie (Hyposensibilisierung). Für schwere Verläufe der Erkrankungen aus dem atopischen Formenkreis (allergische Rhinokonjunktivitis, Asthma bronchiale und Neurodermitis) sowie der Nahrungsmittelallergien werden bereits Biologika eingesetzt, z. T. in Kombination mit der ­allergenspezifischen Immuntherapie.

Wie in Abbildung 1 zusammengefasst, gibt es noch viele offene Fragen an die Grundlagenforschung und die klinische Forschung zu Allergien: So ist der Patho­mechanismus noch nicht vollständig verstanden, und die Therapieoptionen erreichen zum einen offen­bar noch viel zu wenige Patienten und Patientinnen, zum anderen müssen sie in ihrer Effektivität noch ver­bessert werden.

Dabei kommt der Diagnostik eine entscheidende ­Rolle zu: Sie sollte dahingehend optimiert werden, dass mit ihrer Hilfe diejenigen, die von einer bestimmten Therapie profitieren können, sicher von denjenigen unterschieden werden, für die diese Therapie nicht wirksam sein würde (Bestimmung des „Theratyps“). Säulen der Allergiediagnostik sind die sorgfältige Erhebung der Anamnese, die Durchführung von Hauttests und/oder dem Nachweis von allergenspezi­fischen IgE-Antikörpern im Serum, sowie die Provokationstestung. Hauttests sowie IgE-Detektion aus dem Serum werden Allergietests genannt, obwohl ihr Ergebnis das Vorliegen einer Allergie nicht beweisen kann, sondern lediglich die Sensibilisierung erfasst.

Bislang kann der Beweis einer Allergie am besten mittels Provokationstests erfolgen, im Falle der ­Nahrungsmittelallergie wäre das die orale Provokation, wobei der doppelblinde placebokontrollierte orale Provokationstest den Goldstandard darstellt. Cave: Provokationen mit Allergenquellen beinhalten das Risiko von allergischen Reaktionen, die z. T. sehr schwer sein können.

Wo steht die molekulare Allergologie?

Die molekulare Allergologie umfasst die Identifikation und Charakterisierung allergener Proteine (Glyko- und Lipoproteine) in Allergenquellen wie Hausstaubmilben, Baum- und Gräserpollen, Insektengiften, Schimmelpilzen und diversen Nahrungsmitteln und ihren Einsatz zur Verbesserung der Diagnostik sowie in der Aufklärung der Sensibilisierungswege und Allergieentstehung. Die molekulare Allergiediagnostik bedient sich bereits teilweise dieser Einzelallergene in In-vitro-Detektionstests allergenspezifischer IgE-Antikörper. Darüber hinaus gibt es für einige Allergenquellen schon Therapiestudien, die auf molekular-allergologischen Konzepten ­basierend die allergenspezifische Immuntherapie optimieren sollen. Somit ist die molekulare Allergologie sowohl eine grundlagenwissenschaftliche Disziplin als auch klinisch ein bedeutender sich entwickelnder Bereich.

Nomenklatur einzelner Allergene

Ein Beispiel für die Identifikation und Charakterisierung von Einzelallergenen ist die Entdeckung der Defensine der Erdnuss sowie die Aufreinigung der Oleosine aus der Ölfraktion der Erdnuss [1-3]. Es handelt sich dabei um aufwendige Prozeduren, die über Jahre gehen, bis die Proteine so rein sind, dass sie für den Nachweis von IgE-Antikörpern im Serum von Patientinnen und Patienten verwendet werden können.

Kommt es zu einer solchen IgE-Bindung, bedeutet das, dass die entdeckten Proteine allergene Potenz haben. Der nächste akademische Schritt ist dann, sie beim Allergen-Nomenklatur-Subkomittee der Weltgesundheitsorganisation (WHO)/Internationalen Vereinigung der Immunologie-Gesellschaften (IUIS) anzumelden, damit sie einen Namen erhalten und in die Datenbank aufgenommen werden (www.allergen.org). Dabei geht es um einen Gutachterprozess, demzufolge die angemeldeten Allergene festgelegten Kriterien entsprechen müssen [4].

Hierzu zählen die exakte Dokumentation der Aminosäuresequenz des angemeldeten (Glyko-, Lipo-)Proteins, seine Allergenität, für die die IgE-Reaktivität unter Verwendung von Seren von mindestens 5 Betroffenen, die auf die entsprechende Allergenquelle allergisch reagieren, mittels immunologischer ­Methoden nachgewiesen werden muss, sowie seine biochemischen und funktionellen Charakteristika. Der dann vergebene offizielle Name setzt sich aus der Abkürzung der lateinischen Gattungsbezeichnung der Allergenquelle (die ersten 3 oder 4 Buchstaben), dem ersten oder den ersten 2 Buchstaben des Speziesnamens und der Allergennummer (zumeist) in der Reihenfolge der Entdeckung des Allergens zusammen. So heißt z. B. das Majorallergen der Birke Betula verrucosa Bet v 1 [5-7].

Inzwischen gibt es sehr viele Allergene, die aber ­relativ wenigen Allergen-/Proteinfamilien zugeordnet werden können. So lassen sich Nahrungsmittelallergene wie die Erdnussallergene in die Familien Profiline, Bet v 1-­Superfamilie, Lipidtransferproteine, Oleosine, Defensine, Cyclophiline und Cupine einteilen (Abb. 2) [8,9].

Proteinfamilien und ihre Bedeutung

Neben den Profilinen und Polcalcinen gehören die kreuzreaktiven Kohlenhydratdeterminanten (CCD) und die Cyclophiline zu den Panallergenen. Diese führen zur Kreuzsensibilisierung, d. h., im Serum sensibilisierter Betroffener lassen sich IgE gegen z. T. viele verschiedene pflanzliche Allergenquellen finden, wobei diese IgE eher in seltenen Fällen mit allergischen Symptomen nach Exposition zu den entsprechenden Allergenquellen einhergehen.

Die Bet v 1-homologen Proteine in Nahrungsmittelallergenquellen sind in Nordeuropa für die Kreuzsensibilisierungen und Kreuzallergien zwischen ­Birkenpollen und Nahrungsmittelallergenquellen wie Kern- und Steinobst, Baumnüsse, Erdnüsse und einigen Gemüsesorten verantwortlich. Dies führt zu Pollen-assoziierten oder sekundären Nahrungs­mittelallergien, da die Sensibilisierung der Erkrankten durch die Inhalation von Birkenpollen erfolgt. Die Allergene dieser (Super-)Familie sind thermol­abil und durch enzymatischen Verdau zerstörbar, d. h., in gut hitzeprozessiertem Zustand können die entsprechenden Nahrungsmittel (Obst und Gemüse) ohne Symptome verzehrt werden.

Das stellt sich für die Cupin-Superfamilie gänzlich anders dar: Allergene, die dieser Familie angehören, also z. B. die Speicherproteine der Erdnuss oder der Baumnüsse, sind assoziiert mit primären Nahrungsmittelallergien. Aufgrund ihrer Thermostabilität und Verdauresistenz werden sie für schwere Reaktionen verantwortlich gemacht. Im Fall der Erdnuss kommt es durch den Röstungsprozess sogar zu einer Verstärkung der Allergenität der Speicherproteine sowie der Oleosine [3].

Zur Abklärung, ob eine Patientin oder ein Patient eine primäre Erdnussallergie oder eine Pollen-­assoziierte Erdnussallergie hat, empfiehlt es sich, neben dem Bet v 1-Homologen, Ara h 8, auch ­wenigstens ein Speicherprotein, das Ara h 2 (und/oder Ara h 1, Ara h 3, Ara h 6) einzusetzen. Für die Haselnussallergie ist das Bet v 1-Homolog das Cor a 1. Hohe Konzentrationen von IgE gegen Cor a 9 und besonders Cor a 14 (positiver prädiktiver Wert [PPV] 90 % = 48 kU/l) sind vermutlich ein guter Prädiktor einer primären Haselnussallergie mit potenzieller Vorhersage des Risikos anaphylaktischer Reaktionen [10].

Oleosine sind Membran-stabilisierende Proteine von Lipidspeicherorganellen z. B. der Erdnuss und assoziiert mit schweren Reaktionen auf Erdnuss, Haselnuss, Sesam und Buchweizen. Sie gelten wie die Speicherproteine als Markerallergene für das Risiko, schwer auf eine Nahrungsmittelallergenquelle zu reagieren [11].

Defensine sind antimikrobielle Proteine, die in einigen Pflanzen als Allergene beschrieben wurden. Eigene Untersuchungen konnten ihre potenzielle Assoziation zu schweren Reaktionen nach Erdnusskonsum zeigen [1].

Gibberellin-regulierte Proteine sind pflanzliche Allergene, die Pollen-assoziierte Nahrungsmittelallergien auslösen können, welche mit schweren Reaktionen einhergehen, da diese Allergene thermostabil und verdauresistent sind. Beispiele sind die in Pfirsich und Granatapfel identifizierten Allergene Pru p 7 und Pun g 7, in Orange das Cit s 7 und in der japanischen Aprikose das Pru m 7 [12,13].

Allergene aus der Gruppe der Lipidtransferproteine (LTP) sind primäre Sensibilisatoren im mediterranen Raum, wo sie mit schweren Reaktionen auf Nahrungsmittel assoziiert sind. Inzwischen gibt es allerdings mehr und mehr Berichte auch über LTP-bedingte schwere Allergien in Nordeuropa bei Patienten und Patientinnen, die nicht Bet v 1-, sondern LTP-sensibilisiert sind. Bei Sensibilisierungen gegen LTP aus mehr als 5 unterschiedlichen Allergenquellen war das Risiko ebenfalls deutlich erhöht, schwer zu reagieren [14,15].

Bezüglich der kreuzreaktiven Kohlenhydratepitope (CCD) unterscheidet man inzwischen die klassischen CCD, die Panallergene sind und daher die Spezifität der IgE-Detektion einschränken, von der Galactose-α-1,3-Galactose (alpha-GAL) [16]. Alpha-GAL löst, wie man seit 2008 weiß, schwere verzögerte Anaphylaxien auf Säugetierfleisch und -produkte sowie Säugetierinnereien aus. Das alpha-GAL-Syndrom ist darüber hinaus die einzige Allergie, die zu den Zecken-übertragbaren Erkrankungen gezählt wird, weil Menschen über Zeckenstiche sensibilisiert ­werden können [17].

Funktionsweise der molekularen Allergiediagnostik

Für die Routineallergiediagnostik steht bislang nur ein kleiner Teil der Einzelallergene verschiedener Allergenquellen zur Verfügung, sodass die In-vitro-Diagnostik nach wie vor schwerpunktmäßig auf den Gesamtextrakten der Allergenquellen basiert. Für viele klinisch relevante Fragestellungen ist der Einsatz der unterschiedlichen Kategorien der Markerallergene bereits unerlässlich: Bei Anaphylaxien auf Lebensmittel, deren exakte Ursache unklar ist, kann die Prüfung auf IgE gegen Speicherproteine, LTP oder alpha-GAL (je nach Anamnese) diagnostisch wegweisend sein (Tab.).

Dadurch, dass immer mehr Einzelallergene identifiziert und mit ihrer Hilfe individuelle Sensibilisierungsprofile der Patientinnen und Patienten erstellt werden können, gelang es, die Ursache für das seltene Versagen allergenspezifischer Immuntherapien aufzuklären. So konnte z. B. das Fehlen bestimmter Allergene in Therapieextrakten (Api m 10 im Bienengiftextrakt und Der p 5, Der p 7 und Der p 21 im Hausstaubmilbenextrakt) bei entsprechend sensibilisierten ­Erkrankten dazu führen, dass die Therapie bei ihnen erfolglos blieb [18,19].

Individuelle Sensibilisierungsprofile wiesen in eigenen Untersuchungen darauf hin, dass ein sensitization count (Anzahl der Allergene, auf die eine Person sensibilisiert ist) von > 3 Hausstaubmilben(HSM)-Allergenen assoziiert ist mit dem gleichzeitigen Auftreten verschiedener allergischer Erkrankungen und eher ein Asthma bronchiale als nur eine Rhinitis vorlag [20]. Die molekulare Allergieforschung arbeitet auch daran, Verlaufsparameter der Krankheitsentstehung und -dynamik zu identifizieren. Studien zur HSM-Allergie bei Kindern ergaben, dass IgE gegen Der p 1 und insbesondere gegen Der p 23 in frühem Lebensalter einen Hinweis auf die Entstehung von Asthma in späteren Jahren gab [21].

Die molekulare Allergiediagnostik konnte durch Identifikation weiterer Einzelallergene bereits vielfach falsch-negative Befunde aufheben. Mit ihrer Hilfe konnten unklare Anaphylaxien ursächlich aufgeklärt werden. In dieser Indikation sind Markerallergene der Extraktdiagnostik deutlich überlegen. Angesichts der Tatsache, dass mehr und mehr Pricktestallergenlösungen vom Markt genommen werden, ist die Weiterentwicklung und Optimierung der molekularen Allergiediagnostik essenziell. Der IgE-Nachweis kann als Singleplex-, aber auch als Multiplex-Assay erfolgen.

Da es sich bei der Antikörper-basierten Allergiediagnostik um Sensibilisierungstests, nicht aber um den Beweis einer Allergie handelt, ist es entscheidend, die Ergebnisse gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten auf ihre klinische Relevanz zu prüfen. Positive sIgE-­Ergebnisse sind dann klinisch relevant, wenn sie mit allergischen Symptomen einhergehen.

Die Autorin

Prof. Dr. med. Uta Jappe
Klinische und Molekulare Allergologie
Forschungszentrum Borstel
Leibniz-Lungenzentrum
Mitglied im Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL)
Airway Research Center North (ARCN) und Interdisziplinäre Allergie-Ambulanz, MKIII (Pneumologie), UKSH, Campus Lübeck, Universität zu Lübeck

ujappe@fz-borstel.de

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Bildnachweis: wernerimages (Adobe Stock); privat; rikkyal, ZU_09 (gettyimages)

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