Kontrazeptionsberatung heißt immer, zwischen den individuellen Wünschen und den Risikofaktoren abzuwägen. Das kann mitunter durchaus aufwendig sein, letztlich findet sich aber für jede Patientin eine passende Lösung. Dieser Beitrag gibt Tipps für die Praxis.
0Obwohl die Angst vor Hormonanwendungen zunimmt, spielen hormonelle Kontrazeptionsmethoden in Deutschland immer noch eine wichtige Rolle. Dies betrifft vor allem die Anwendung kombinierter oraler Kontrazeptiva (KOK). Andere Applikationsformen wie Vaginalring oder insbesondere das transdermale kontrazeptive Pflaster werden eher selten genutzt. Dabei sind Gestagenmonopillen, Depotgestageninjektionen oder Gestagenimplantate in vielen Risikosituationen eine willkommene Alternative. Auch intrauterine Kontrazeptionsmethoden erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, wobei neben der herkömmlichen Kupferspirale auch Kupferketten und der Kupferball angewendet werden. Hinzukommen intrauterine hormonelle Kontrazeptionsmethoden, die heute häufiger auch bei jüngeren Patientinnen angewendet werden. Eine Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, bei der im Dezember 2018 705 Frauen von 18 – 49 Jahren zu den verwendeten Kontrazeptionsmethoden interviewt wurden, zeigt folgende Verteilung: orale Kontrazeptiva 47 %, Kondome 46 %, intrauterine Kontrazeption 10 %, Sterilisation des Mannes 3 %, Sterilisation der Frau 2 %, Vaginalring 2 %, Dreimonatsspritze 1 %.
Die Kontrazeption dient vor allem der Verhinderung ungewollter Schwangerschaften, deswegen werden von den Patientinnen sehr sichere Methoden bevorzugt. Sehr wichtig und gewünscht sind aber in bestimmten Situationen die Nebeneffekte, wie Reduktion der Dysmenorrhoe, die Regulation von Zyklusstörungen oder auch positive Effekte auf Androgenisierungserscheinungen (Akne, Hirsutismus). Bei bestimmten Erkrankungen haben sich gerade KOK auch therapeutisch bewährt, z. B. bei Endometriose oder beim polyzystischen Ovarial-Syndrom. Im Vordergrund sollten zunächst immer die Wünsche der Patientinnen stehen, wobei insbesondere die Länge des Zeitraums der gewünschten Kontrazeption relevant ist. Es ist wenig sinnvoll, mit einer Patientin, die in einem Jahr schwanger werden will, eine Langzeitkontrazeptionsmethode zu besprechen. Anderseits finden aber Langzeitkontrazeptionsmethoden nun auch bei jüngeren Patientinnen eine größere Akzeptanz.
In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass Patientinnen hier einen hohen Beratungsbedarf haben und z. B. intrauterine Verhütungsmethoden durchaus auch aus medizinischer Sicht eine sinnvolle Alternative darstellen. Während früher Langzeitkontrazeptionsmethoden hauptsächlich von Patientinnen angewendet wurden, die älter als 35 Jahre waren und bei denen die Familienplanung abgeschlossen war, bietet sich heute ein anderes Bild. Das liegt unter anderem daran, dass das Durchschnittsalter der Frau bei der ersten Entbindung heute bei ca. 31 Jahren liegt, sodass der Zeitraum mit Verhütung vor der ersten Schwangerschaft länger ist. Ferner gibt es Frauen, die nach langjähriger Anwendung von KOK eine gewisse Pillenmüdigkeit entwickeln und gerne zu anderen Methoden wechseln möchten. Sie möchten entsprechend beraten werden. Von den Langzeitkontrazeptionsmethoden ist die Depot-Medroxyprogesteron-acetat(MPA)-Spritze für junge Frauen eher weniger geeignet. Neben weiteren Risiken ist die mitunter lange Zeit nach dem Absetzen des Depot-MPA, bis zu der eine erneute Ovulation eintritt, bei Kinderwunsch nicht akzeptabel. Sie kann bis zu neun Monaten betragen.
Bei der gesunden Patientin sind die individuellen Wünsche bezüglich der Kontrazeption vorrangig. Vorher ist es aber wichtig, alle Risikofaktoren zu erfassen, um bei Risikokonstellationen auch gezielt beraten zu können. Bei Patientinnen, bei denen absolute und relative Kontraindikationen bestehen, sind mögliche Alternativen auszuwählen und anzuwenden. Ein Hauptfokus liegt hierbei bei der Erfassung thromboembolischer Risiken (Familien- als auch Eigenanamnese). Gegebenenfalls ist hier auch eine zusätzliche Diagnostik von Thrombophiliefaktoren notwendig, dies sollte aber nur mit einer gezielten Fragestellung erfolgen. Ein generelles Thrombophiliescreening ist nach wie vor nicht sinnvoll. Kommt eine hormonelle Kontrazeption infrage, stellt sich dann die Frage, ob eine Kombination mit Estrogenen nötig und möglich ist. Dann stellt sich die Frage, ob estradiolhaltige oder ethinylestradiolhaltige Präparate, bei letzterem in welcher Dosierung, angewendet werden sollen. Des Weiteren muss entschieden werden, welches Gestagen genutzt wird und ob eine Anwendung im Langzyklus oder als Langzeiteinnahme sinnvoll ist. Kommen Estrogene in Risikosituationen nicht infrage, ist zu entscheiden, ob ein Gestagenmonopräparat systemisch oder intrauterin angewendet wird. Beim Verzicht auf eine hormonelle Kontrazeption stehen verschiedenen Kupfer-IUD-Varianten oder auch Barrieremethoden bzw. Methoden der natürlichen Familienplanung zur Verfügung, wobei letztere allerdings nur von ausgewählten Patientinnen anwendbar sind (Abb.). In der Praxis stellt sich häufig die Frage, welche Dosis des Ethinylestradiols verwendet werden soll. Hier spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Für viele Situationen sind 30-µg-Pillen besser, z. B. bei Zyklusunregelmäßigkeiten. Bei einem thromboembolischen Risikofaktor sind eher 20-µg-Ethinylestradiolpillen zu bevorzugen (Tab. 1 und 2). In der Praxis ist dies manchmal problematisch, z. B. bei der adipösen Patientin, die einerseits ein erhöhtes thromboembolisches Risiko hat, aber andererseits auch häufiger Blutungsstörungen. Bezüglich der Auswahl des Gestagens gibt es klare Fakten im Rote-Hand-Brief von 2014, der im Dezember 2018 nochmals aktualisiert wurde (Tab. 1 und 2). Dies ist bei der Gestagenauswahl zu berücksichtigen, bedeutet aber nicht, dass ausschließlich levonorgestrelhaltige Präparate angewendet werden müssen. Die Anwendung im Langzyklus (typisch vier Blister + eine Woche Pause) oder Langzeiteinnahme (ohne jegliche Pause) wird seit vielen Jahren erfolgreich praktiziert und hat jetzt auch Eingang in die aktuellen Leitlinien gefunden. Dort wird dies ausdrücklich für Patientinnen mit zyklusabhängigen Beschwerden empfohlen, obwohl nicht alle Präparate hierzu eine spezielle Zulassung haben.
Als wissenschaftliche Grundlagen dienen einerseits die WHO-Empfehlungen, die letztmalig im Jahre 2015 publiziert wurden. Diese geben eine gute Übersicht für die Anwendung der Methoden in Risikosituationen. Die WHO-Empfehlung 1 oder 2 bedeutet, dass eine Methode bedenkenlos angewendet werden kann, während bei WHO 3 eine relative Kontraindikation besteht. Hier darf nur im Ausnahmefall diese Methode angewendet werden. WHO 4 bedeutet eine absolute Kontraindikation. In einigen Situationen ist die WHO-Klassifikation etwas unspezifisch, z. B. erfolgt keine Differenzierung der unterschiedlichen Adipositasgrade. Einige relevante Erkrankungen fehlen auch. Seit August 2019 steht nun eine aktuelle Leitlinie „Hormonelle Empfängnisverhütung“ der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe zur Verfügung. Neben den WHO-Empfehlungen und den Leitlinien hormoneller Empfängnisverhütung sollten allerdings auch immer die aktuellen Rote-Hand-Briefe des BfArM beachtet werden, z. B. zum potenziell erhöhten Suizidrisiko unter kombinierten oralen Kontrazeptiva.
Das Alter der Patientin stellt prinzipiell keine Kontraindikation für eine Kontrazeptionsmethode dar. Auch kombinierte orale Kontrazeptiva werden von der WHO bei Patientinnen über 40 Jahre mit 2 bewertet. In der Praxis ist es jedoch so, dass diese Patientinnen doch Alternativen wünschen, zumal dann doch weitere oder neue Risikofaktoren auftreten. Diese müssen unbedingt aktuell erfasst werden (Nikotinabusus, Hypertonus oder Adipositas), um sicherzustellen, dass die Methode, die vielleicht vor 20 Jahren für die Patientin adäquat war, immer noch ohne Bedenken weiter verordnet werden kann. Die jährliche Erfassung und Dokumentation von Risikofaktoren vor der Weiterverschreibung von z. B. KOK ist auch aus forensischer Sicht sehr wichtig. Auch bei der adoleszenten Patientin bestehen prinzipiell keine Kontraindikationen für eine Kontrazeptionsmethode. Auch die Diskussion um den negativen Effekt von niedrig dosierten Pillen auf den Knochen bleibt in der Leitlinie aufgrund fehlender wissenschaftlicher Daten ohne praktische Konsequenzen. Somit können alle Kontrazeptionsmethoden unter Beachtung der vorgegebenen rechtlichen Voraussetzungen bei Jugendlichen verwendet werden. Depot-MPA ist allerdings hier nicht geeignet, da dies einen negativen Effekt auf die Knochendichte haben kann. Intrauterine Methoden sind zwar oft nicht die erste Wahl bei Adoleszenten. Prinzipiell besteht aber bei unter 18-jährigen Nulliparae keine Kontraindikation (WHO 2).
Bei der Adipositas (Body-Mass-Index, BMI, über 30) stuft die WHO die Anwendung aller Methoden mit WHO 1 oder 2 ein. Die deutsche Leitlinie geht hier differenzierter vor, da ein höherer BMI (z. B. Adipositas 3. Grades: BMI > 40) auch mit einem erhöhten Thromboserisiko einhergeht. Hier werden intrauterine Verhütungsmethoden oder nicht hormonelle Methoden bei Adipositas Grad 2 und 3 empfohlen.
Wenn Risikofaktoren vorliegen, die anhand der bekannten Checklisten erfasst werden können, sollten kombinierte hormonelle Kontrazeptiva nicht verordnet werden. Das betrifft auch Vaginalring und Pflaster sowie generell alle Präparate, einschließlich der Levonorgestrelpräparate. Die alternative Anwendung von Gestagenmonopräparaten gestaltet sich in der Praxis in diesen Situationen nicht immer ganz einfach, da es doch häufiger zu Blutungsstörungen kommt, aber auch Ovarialzysten entstehen und die Wirkung auf Androgenisierungserscheinungen fehlt. Da in Deutschland derzeit leider nur ein Gestagenmonopräparat (Desogestrel 75 µg) verfügbar ist, sind dann auch Alternativen gefragt, wie z. B. Gestagenimplantate. Eine Ausnahme stellt hier auch nach den Leitlinienempfehlungen das Depot-MPA dar, da laut Daten aus zwei Studien ein erhöhtes Risiko für venöse Thromboembolien auch bei gesunden Frauen gefunden wurde. Bei Frauen, die in der Familien- oder Eigenanamnese Risikofaktoren haben und dann ein Thrombophiliescreening durchgeführt wurde, ist zu beachten, welche Faktoren genau vorliegen. Das Risiko erhöht sich nochmals erheblich, wenn z. B. eine homozygote Form einer Thrombophilie vorliegt (z. B. Faktor-V-Leiden: homozygot 80-faches Risiko; heterozygot: 8-faches Risiko).
Ein Diabetes mellitus ist prinzipiell keine Kontraindikation für die Anwendung von KOK, wenn keine vaskulären Erkrankungen oder Folgeerscheinungen vorliegen. KOK mit androgener Restwirkung oder Depotgestagene sollten möglichst zurückhaltend angewendet werden. Für Depot-MPA gibt es eine Studie, die zeigt, dass hier häufiger ein Diabetes mellitus Typ 2 manifest werden kann, wenn z. B. anamnestisch ein Gestationsdiabetes vorliegt. Intrauterine Kontrazeptionsmethoden stellen für Diabetikerinnen langfristig oft eine gute Alternative dar.
Dass ein Nikotinabusus ein wesentlicher Risikofaktor unter der Pille darstellt, ist im Allgemeinen bekannt. Hierzu gibt es Studien, die zeigen, dass das relative thromboembolische Risiko mit der Anzahl der Zigaretten pro Tag ansteigt. Daher sollte auch die Anzahl genau erfasst werden. Problematisch wird es oft in der Praxis, wenn die Patientin über 35 Jahre alt ist und mehr als 15 Zigaretten am Tag raucht. Dann besteht aufgrund der WHO-Empfehlung eine absolute Kontraindikation für KOK. Auch das Risiko für einen Myokardinfarkt erhöht sich bei Raucherinnen unter der Anwendung von KOK um den Faktor 2–10. Da dieser Risikofaktor vermeidbar ist, gehört es auch zur Beratung in der Praxis, die Patientin zu motivieren, das Rauchen einzustellen oder zu reduzieren, da sonst keine KOK verordnet werden können. Zum Einfluss von Elektrozigaretten auf das kardiovaskuläre Risiko bei Patientinnen, die KOK anwenden, besteht bisher keine Evidenz.
Ein Hypertonus ist ebenfalls eine relative bzw. absolute Kontraindikation für die Anwendung von KOK. Es ist sehr wichtig, bei jeder Konsultation den Blutdruck zu messen. Hier sollten möglichst auch KOK vermieden werden. Entscheidet man sich für ein Präparat, sollte ein 20-µg-Ethinylestradiolpräparat oder alternativ ein 20-µg-Estradiolpräparat verordnet werden. Dies ist aber nur bei gut eingestelltem Hypertonus ohne zusätzliche Risikofaktoren möglich.
Die Prävalenz der Migräne ist bei Frauen mit 18 % deutlich höher als bei Männern mit 6 %. Daher ist dies ein häufiges Problem bei der Kontrazeptionsberatung. Bei zyklusabhängigen Kopfschmerzen, die nicht migräneartig sind, können KOK sogar von Nutzen sein. Hier ist eine Langzeiteinnahme zu bevorzugen. Auch die kontinuierliche Gestagenmonotherapie führt zu einer Verbesserung der klinischen Symptomatik.Problematisch ist die Situation bei Vorliegen einer Migräne. Eine wesentliche Frage ist, ob diese mit oder ohne Aura ist. Die Frage muss gegebenenfalls durch einen Neurologen konsiliarisch geklärt werden. Bei einer Migräne mit Aura sind alle KOK absolut kontraindiziert (WHO 4), da das Apoplexrisiko in dieser Situation durch die Anwendung von KOK 6-fach erhöht ist. Bei einer dauerhaft auftretenden Migräne mit Aura wird auch die Gestagenmonotherapie als WHO 3 eingestuft. Hier sind dann intrauterine Verhütungsmethoden zu bevorzugen. Diese Risikosituationen erfordern in der Tat eine sehr gute Differenzierung, da einerseits die hormonelle Kontrazeption hilfreich für die zyklischen Kopfschmerzen sein kann, andererseits bei einer Migräne mit Aura ein signifikant erhöhtes Risiko ist.
Wenn eine fokuläre noduläre Hyperplasie sicher differenzialdiagnostisch von Leberadenomen oder Hämangiomen abgegrenzt ist, besteht hier keine Kontraindikation für die Anwendung von KOK, wobei auch hier niedrig dosierte Ethinyl-estradiolpräparate oder Estradiolpräparate zu bevorzugen wären.
Für die Anwendung von Ovarialzysten sind KOK keine therapeutische Option. Dies wird auch durch ein Cochrane-Review bestätigt. Andererseits sind KOK mit höheren Ethinylestradioldosierungen in der Prävention von Ovarialzysten, insbesondere bei der Anwendung im Langzyklus, durchaus hilfreich.
Bezüglich Libidoveränderungen führt die Leitlinie an, dass hier kein kausaler Zusammenhang zwischen Pille und Sexualität besteht. Während es bei einigen Frauen (ein Drittel) zu einer Zunahme der Libido kommt, kommt es bei einem Drittel zu keiner Veränderung und bei einem Drittel wird die Libido reduziert. Ob hier wirklich wesentliche Unterschiede zwischen den einzelnen Substanzgruppen bestehen, ist wissenschaftlich nicht belegbar.
Im Rote-Hand-Brief von 2019 auf Basis der dänischen Registerstudien wird darauf hingewiesen, dass ein gering erhöhtes Suizidrisiko bei der Erstanwendung von Pillen bei Jugendlichen besteht. Hierzu wird bereits auch über die mögliche Bias publiziert (z. B. Partnerschaftsprobleme bei 15- bis 19-jährigen Patienten, familiäre Belastung, häufigere Arztbesuche). Auch wenn der Rote-Hand-Brief klarstellt, dass keine Kausalität gesichert ist, sollte die junge Patientin bei der Erstanwendung von KOK darauf hingewiesen werden, dass Stimmungsschwankungen auftreten können. Beim Auftreten von Stimmungsschwankungen, die bevorzugt in den ersten Anwendungsmonaten auftreten, sollte dann zeitnah wieder der Frauenarzt aufgesucht werden. Wir sollten dieses Problem besonders in die Aufklärung bei der Erstverordnung miteinbeziehen.
Der Autor
Prof. Dr. med. Thomas Römer
Chefarzt der Frauenklinik in Köln-Weyertal
Herausgeber des Journals DER PRIVATARZT GYNÄKOLOGIE
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