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Allgemeinmedizin

GLP-1-Agonisten und SGLT-2-Inhibitoren

Diabetes wird kardiologisch

PD Dr. med. Thomas Jax

15.9.2020

Die Daten großer kardiovaskulärer Outcome-Studien der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass neuere Diabetes­wirkstoffe wie GLP-1-Agonisten und SGLT-2-Inhibitoren das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduzieren und die Prognose von Diabetespatienten insgesamt verbessern können. Die positiven Ergebnisse spiegeln sich in den Empfehlungen der neuen europäischen Leitlinie wider.

Der Diabetes mellitus Typ 2 ist eine chronisch fortschreitende und multifaktorielle Erkrankung, die meist mit schwerwiegenden Komorbiditäten und einer erhöhten Mortalität einhergehen kann. Lange Zeit stand bei der Therapie des Diabetes die Kon­trolle der Blutglucose im Vordergrund. Der Erfolg wurde entweder anhand der Nüchternglucose oder der Langzeitwerten gemessen. Dabei ist schon lange bekannt, dass Diabetiker ein erheblich erhöhtes Risiko haben, an kardiovaskulären Komplikationen zu versterben.

Paradigmenwechsel in der DiabetesTherapie

Entscheidend für die spätere Prognose des Patienten mit Typ-2-Diabetes ist es, das individuelle kardiovaskuläre Risiko zu beachten und rechtzeitig kardio­orientiert zu therapieren. Voraussetzung dafür ist, dass der Typ-2-Diabetes schon in einer frühen Phase oder sogar in einer Vorstufe, dem sogenannten Prä-diabetes, erkannt wird. Durch Ernährungsumstellung, Lebensstiländerung und Bewegung besteht dann die Chance, eine manifeste Stoffwechselerkrankung zu verhindern. Darüber hinaus zeigt eine frühe medikamentöse Intervention einen überproportional lang anhaltenden Effekt auf die Prognose des jeweiligen Patienten („metabolisches Gedächtnis“).

Nach aktuellen Berechnungen ist trotz solcher Interventionen die Lebenserwartung bei Typ-2-Diabetes deutlich reduziert. Die Anzahl der verlorenen Jahre ist etwa so hoch wie bei Patienten, die einen Myokardinfarkt erlitten haben (ca. acht Jahre). Hat ein Diabetespatient einen Myokardinfarkt oder einen Schlaganfall, addiert sich das Risiko und es ergeben sich rechnerisch bezogen auf die Lebenszeit bei Männern 13 verlorene Lebensjahre und bei Frauen bis zu 16 Jahre.

Dass eine antidiabetische Therapie tatsächlich die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität senken und die Prognose der gefährdeten Patienten verbessern kann, dafür gab es bis vor wenigen Jahren noch keine verlässlichen Daten. Aktuelle Studienergebnisse der etwa vergangenen vier Jahre haben nun jedoch zu einem Paradigmenwechsel geführt, bei welchem der Reduktion des kardiovaskulären Risikos bei Patienten mit Diabetes mellitus mithilfe von Antidiabetika eine ganz neue Bedeutung zukommt. Zunehmende Evidenz aus großen kardiovaskulären Endpunktstudien veranlasste die europäischen Fachgesellschaften für Kardiologie (ESC) und Diabetologie (EASD) eine Neufassung der Leitlinien für Diabetes, Prädiabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen zu erarbeiten, die im Rahmen des ESC-Kongresses im September 2019 vorgestellt wurde.

Für die Zulassung neuer Diabetesmedikamente war bis 2008 neben Sicherheit und Verträglichkeit lediglich eine HbA1c-Senkung nachzuweisen. Damals wurden große Hoffnungen in zwei Strategien gesetzt: Zum einen wurde untersucht, ob eine Therapie mit dem Insulin-Sensitizer Rosiglitazon das kardiovaskuläre Risiko senkt. Die hohen Erwartungen wurden diesbezüglich aber enttäuscht. Die initial gesehenen positiven kardiovaskulären Effekte von Rosiglitazon wurden durch die höhere Mortalität in einer Metaanalyse gedämpft. Dies führte unter anderem dazu, dass die Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde FDA und die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA die Zulassung neuer Antidiabetika an den Nachweis einer kardiovaskulären Verträglich- und Unbedenklichkeit koppelten.

Im Rahmen einer weiteren Strategie wurde untersucht, ob durch eine rasche Senkung des HbA1c auf niedrig-normale Werte auch das kardiovaskuläre Risiko reduziert werden kann. Mehrere Studien wie ACCORD, ADVANCE und VADT zeigten dabei jedoch ein schlechteres Abschneiden der intensiv-therapierten Patienten, sodass in der Folge Unsicherheit bestand, welche HbA1c-Werte in welchen Untergruppen angestrebt werden sollten.

Neue Medikamente zur Behandlung des Diabetes mellitus sollten zur Verbesserung der Prognose auch kardiovaskuläre Endpunkte beeinflussen, oder diese zumindest im Vergleich zur bisherigen Standardtherapie nicht verschlechtern, wie es bei Rosiglitazon der Fall war. Seitdem sind für verschiedene Sub­stanzklassen kardiovaskuläre Endpunktstudien bei Patienten mit Typ-2-Diabetes durchgeführt worden, insbesondere im Bereich der inkretinbasierten Medikamente sowie der SGLT-2-Inhibitoren.

Neue Behandlungsoptionen: DPP-4-Inhibitoren, GLP-1-Analoga, SGLT-2-Inhibitoren

Inkretine sind eine Gruppe von Darmhormonen, die den Stoffwechsel über eine Steigerung der Insulinsekretion und -wirkung nach einer Mahlzeit beeinflussen und so Blutzuckerschwankungen reduzieren. Das zurzeit für therapeutische Ansätze genutzte Inkretinhormon GLP-1 (glucagon like peptide-1) stimuliert glucoseabhängig die Insulinfreisetzung, jedoch erst bei Blutzuckerspiegeln über 120 mg/dl. GLP-1-Analoga bzw. GLP-1-Rezeptoragonisten binden wie das Peptidhormon an den GLP-1-Rezeptoren, wodurch nicht nur die Insulinsekretion gefördert und die Glucagonausschüttung gehemmt, sondern auch der Appetit und das Körpergewicht vermindert werden. Durch diesen Mechanismus verbessern GLP-1 bzw. Inkretinmimetika die Stoffwechseleinstellung von diabetischen Patienten bei nur sehr geringem Hypoglykämierisiko. Ähnlich funktionieren Inhibitoren der Dipeptidylpeptidase-4 (DPP-4), die den Abbau endogener Inkretine, insbesondere des GLP-1, reduzieren und somit deren Halbwertszeit und therapeutische Wirkung verlängern.

Beide Substanzklassen verbessern die Stoffwechsel­einstellung, wobei GLP-1-Analoga den DPP-4-­Inhi­bitoren hinsichtlich der Senkung des HbA1c überlegen zu sein scheinen. Die Rate an Nebenwirkungen ist niedrig; insgesamt werden sowohl die GLP-1-­Analoga als auch die DPP-4-Inhibitoren als sehr sicher angesehen.

Zu den neueren Antidiabetika gehören auch Medikamente, deren Effekte auf der Hemmung des Proteins SGLT 2 (sodium-glucose linked transporter 2) beruhen. SGLT-2-Inhibitoren blockieren den gleichnamigen Transporter in der Niere, der Glucose aus dem Primärharn zurücktransportiert. Durch diese Blockierung wird Glucose über den Urin ausgeschieden. Auch dieser Mechanismus ist abhängig von der Glucosekonzentration im Blut. Durch den Verlust der Glucose verbessert sich die Stoffwechse­l­einstellung. In Studien erwiesen sich SGLT-2-Inhibitoren ebenfalls als sicher und nebenwirkungsarm.

Abb.: Therapiealgorithmen nach den neuen europäischen Leitlinien

Eindrucksvolle Effekte in kardiovaskulären Endpunktstudien

Alle drei Substanzklassen sind heute in der Diabetestherapie fest etabliert. Insbesondere für einige SGLT-2-Inhibitoren wie Empagliflozin, Canagliflozin und Dapagliflozin sowie für einige GLP-1-Analoga (u. a. Liraglutid, Semaglutid, Albiglutid, Dulaglutid) konnte innerhalb der letzten Jahre in großen Endpunktstudien eine deutliche Senkung der kardiovaskulären Ereignisraten dokumentiert werden.

Obwohl die Endpunkte in den verschiedenen Studien ähnlich definiert waren – jeweils eine Kombination aus kardiovaskulärer Mortalität, Infarkt, Schlaganfall oder Krankenhausaufnahme aufgrund einer Herzinsuffizienzsymptomatik –, unterscheiden sich die Substanzklassen bei näherer Betrachtung. Bei den SGLT-2-Inhibitoren steht die Senkung der Herzinsuffizienz assoziierten Morbidität im Vordergrund, bei den GLP-1-Analoga überwiegt der Anteil der reduzierten Infarktrate an den jeweiligen kombinierten Endpunkten.

In der LEADER-Studie konnte Liraglutid das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse um 13 % senken. Die einmal wöchentlich erfolgende Injektion des GLP-1-­Rezeptoragonisten senkte das kardiovaskuläre Risiko in der SUSTAIN-6-Studie sogar um 26 % gegenüber Placebo. Diese Studie war jedoch eher klein und zudem nicht für den Nachweis einer Überlegenheit von Semaglutid ausgelegt. Eine neue, orale Formulierung von Semaglutid zeigte in der PIONEER-6, die im Sommer 2019 vorgestellt wurde, eine 21%ige Senkung des kardiovaskulären Risikos bei Patienten mit Typ-2-Diabetes im Vergleich zu Placebo.

Die DAPA-HF-Studie untersuchte den Einfluss des SGLT-2-Inhibitors Dapagliflozin auf die Prognose von Patienten mit einer systolischen Herzinsuffizienz. In dieser Studie wurden erstmals auch nicht diabetische Patienten eingeschlossen. Dabei zeigte sich eine 26%ige Senkung des kardiovaskulären Morbiditäts- und Mortalitätsrisikos, und zwar unabhängig davon, ob der Patient Diabetes hat oder nicht. Damit könnte es nun, wie Spezialisten spekulieren, insbesondere für die Indikation einer Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion (HFrEF) eine neue Therapieoption geben, von der auch Herzinsuffizienzpatienten ohne Diabetes profitieren können. Die genauen Wirkmechanismen, die sich hinter diesem eindrucksvollen Effekt des SGLT-2-­Hemmers verbergen, sind bislang jedoch noch nicht identifiziert.

Kardiovaskuläres Risikoprofil rückt in den Vordergrund

Die herausragenden Studienergebnisse führten unter anderem dazu, dass bei der Neufassung der ESC/EASD-Leitlinien die Therapiealgorithmen vollständig überarbeitet wurden. Damit gehen die Autoren bei ihren neuen Empfehlungen einen großen Schritt weiter als in vorhergehenden weltweiten Leitlinien. Ziel der Neufassung ist die Bereitstellung aktueller Empfehlungen zur Vorbeugung und zum Umgang mit den Auswirkungen von Diabetes auf Herz und Kreislauf.

Bisher stand in den Leitlinien eine Senkung des HbA1c-Wertes im Vordergrund; zusätzlich wurden Niereninsuffizienz, Hypoglykämieneigung und Kosten bei der Empfehlung der jeweiligen Therapie­schwerpunkte berücksichtigt. Erstmals rückt jetzt jedoch der HbA1c-Wert in den Hintergrund. Das kardiovaskuläre Risikoprofil bzw. entsprechende Vorerkrankungen definieren aus Sicht der Verfasser den Einstieg und die Eskalation der antidiabetischen Therapie. Es werden drei Gruppen von Diabe­tespatienten hinsichtlich ihres kardiovaskulären Risikos unterschieden, völlig unabhängig vom Ausgangs-HbA1c:

In den neuen Leitlinien werden bei allen Patienten mit hohem oder sehr hohem Risiko GLP-1-Analoga und SGLT-2-Inhibitoren schon als First-Line-Therapie für neu diagnostizierte, bisher Medikamenten-naive Diabetiker definiert. Wenn danach der HbA1c-Wert hoch bleibt oder ansteigt, soll Metformin hinzugenommen werden, erst noch später folgt die Empfehlung anderer Substanzklassen. Analog sollen Patienten, die bisher auf Metformin eingestellt waren und ein hohes bis sehr hohes kardiovaskuläres Risiko haben, sofort einen GLP-1-Rezeptoragonisten oder einen SGLT-2-Hemmer zusätzlich verordnet bekommen, erst danach erfolgt eine Eskalation in andere Substanzklassen hinein. Die Leitlinien empfehlen außerdem SGLT-2-Inhibitoren als Erstlinientherapie bei Typ-2-Diabetikern mit einem hohen Risiko für Herzinsuffizienz und zur Prävention und Therapie einer chronischen Nierenerkrankung.

Nur Patienten mit moderatem Risiko sollen zunächst auf Metformin eingestellt werden oder können auf einer Metformin-Monotherapie weitergeführt werden. Als HbA1c-Zielwert gilt einheitlich ein Wert von < 7 % bzw. < 53 mmol/mol, sowohl zur Verhinderung von mikrovaskulären als auch makrovaskulären Komplikationen, wobei diese Ziele individualisiert in Abhängigkeit von Alter, Krankheitsdauer und Komorbiditäten betrachtet werden sollten.

FAZIT & Ausblick

Die Prävalenz für Diabetes mellitus nimmt weltweit weiterhin zu, was vor allem auf das höhere Lebensalter der Bevölkerung und Veränderungen des Lebens­stils zurückzuführen ist. Von den geschätzt 463 Millionen erwachsenen Diabetikern weltweit leiden etwa 90 % der Erkrankten unter Typ-2-Diabetes. Epidemiologen haben berechnet, dass bis 2045 die Zahl der Typ-2-Diabetiker auf bis zu 700 Millionen ansteigen wird. Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind bedeutende Komplikationen bei Typ-2-­Diabetes. Das Mortalitätsrisiko, bedingt durch eine kardiovaskuläre Erkrankung, insbesondere Herzinsuffizienz und KHK, ist bei Menschen mit Typ-2-­Diabetes höher als bei Menschen ohne Diabetes.

Umso bedeutungsvoller sind die positiven Daten großer kardiovaskulärer Outcome-Studien der vergangenen Jahre, die mit neuen Diabeteswirkstoffen wie SGLT-2-Hemmer und GLP-1-Agonisten durchgeführt wurden. In die aktualisierten Leitlinien haben diese neuen Informationen Eingang gefunden. Die genannten Antidiabetika können bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen die langfristige Prognose verbessern, wie die Studienergebnisse gezeigt haben. Zukünftige Weiterentwicklungen werden die Therapie weiter vereinfachen und für die Patienten zunehmend komfortabler machen. Es existieren insbesondere von Seiten der Patienten, gelegentlich aber auch aus ärztlicher Wahrnehmung, Vorbehalte gegenüber subkutanen Injektionen, die bislang noch für die Nutzung der GLP-1-Analoga nötig sind. Um dem entgegenzukommen, wurde eine orale Formulierung des GLP-1-Rezeptoragonisten Semaglutid entwickelt. Dafür wurde ein Weg gefunden, das kurzkettige Eiweiß gegen den enzymatischen Abbau im Magen und Darm zu schützen und intakt in die Blutbahn zu bringen. Die orale Formulierung des GLP-1-Rezeptoragonisten von Semaglutid befindet sich noch im europäischen Zulassungsprozess. In den USA wurden die ersten Tabletten mit Semaglutid im September 2019 zugelassen. Eine Überprüfung der Wirksamkeit auch bei Patienten ohne Diabetes hinsichtlich der kardiovaskulären Risikoreduktion steht noch aus. Man geht davon aus, dass die der kardiovaskulär protektiven Wirkung von GLP-1-­Analoga zugrunde liegenden Mechanismen auch bei Patienten ohne manifesten Diabetes mellitus greifen könnten.

In Bezug auf die Gruppe der SGLT-2-Inhibitoren werden Kardiologen in den kommenden Jahren weiterhin die Effizienz bei der Herzinsuffizienz­therapie untersuchen. Die DAPA-HF-Studie war nur die erste von mehreren, noch laufenden Studien mit dieser Indikation. Sollten sich die Daten so bestätigen, steht in diesem Bereich der nächste Paradigmenwechsel an. Auf diese Weise würden die ersten der neuen Antidiabetika die „Seiten wechseln“ und gewissermaßen zu kardiologischen Medikamenten werden.

Der Transfer in den praktischen Alltag läuft seit einiger Zeit und bisher in kleineren Schritten. Als Vorreiter sind Empagliflozin und Liraglutid mit einem Zusatznutzen bei Patienten mit Diabetes nach Myokardinfarkt vom G-BA anerkannt. Liraglutid wird neu bei Patienten mit manifester koronarer Herzerkrankung und schlechter Blutzuckerkontrolle innerhalb des Disease-Management-Programms bei KHK empfohlen. Diese Schritte gehen in die richtige Richtung.

Inwieweit sich die großen Veränderungen der europäischen Leitlinie in den deutschen Leitlinien und danach in der deutschen Versorgungswirklichkeit wiederfinden wird, bleibt noch abzuwarten. Die Patienten werden von diesen neuen Entwicklungen jedoch in hohem Maße profitieren.

Der Autor

PD Dr. med. Thomas Jax
Facharzt für Innere Medizin
und Kardiologie
Ärztehaus St. Antonius
41366 Schwalmtal

Literatur beim Autor

Bildnachweis: Univ.-Prof. Dr. med. Jorge Frank

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