Von „intelligenten“ Wundauflagen wie den Smart Dressings über moderne Hautersatzverfahren und systemische Behandlungsansätze mit spezifischen Antikörpern bis hin zu Telemedizin und KI – im Bereich der Versorgung chronischer Wunden wird viel geforscht und manches sogar schon eingesetzt.
Die Wundversorgung hat sich in den vergangenen Jahren erheblich weiterentwickelt. Dabei ist neben aller Innovation, die im Bereich der Wundtherapeutika zunehmend auf den Markt kommt, weiterhin die Wichtigkeit der diagnostischen Abklärung chronischer Wunden zu betonen, da nur so eine kausaltherapeutische Behandlung eingeleitet werden kann. Die aktuelle Forschung arbeitet daran, geeignete Biomarker zu identifizieren, mit deren Hilfe neue Therapiemaßnahmen zielgerichtet und individualisiert bei den Betroffenen eingesetzt werden können.
Neue Diagnostika
Das Vorhandensein einer Infektion oder einer kritischen Kolonisation ist einer der relevantesten Faktoren für das fehlende Eintreten einer adäquaten Wundheilung. Die Diagnose einer Infektion basiert in der täglichen Praxis nach wie vor auf der ärztlichen Bewertung klinischer Anzeichen wie Schmerzen, Erythem, Ödemen oder zunehmender Exsudation [1].
Ob eine Kolonisation oder eine beginnende Infektion vorliegen und wie groß deren Ausmaß ist, ist mit diesen klinischen Maßnahmen jedoch oft schwierig festzustellen und zu quantifizieren. Die Detektion von Bakterien durch Autofluoreszenz wurde bei verschiedenen Arten von chronischen Wunden validiert. Die Technologie basiert auf der Möglichkeit, die durch Bestrahlung mit violettem Licht bei einer Wellenlänge von 405 nm induzierte Autofluoreszenz von Bakterien nachzuweisen. Während normales Gewebe grün gefärbt ist, leuchten die meisten Bakterien rot, da sie durch Stoffwechselvorgänge Porphyrine produzieren oder wie im Falle des Pyoverdins von Pseudomonas aeruginosa auf die Lichtquelle reagieren und ein bestimmtes Farbmuster hervorrufen. Der Einsatz der recht handlichen Geräte direkt am Patientenbett ermöglicht nicht nur, eine bakterielle Belastung in Echtzeit zu detektieren, sondern auch die Effektivität antimikrobieller Maßnahmen zu messen, z. B. von Debridementverfahren zur Entfernung bakterieller Biofilme auf der Wunde (Abb. 3) [2].
Personalisierte Therapieansätze
Die Individualisierung der Wundtherapie erlaubt dem Behandler, eine zielgerichtete und wirksame Therapie einzusetzen, basierend auf genetischen, immunologischen und metabolischen Profilen des Individuums und seiner Wunde. Die Ausrichtung der Therapie an den spezifischen Bedürfnissen jedes und jeder Einzelnen verbessert die Erfolgsaussichten der Wundheilung – dies gilt lokal in Bezug auf das individuelle Biomarkerprofil der einzelnen Wunde wie natürlich auch systemisch unter Berücksichtigung der persönlichen Lebens- und Versorgungssituation der Behandelten. Bislang existieren keine strukturierten diagnostischen Ansätze, um das lokale Milieu einer chronischen Wunde auf entscheidende Marker hin zu screenen, die für die Wundregeneration verantwortlich sind und die durch entsprechende therapeutische Maßnahmen adressiert werden könnten. Die Definition relevanter Biomarker ist daher Gegenstand aktueller Forschung (Abb. 1) [3].
Dabei sind insbesondere die Hard-to-heal-Wunden von Interesse für die Forschung, also Wunden, die trotz adäquater Therapie der Grunderkrankung und unter Verwendung moderner Therapiemethoden nicht zur Abheilung zu bringen sind. Die Identifikation von Faktoren, die beeinflussen, dass aus einer chronischen Wunde eine nicht heilende Wunde wird [4], ist noch nicht abschließend geklärt und schränkt den zielgerichteten Einsatz vieler der in diesem Artikel beschriebenen Next-Generation-Wundtherapien ein. Biologische Prozesse, die durch neue Therapiekonzepte angesprochen werden sollen, sind die chronische Inflammation, beispielsweise vermittelt durch einen Makrophagenshift hin zu proinflammatorischer Aktivierung, die auch in per se nicht inflammatorisch bedingten Wunden wie dem Ulcus cruris venosum zu finden ist, aber auch Neoangiogenese, Hypoxie-Zustände oder überschießende Proteolyse und die damit verbundene Stagnation der Wundheilung. Einige der relevantesten Biomarker der Wundheilung, die derzeit im Fokus der Grundlagenforschung stehen, sind beispielsweise der pH-Wert des Wundexsudats und im Gewebe, die Proteasenverteilung im Wundmilieu sowie inflammatorische Zytokinaktivierungen oder die Quantifizierung der mikrobiellen Kolonisation und deren Relevanz für oder gegen eine Progredienz der Wundheilung. Um nicht nur die Bedeutung eines einzelnen Biomarkers zu klären, sondern die Gesamtheit der komplexen biologischen Prozesse im Verlauf der Wundheilungsphasen aufzuklären, werden Ansätze aus der Systembiologie wie „Next Generation Sequencing“, Bioinformatik oder Proteomik genutzt, allerdings derzeit noch auf der Stufe der Grundlagenforschung ohne direkte Anwendungsmöglichkeiten in der Patientenversorgung.
Lokale Wundtherapie und Hautersatzverfahren
Ein optimaler Wundverband soll ein hydroaktives, feuchtes Wundmilieu schaffen, dabei überschüssiges Exsudat adäquat aufnehmen und halten, thermische Stabilität gewährleisten, einen atraumatischen Verbandwechsel ermöglichen und gleichzeitig nicht allergen oder immunogen aktiv sein. Die Weiterentwicklung interaktiver Wundverbände, die in direkte Aktion mit dem Wundmilieu treten und dieses direkt beeinflussen, ist ein interessanter Aspekt aktueller Forschungen, gleichzeitig aber auch Gegenstand der derzeitigen politischen Diskussion um die Erstattungsfähigkeit solcher Wundauflagen. Der nicht nur politisch geforderte Nutzennachweis dieser Wundauflagen beeinflusst derzeit die Forschungslandschaft klinischer Studien [5].
Die gerade aktualisierte S3-Leitlinie „Lokaltherapie chronischer Wunden bei den Risiken CVI, pAVK und Diabetes mellitus“ der AWMF zeigt, dass die Evidenzlage für Wundauflagen noch gering ist [6]. Die Frist für die Erbringung eines Nutzennachweises durch die Hersteller und einen positiven Bescheid durch den Gemeinsamen Bundesausschuss für Wundauflagen der Kategorie „sonstige Produkte zur Wundbehandlung“ nach neuer Verbandmitteldefinition wurde kürzlich – und vermutlich nun endgültig – auf den 02.12.2024 verlängert [7] (siehe auch Beitrag auf S. 50–51). Abzuwarten bleibt nun, wie sich der Markt bei fehlender Erstattungsfähigkeit für bestimmte Wundprodukte neu sortiert und welche in der klinischen Praxis etablierten Therapien dann fallweise fehlen. So stehen beispielsweise silberhaltige Wundauflagen auf dem Prüfstand. Mit Hochdruck wird zudem an „Smart Dressings“ geforscht, die durch eingebaute Sensoren ermöglichen, Biomarker wie die Temperatur direkt in der Wunde zu messen und an Mobilgeräte zu übertragen (Abb. 2).
Gerade im Bereich von Hautersatzmaterialien werden zunehmend neue biotechnologische Ressourcen für den klinischen Einsatz genutzt. Das Einsatzgebiet liegt hier vor allem in der chirurgischen Versorgung von Wunden nach ausreichender Wundkonditionierung oder postoperativ. Jedoch erreicht die Empfehlung des Einsatzes von synthetischen Hautersatzmaterialien in der S3-Leitlinie allenfalls einen Empfehlungsgrad 0 („kann erwogen werden“) angesichts der aktuellen Evidenzlage. Ein 2023 publiziertes Übersichtspapier der European Wound Management Association (EWMA) zeigt jedoch die vielfältigen Möglichkeiten, die in naher Zukunft aus dem innovativen Bereich des „Bioengeneerings“ zu erwarten sind [8]. Die Auswahl des geeigneten Hautersatzmaterials ist dabei abhängig von der Verfügbarkeit, der Anwendungserfahrung der Behandelnden, der Art und Lokalisation der Wunde und der Patientenpräferenzen [9].
Hat der Einsatz allogener Stammzellen [10] oder extrazellulärer Matrizes, beispielsweise aus Fischhaut, bereits Einzug in die klinische Anwendung gehalten, sind Verfahren wie der 3D-Druck erst noch in der Anfangsphase der klinischen Forschung [11] – zumindest in Bezug auf die Versorgung chronischer Wunden.
Systemtherapeutika
Während für die „klassischen“ chronischen Wunden wie vaskuläre Ulzera, diabetisches Fußsyndrom oder Dekubitalulzera nur wenig neue Erkenntnisse zu systemischen Therapieansätzen bestehen, entwickelt sich der Markt an Systemtherapeutika für immunologisch bedingte Wunden sehr rasch. Bei Vaskulitiden oder Pyoderma gangraenosum (PG) (Abb. 4) kann neben den bekannten Immunsuppressiva aus einer Reihe von Immunmodulatoren und Biologika gewählt werden. Bei Vorliegen von Komorbiditäten aus dem rheumatologischen oder gastroenterologischen Formenkreis sind gemeinsame Therapieempfehlungen in interdisziplinären Fallkonferenzen zu befürworten. Insbesondere, wenn der Einsatz neuer Therapeutika wie Januskinase-Inhibitoren für seltene immunologische Ursachen chronischer Wunden wie dem PG im Off-Label-Bereich liegt.
Physikalische Therapieverfahren
Eine überschaubare Anzahl an physikalischen Therapieverfahren hat sich im Laufe der vergangenen Jahre auf dem Markt etabliert und wird regelhaft in der klinischen Routine angewendet [6]. Hierzu zählen neben der Vakuumversiegelung auch die hyperbare Sauerstofftherapie und die Kaltplasmatherapie, die jedoch meist nur an spezialisierten Wundzentren verfügbar sind. Zudem ist die Frage der Kostenübernahme für diese Therapieverfahren nicht abschließend geklärt und erschwert Menschen mit chronischen Wunden den Zugang zu diesen Behandlungen.
Künstliche Intelligenz
Die Nutzung Künstlicher Intelligenz hat bereits breiten Einzug in die Dermatologie gehalten und wird zunehmend auch im Wundmanagement genutzt [12]. Die Anwendungsmöglichkeiten reichen dabei von der Unterstützung bei der Wunddokumentation bis hin zur diagnostischen Einordnung und diagnostischen Analyse von Wundfotografien. Zukünftig werden vor allem Assistenzsysteme mit diagnostischen oder therapeutischen Algorithmen die Wundbehandler unterstützen und so eine breitflächigere, spezifizierte Wundbehandlung auch in unterversorgten Regionen ermöglichen.
Neben allen innovativen lokalen Therapieansätzen dürfen auch andere Aspekte der Patientenversorgung nicht aus dem Blick geraten [13]. Die Einbeziehung der Betroffenen, ihrer Angehörigen und der individuellen Situation in die gemeinsame Entscheidungsfindung mit dem Behandlungsteam hat das Erarbeiten therapeutischer Handlungskonzepte international mitbestimmt. Die Partizipation der Patientinnen und Patienten und deren gezielte Edukation und Beachtung persönlicher Therapieziele und Wünsche führt nicht nur zu einer erhöhten Therapieadhärenz, sondern kann auch direkt die Wundheilung positiv beeinflussen. Der Einsatz telemedizinischer Möglichkeiten kann dabei auch Menschen helfen, die keinen direkten Zugang zu in der Wundversorgung spezialisierten Behandlerinnen und Behandlern haben.
Die Autorin
PD Dr. med. Cornelia Erfurt-Berge
Hautklinik, Uniklinikum Erlangen
Medizinisches Wundzentrum ICW/DDG
1 Dissemond J et al., J Wound Care 2020; 29: 726–34
2 Maurice Moelleken et al., Int Wound J 2020; 17: 1011–8
3 Rembe JD et al., hautnah dermatologie 2023; 39: 24–31
4 Dissemond J et al., Dermatologie 2022; 73: 550–5
5 Erfurt-Berge C et al., WUNDmanagement 2021; 6
6 Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung (DGfW), S3-Leitlinie 7 „Lokaltherapie chronischer Wunden bei den Risiken CVI, PAVK und Diabetes mellitus“, AWMF-Reg.-Nr. 091–001, 2023
7 https://www.g-ba.de/themen/arzneimittel/arzneimittel-richtlinie-anlagen/verbandmittel-wundbehandlung/ (Stand: 17.01.2024)
8 Piaggesi A et al., J Wound Management 2023; 24: S1–130
9 Stetkevich S et al., Eplasty 2023; 23: e51
10 Kerstan A et al., JID Innov 2022; 2: 100067
11 Weng T et al., J Tissue Eng 2021; 12: 20417314211028574
12 Malihi L et al., Stud Health Technol Inform 2022; 295: 281–4
13 Stürmer EK et al., Dtsch Arztebl 2023; 120
14 Mostafalu P et al., Small 2018; 14: 1870150
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