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Dermatologie

Dermatoonkologie

ASCO 2024 – Siegeszug der Neoadjuvanz

Dr. med. Christine Adderson-Kisser

21.8.2024

Mit über 200 Sessions rund um die Onkologie fand der diesjährige Kongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) vom 31. Mai bis 4. Juni 2024 in Chicago statt. Als Vertreter der Dermatoonkologie präsentierte Prof. Dr. med. Axel Hauschild (Kiel) wichtige Melanom-Daten aus Deutschland.

Prof. Dr. med. Axel Hauschild
medermis Kiel GmbH
sowie
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel

Herr Prof. Hauschild, Sie kommen gerade vom ASCO-Kongress in Chicago, wie war die Stimmung unter den Dermato­onkologen vor Ort?

In diesem Jahr haben relativ wenige Dermatoonkologinnen und -onkologen aus der DACH-Region am Kongress in Chicago vor Ort teilgenommen. ­Viele haben die Möglichkeit genutzt, virtuell dabei zu sein. Die Stimmung unter den deutschsprachigen Kolleginnen und Kollegen war ausgezeichnet, da viele neue und sehr spannende therapeutische Ergebnisse berichtet wurden und dies auch noch unter reger Beteiligung von Zentren aus der ­DACH-Region.

Würden Sie uns bitte etwas zu den Highlights beim Melanom erzählen?

Ja, gerne doch, denn es gab zahlreiche Highlights. Ich hoffe, es wird mir nicht übel genommen, wenn ich meinen eigenen Vortrag in den Vordergrund schiebe, da es sich hier um eine randomisierte Zulassungsstudie handelte und ich diese Ergebnisse vor mehreren tausend Zuhörerinnen und Zuhörern in einem großen Vortragssaal darstellen durfte. So eine Gelegenheit bekommt man wahrlich nicht jeden Tag!

Die PIVOTAL-Studie untersuchte neoadjuvant appliziertes intraläsionäres Daromun beim resektablen, lokal fortgeschrittenen Melanom im Stadium III. Hierbei handelt es sich um ein Immunozytokin, das sowohl tumorinfiltrierende Lymphozyten (TIL) anlockt als auch zu einer lokalen Tumornekrose führt. Daromun wurde in Haut- und Lymphknotenmetastasen in wöchentlichen Abständen viermal hintereinander appliziert, bevor alle Tumoren vollständig exzidiert wurden. In der Kontrollgruppe wurde gleich operiert, was ja dem heutigen Standard entspricht. Das rezidivfreie Überleben und auch das fernmetastasenfreie Überleben wurden statistisch signifikant durch die Vorbehandlung mit Daromun verbessert und das, obwohl ein Drittel der Patientinnen und Patienten bereits vor Beginn der neoadjuvanten eine adjuvante Immuntherapie erhalten hatte. Da das intraläsionäre Daromun auch noch exzellent vertragen wurde, stellt sich jetzt die Frage, wie es weitergeht. Dem Vernehmen nach hat der Hersteller und Studiensponsor bereits einen Zulassungsantrag bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) eingereicht.

Die neoadjuvante Therapie ist also auf dem Vormarsch. Was gab es zu diesem spannenden Thema sonst noch zu berichten?

In der Tat, der Siegeszug der neoadjuvanten Therapie ist kaum aufzuhalten. Die randomisierte Studie von Christian Blank aus Amsterdam (NADINA) verglich unsere Standardtherapie (Operation gefolgt von adjuvanter Therapie) bei makroskopisch positiven lokoregionären Metastasen in der Haut oder im Lymphknoten mit einem neoadjuvanten Therapieschema. Es besteht aus nur zwei Zyklen der „Flip-dose“-Ipilimumab/Nivolumab-Therapie, in der Ipilimumab mit nur 1 mg/kg Körpergewicht niedrig dosiert verabreicht wird. Mehr als 50 % der so Behandelten zeigten eine pathologisch bestätigte komplette Remission und erhielten deshalb keine postoperative Therapie. In dieser randomisierten Phase-III-Studie mit dem Endpunkt „event-free survival“ (EFS) zeigte sich bereits nach einer kurzen, 10-monatigen Nachbeobachtungszeit ein dramatischer Unterschied in den Überlebenskurven: 83,7 % aller Patientinnen und Patienten nach neoadjuvanter Ipilimumab/Nivolumab-Therapie blieben tumorfrei, verglichen mit 57,2 % unter konventioneller Therapie.

Welche Konsequenzen sind aus dieser Studie für die aktuelle Leitlinien­diskussion abzuleiten?

Man darf die Studie durchaus als einen Paukenschlag bezeichnen, da mit einem Auseinanderdriften der Überlebenskurven nach so kurzer Zeit nicht gerechnet werden konnte. Zumindest für die Patientinnen und Patienten mit resektablen und palpablen Haut- und Lymphknotenmetastasen sollte damit in jeder Tumorboard-Diskussion bereits jetzt die neoadjuvante Therapieoption diskutiert werden.

Ich bin aus zwei Gründen aber eher skeptisch, was eine Zulassung dieses Therapieschemas angeht: Erstens handelt es sich nicht um eine von der Pharmaindustrie geplante und unterstützte Studie und zweitens ist das hier verwendete Flip-dose-Dosisschema der Immuncheckpoint-Blockade nicht identisch mit dem zugelassenen Schema. Unabhängig davon bin ich jedoch der Meinung, dass diese neoadjuvante Therapie in den Leitlinien bereits jetzt eine gebührende Empfehlung bekommen und auch durchaus mit den Kostenträgern verhandelt werden sollte. Die Ergebnisse sind einfach zu gut, um sie unseren Patienten und Patientinnen vorzuenthalten!

Wird damit die derzeitige adjuvante Therapie vielleicht hinfällig?

Nein, davon bin ich absolut nicht überzeugt, denn die Ergebnisse der adjuvanten Therapie, auch auf dem ASCO 2024, waren ausgesprochen verheißungsvoll. Lediglich für diejenigen, die unter einer neoadjuvanten Therapie eine komplette Remission erreichen, wäre zukünftig zu diskutieren, ob hier eine rein abwartende Haltung („wait & see“) eingenommen wird.

Das Update der COMBI-AD-Zulassungsstudie zu Dabrafenib und Trametinib mit den finalen Daten auch für das Gesamtüberleben zeigt einfach, dass eine adjuvante Therapie mit diesem BRAF- und MEK-Inhibitor bei BRAF-Mutierten ausgesprochen stark wirksam ist, insbesondere im Hinblick auf die rezidivfreie Überlebenszeit. Dass bezüglich des Gesamtüberlebens die Ergebnisse knapp die Signifikanz verpasst haben, ist wohl in erster Linie darauf zur­ückzuführen, dass nach zehn Jahren nur 60 % der ursprünglich kalkulierten Anzahl an Personen verstorben sind. Dies betrifft sowohl den Therapie- als auch den vergleichenden Placebo-Arm. Ist das nicht ein wunderbares Ergebnis? Es zeigt schlichtweg, was für einen Fortschritt wir auch und gerade bei der Therapie im Stadium IV, also dem fernmetastasierten Melanom, gemacht haben, wenn so viel weniger der Betroffenen versterben als gedacht.

Was gab es denn sonst noch zur adjuvanten Therapie auf dem Kongress zu berichten?

Besonders beeindruckend fand ich die 3-Jahres-Ergebnisse der KEYNOTE-942-Studie zu Pembrolizumab allein versus Pembrolizumab mit einer personalisierten mRNA-Vakzine (V940), gerichtet gegen maximal 42 Neoantigene des patienteneigenen Tumors. Die dritte Zwischenanalyse zeigte in dieser randomisierten Phase-II-Studie nochmals bessere Ergebnisse als die Analysen davor – mit einer fast 50%igen Verbesserung des rezidivfreien Überlebens und einer 61%igen Verbesserung des fernmetastasenfreien Überlebens für die Kombination mit der mRNA-Vakzine. Und – erstaunlicherweise – zeigten sich keine zusätzliche Toxizität und insbesondere keine zusätzlichen Autoimmun-Nebenwirkungen durch diese intramuskulären Injektionen. Die Phase-III-Zulassungsstudie rekrutiert derzeit recht schnell – auch in Deutschland (s. nebenstehend).

Es sieht ja momentan so aus, als ob für Unbehandelte viele Therapieoptionen bestehen, aber was ist mit denen, die auf herkömmliche Therapien refraktär sind?

Ja, das ist in der Tat eine ganz wichtige Frage, die nur im Rahmen von klinischen Studien beantwortet werden kann. Zahlreiche Studien wurden in der Zweitlinientherapie nach Versagen insbesondere von PD-1-Antikörpern durchgeführt, aber keine dieser Studien zeigte bisher einen durchschlagenden Erfolg. Zumeist lagen die Remissionsraten zwischen 10 % und 20 % und man wusste nicht recht, was man mit den Ergebnissen eigentlich in der Praxis anfangen soll. Auf dem ASCO-Kongress zeigte sich ein für mich und viele andere Expertinnen und Experten überraschend gutes Ergebnis einer Studie (IGNYTE), die Nivolumab nach PD-1-Antikörper-Versagen zusammen mit intraläsionärem RP1 applizierte. Bei RP1 handelt es sich um eine onkolytische Vakzine, die in Tumoren gespritzt werden muss. In dieser Studie war es möglich, nicht nur Haut- und Lymphknotenmetastasen damit zu behandeln, sondern auch viszerale Metastasen – durch einen interventionell tätigen Radiologen. Insgesamt 156 Patientinnen und Patienten waren eingeschlossen worden, von denen etwa die Hälfte nicht nur mit einem PD-1-Antikörper, sondern sogar der Kombination aus Ipilimumab und Nivolumab erfolglos vorbehandelt war. Für diese Menschen haben wir momentan nicht gerade viel im Köcher. Die Remissionsrate lag bei 32,7 %, die Rate der kompletten Remissionen bei 14,7 %. Wichtiger ist jedoch zu erwähnen, dass die Dauer der Remissionen trotz Zweitlinientherapie im Median bei drei Jahren lag. Nicht unerwähnt bleiben soll in diesem Zusammenhang, dass weitere Studien auch zum Non-Melanoma Skin Cancer initiiert wurden, die ebenfalls in Zwischenauswertungen gute Resultate insbesondere für Basalzellkarzinome, Plattenepithelkarzinome, Merkelzellkarzinome, aber auch Angiosarkome trotz Vorbehandlung zeigten. Hier tut sich also eine relativ breite Möglichkeit des Einsatzes bei Hauttumoren auf.

Stichwort Non-Melanoma Skin Cancer, gab es hier etwas Neues?

Nicht so richtig. Es gab einige – wie man so sagt – „unterstützende“ Daten zu vorherigen Studien, aber nicht wirklich einen Therapiedurchbruch. Hier werden wir vielleicht noch auf den europäischen Krebskongress (ESMO) warten müssen, der im September 2024 in Barcelona stattfinden wird.

Was ist Ihr Fazit nach fünf Tagen ASCO-Tagung in Chicago?

Dieser Kongress ist für mich einfach einmalig und ich habe ihn in den letzten 32 Jahren bis auf die Coronazeit immer besucht! Tolle Vorträge, interessante Diskussionen, beeindruckende Teilnehmerzahlen (ca. 45 000 in diesem Jahr) und ein Treffen unter Kollegen und Freunden aus aller Welt. Last but not least soll auch der mittlerweile traditionelle „ASCO Melanoma Bike Ride“ nicht unerwähnt bleiben: Hierbei handelt es sich um eine Rennradtour entlang des Michigan Lake in kontinentübergreifender Besetzung einer kleinen, aber feinen Gruppe aus befreundeten Melanom-Experten. Das war auch wirklich die einzige Erholung auf einem ansonsten extrem intensiven, aber sehr schönen Kongress!

Vielen Dank für dieses Gespräch.

Bildnachwes: privat

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