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Allgemeinmedizin

Adipositas

Mehr als nur Übergewicht

Dr. med. Yuri Sankawa

27.7.2021

Per definitionem ist Adipositas eine über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung des Körperfetts. Als eigenständige chronische Erkrankung ist die Adipositas mit einem breiten Spektrum von Komorbiditäten assoziiert und bedingt einen beträchtlichen Anteil der weltweiten Krankheitslast.

Nach Angaben des Robert Koch-Instituts sind in Deutschland 43% der Männer und 29% der Frauen übergewichtig (Daten der Studie Gesundheit in Deutschland aktuell [GEDA] 2014/2015-EHIS, Europäische Gesundheitsbefragung). Zudem weisen 18% aller Erwachsenen in Deutschland ab 18 Jahren einen BMI≥30 kg/m2 auf und sind damit nach Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stark übergewichtig (adipös). Die Adipositas-Prävalenz hat in den vergangenen Dekaden zugenommen, und die assoziierten Folgeerkrankungen stellen die Gesundheitssysteme auf nationaler wie globaler Ebene vor erhebliche Herausforderungen [1]. Mit der kürzlich erfolgten Beauftragung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) für die Entwicklung eines strukturierten Behandlungsprogramms (DMP, Disease-Management-Programm) dürfte die seit vielen Jahren von der Ärzteschaft geforderte interdisziplinäre Betreuung der Adipositas-Patienten im Zuge einer leitliniengerech­ten Regelversorgung in greif­bare Nähe rücken [2].

Metabolisches Syndrom, CV-Komplikationen und (Prä-)Diabetes

Während der Body-Mass-Index (BMI) das Ausmaß des Übergewichts erfasst, wird das Fettverteilungsmuster als entscheidender Faktor für das metabolische und kardiovaskuläre Gesundheitsrisiko angesehen: Die viszerale Fettmasse zeigt sich eng mit kardiovaskulären Risikofaktoren und Komplikationen korreliert [3]. Übergewicht und Adipositas – mit der Betonung auf das vermehrte viszerale Fettdepot – gelten auch als entscheidender Treiber des metabolischen Syndroms [4]. Dieses geht wiederum mit einer Vielzahl von Komplikationsrisiken einher, da­runter das erhöhte Risiko für Arteriosklerose mit kardio- und zerebrovaskulären Komplikationen, eine nicht alkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD) und/oder Diabetes mellitus Typ 2. Die genauen pathophysiologischen Mechanismen, die zu den metabolischen Veränderungen und Folgeerkrankungen führen, sind allerdings nach wie vor nicht vollständig verstanden. Neben Lebensstilfaktoren und (epi-)genetischen Faktoren werden bei der Entstehung chronischer Erkrankungen wie Adipositas und Diabetes mellitus derzeit auch kritische Interaktionen zwischen proinflammatorischen Immunantworten und metabolischen Veränderungen intensiv diskutiert [5]. Das metabolische Syndrom spielt auch bei ­bestimmten Formen des Prädiabetes eine Rolle: Patienten mit Prädiabetes – definiert als IFG (erhöhter Nüchternblutzucker) und/oder IGT (erhöhter Wert im Glucosetoleranztest) – haben ein jährliches Konversionsrisiko von 5–10% zu Diabetes und können bereits vor einer Diabetes-Manifestation Komplikationen wie eine Nephropathie entwickeln [6].

Übergewicht und Atopie?

Ein möglicher Link zwischen Übergewicht und ­atopischen Erkrankungen wird diskutiert: Die Frage, ob die epidemische Verbreitung von Übergewicht bzw. Adipositas zu einem Anstieg der Zahl von ­Patienten mit atopischen Erkrankungen geführt hat oder umgekehrt ein Inzidenzanstieg der Atopien die Zunahme übergewichtiger Individuen begünstigt, ist bislang nicht abschließend geklärt. Die Datenlage ist teilweise widersprüchlich: Neben Studien aus den USA und Kanada, die relevante Assoziationen zwischen Übergewicht und atopischen Erkrankungen bei ­Erwachsenen berichteten, ließen u.a. ältere Daten aus Australien keinen Zusammenhang zwischen Übergewicht und einem erhöhten Allergierisiko ­erkennen [7]. Eine jüngere chinesische Fall-Kontroll-Studie mit Erwachsenen gelangt zu dem Schluss, dass Patienten mit einer vorbestehenden atopischen ­Erkrankung auch eher Übergewicht entwickeln [8]. Der Zusammenhang zwischen atopischem Asthma und Übergewicht scheint gesichert – insbesondere bei Kindern mit Übergewicht [9,10].

Immobilisierende Gelenkerkrankungen

Eine hohe Gewichtsbelastung hat auch mechanische Konsequenzen für den Bewegungsapparat: So zieht die Adipositas häufiger degenerative Erkrankungen wie Wirbelsäulensyndrome, Coxarthrose, Gonarthrose oder Rückenbeschwerden nach sich. Besonders häufig ist das Kniegelenk bei Adipösen betroffen, aber auch das Risiko für Hüftgelenksarthrosen sowie Gelenkersatz aufgrund von Arthrose steigt [3].

Fettgewebe als Schmerztrigger

Neben der eingeschränkten körperlichen Funktion und dem allgemeinen Wohlbefinden berichten Adipöse häufiger von chronischen Schmerzen, z.B. Rückenschmerzen [3]. Viele adipöse ­Patienten beklagen lokalisierte oder generalisierte Schmerzen, wobei die Ursachen nicht nur im Zuge einer mechanischen Überlastung auftreten, sondern auch durch entzündliche Zytokine verstärkt bzw. verursacht sein können. So sind Schmerz-Patienten mehrheitlich übergewichtig oder ­adipös, wobei die zugrunde ­liegenden Pathomechanismen auch hier noch nicht vollständig verstanden sind. Es gibt aber Hinweise, dass die metabolisch-endokrine Funktion des Fett­gewebes ­pathophysiologisch relevant ist – mit dem Ergebnis, dass die viszerale Adipositas ein proinflammatorisches Milieu und Hyperalgesie ­begünstigt [11].

1 Schienkiewitz A, Journal of Health Monitoring 2017; DOI 10.17886/RKI-GBE-2017-025
2 DDG: Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung – Punkt II.8 Entwicklung eines DMP Adipositas (11/12/2020)
3 Leitlinie „Prävention und Therapie der Adipositas“ (AWMF-Nr. 050–001); Version 2.0 (2014)
4 Hauner H et al., Diabetologe 2019; 15: 573–579
5 Hotamisligil GS, Immunity 2017; 47: 406–420
6 Fritsche A et al., Diabetologe 2021; 17: 26–31
7 Schachter LM et al., Thorax 2001; 56: 4–8
8 Xie B et al., Sci Rep 2017; 7: 43672
9 Rzehak P et al., J Allergy Clin Immunol 2013; 131: 1528–1536
10 Lang JE et al., Pediatrics 2018; 142: e20182119
11 Reuss-Borst M, Akt Rheumatol 2016; 41: 310–315

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