Ab Dezember 2024 ändert sich die Erstattung von Verbandmitteln für gesetzlich Versicherte. Kompressen, Binden und Pflaster bleiben erstattungsfähig, während Produkte mit Wirkstoffen oder nicht formstabile Produkte nicht mehr von der Kasse bezahlt werden. Eine Herausforderung für alle Betroffenen.
Pflaster, Verbände und Wundauflagen oder kurz Verbandmittel, wie der Gesetzgeber sie im § 31 SGB V nennt, sind zur Versorgung von Verletzungen und Wunden unverzichtbar. Das Spektrum dieser Produkte erstreckt sich von einfachen Wundschnellverbänden, Binden und Kompressen über Salbengitter und Folien bis zu den modernen Verbänden mit mehreren tausend Vertretern.
Diese Produkte werden in Bezug auf die Verordnung in Arztpraxen zu Lasten der GKV dem Arzneimittelbudget zugeordnet. Sie sind damit weder Hilfsmittel noch Heilmittel und spielen oft eine nicht unwesentliche Rolle in Bezug auf die wirtschaftliche Verordnungssituation einer Arztpraxis.
Die moderne Versorgung chronischer Wunden sollte in keiner universitären Ausbildung fehlen.
Die Hauptgründe dafür liegen im hohen Einzelstückpreis (mindestens 10 €, teilweise über 100 € pro Wundauflage), dem unübersichtlichen Materialangebot (über 2 500 Produkte, mehr als 30 Anbieterfirmen), den vielen Fehlerquellen beim Einsatz durch Patientinnen und Patienten oder Pflegedienste und der nicht selten vorkommenden bewusst falschen Verwendung (zu häufige Wechsel, unsinnige Kombinationen etc.) durch Beratende, die am Material verdienen. Hinzu kommt das oft fehlende Fachwissen vieler Ärztinnen und Ärzte in Bezug auf eine moderne und sinnvolle Versorgung chronischer Wunden, da dieses Thema an den Universitäten meistens nach wie vor nicht vermittelt wird.
Gehörten zu den modernen oder feuchten Wundauflagen bis zum Jahre 2000 überwiegend rein physikalisch wirkende Produkte mit teilweise spannenden Eigenschaften (Hydrokolloidverbände, Schäume, Alginate, Hydrofasern, Superabsorber, Aktivkohleverbände), so kamen danach vermehrt Produkte mit Wirkstoffen wie Silber, Polihexanid, Ibuprofen sowie diversen anderen Substanzen (z. B. Honig oder Proteasehemmer) auf den Markt, deren Einzelstückpreise erheblich höher und deren Einsatzgebiete oft kaum noch klar zu definieren sind.
Klinische Wirkstudien liegen zu einem Großteil dieser Produkte genauso wenig vor wie ein Kosten-Nutzen-Nachweis oder ein Kostenüberblick über ähnlich aufgebaute oder funktionierende Wundauflagen. Damit gerät der Verordner bzw. die Verordnerin nicht selten in Konflikt mit dem § 12 SGB V, der Wirtschaftlichkeit der Verordnung.
Hersteller deklarierten vermehrt Sprays, Pulver, Emulsionen und Suspensionen als Verbandstoffe, wodurch sie über die Kasse verordnet werden konnten. Daher hat der Gesetzgeber im Jahr 2016 mit einem Referentenentwurf begonnen, die Verbandmitteldefinition zu schärfen, um Produkte, die nicht mehr darunterfallen, auch nicht mehr für GKV-Versicherte erstatten zu lassen.
Was erstattungsfähig bleibt
Als Ergebnis verschiedener G-BA-Beschlüsse, der neuen Verbandmitteldefinition im § 31 SGB V und einer mehrfach verlängerten Übergangsfrist ändert sich (Stand Januar 2024) ab dem 02.12.2024 der Anspruch gesetzlich versicherter Patientinnen und Patienten auf Verbandmittel (Abb.).
Unverändert bleiben Verbandstoffe erstattungsfähig, die ausschließlich abdecken oder saugen (Kategorie 1, eindeutige Verbandmittel), also Kompressen, Binden und Pflaster.
In die Kategorie 2 werden Verbandmittel eingeordnet, die zusätzlich auch noch ergänzende Eigenschaften haben, z. B. Gerüche binden, reinigen oder Wundkeime reduzieren. Diese Produkte werden ebenfalls weiter von der GKV bezahlt. Für die beiden Kategorien gilt, dass von den Produkten keine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung ausgeht und damit also keine Wirkstofffreisetzung in die Wunde erfolgen darf.
Nicht mehr von der Kasse erstattet werden zukünftig die „sonstigen Produkte zur Wundbehandlung“, die durch die Freisetzung von Wirkstoffen (Jod, Octenidin, Polihexanid, Silber, Ibuprofen, Honig) in der Wunde „wirken“ (Kategorie 3). Gleiches gilt für Produkte, die nicht formstabil sind (Gele, Lösungen, Suspensionen).
Erstattungsfähig mit Nachweis eines Mehrwerts
Alle dann ausgeschlossenen Verbandmittel werden ab dem 02.12.2024 nur noch von der gesetzlichen Kasse bezahlt, wenn für sie, völlig unabhängig vom individuellen Verkaufspreis, nach Antrag durch den Hersteller beim G-BA in einem speziellen Bewertungsverfahren ihr Mehrwert oder Zusatznutzen belegt wurde.
Dieser Antrag muss durch den Hersteller in Verbindung mit klinischen Prüfungen und Studien gestellt werden. Da es den betroffenen Firmen meist komplett unklar ist, welche Studien und Informationen genau benötigt werden, um die Erstattung zu erreichen, hat der Gesetzgeber am 26.07.2023 im ALBVVG (Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz) die Übergangsfrist um ein weiteres Jahr verlängert und den Weg für eine individuelle Beratung der betroffenen Hersteller durch den G-BA freigemacht.
Über die Frage, welche Verbandmittel und Produkte genau betroffen sind, lässt sich derzeit nur spekulieren. Es besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass Wundauflagen mit Silber, Jodverbindungen, Polihexanid, Honig, Naturstoffen wie Kollagen und Hyaluronsäure, aber auch Produkte ohne erkennbare Verbandstoffeigenschaft wie „Putzer“ betroffen sind.
Bis 01.12.2024 sind alle am Markt befindlichen Verbandmittel zu Lasten der Kasse erstattungsfähig.
Definitiv aufgerufen und bereits per Beschluss alle der Anlage 3 zugeordnet, sind nicht formstabile Verbandmittel. Hierzu zählen Lösungen, Sprays, Suspensionen und Emulsionen, Pulver sowie Gele. Aufgerufen und besprochen wurden ebenfalls Verbandmittel mit Honig (unabhängig davon, welcher und wie viel davon), darüber wurde aber momentan noch nicht entschieden.
Aktuell gilt für Arztpraxen: Bis zum 01.12.2024 sind weiterhin alle derzeitig am Markt befindlichen Verbandmittel zu Lasten der Kasse erstattungsfähig. Was danach noch oder auch nicht mehr bezahlt wird, müssen die Kassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen ihren Vertragsärztinnen und -ärzten rechtzeitig mitteilen – selbsterklärend ist es leider überhaupt nicht. Von diesen Änderungen überhaupt nicht direkt betroffen sind Kliniken, Rehakliniken und PKV-Versicherte.
Auswirkungen der Änderungen sind allerdings bereits spürbar, da schon einige Verbandstoffe von den Herstellern vom Markt genommen worden sind (Gele, Silberverbände, Honigwundauflagen).
Insgesamt beseitigt das Ende dieser seit 7 Jahren andauernden Gesetzesinitiative die außerordentlich unbefriedigende Situation der circa 1 Mio. Menschen mit chronischen Wunden in Deutschland leider nicht. Das Problem der hohen Verbandstoffkosten, des intransparenten Produktmarkts und der falschen Anwendungen von Verbandstoffen wird damit absolut nicht gelöst.
Hier könnten nur eine verbesserte Ausbildung (Thema Problembewusstsein für die Ursachen chronischer Wunden und ihrer ursächlichen Behandlung), die leistungsgerechte Bezahlung guter Versorgung, z. B. in Arztpraxen und durch Pflegedienste, das Schaffen spezieller Anlaufstellen für betroffene Patientinnen und Patienten (Wundzentren, Wundambulanzen, Wundpraxen) und die Entkopplung von Beratungsleistungen und Materialverkauf helfen.
Weitere Informationen und produktneutrale Versorgungsstandards
https://www.wundzentrum-hamburg.de
Preisliste Verbandstoffe zu Lasten der GKV
https://www.werner-sellmer.de/aktuelles-ab-2022.html
Der Autor
Werner Sellmer
Apotheker
25451 Quickborn
werner.sellmer@werner-sellmer.de
www.werner-sellmer.de
Werner Sellmer ist Fachapotheker für klinische Pharmazie und Vorstandsmitglied des Wundzentrums Hamburg e. V.
Bildnachweis: privat