Dass unser psychisches Wohlbefinden eng mit dem hormonellen Profil verknüpft ist, ist seit vielen Jahren bekannt. Nach aktuellen Forschungsergebnissen scheint jetzt festzustehen: Der Verlauf des weiblichen Zyklus hat maßgeblichen Einfluss auf sehr viele verschiedene Gehirnfunktionen.
Sexualhormone haben erhebliche Auswirkungen auf das Gehirn. So wird eine frühe Menopause mit einem erhöhten Risiko für eine beschleunigte Hirnalterung und Demenz im späteren Leben in Verbindung gebracht. Die Auswirkungen von Hormonschwankungen auf die Gehirnstruktur in der reproduktiven Phase sind jedoch weniger bekannt.
In diesem Zusammenhang scheint der Hippocampus eine Schlüsselregion zu sein, die ein bemerkenswertes Maß an Neuroplastizität während dieser Jahre aufweist, etwa während der Schwangerschaft [1] und während des Menstruationszyklus [2]. Der Hippocampus ist auch an der Emotionsregulation und Kognition beteiligt [3], Bereiche, die anfällig für zyklusabhängige Schwankungen sind [4]. Der Hippocampus und der erweiterte mediale Temporallappen (MTL) sind reich an Estradiol- und Progesteronrezeptoren [5,6].
Der Hippocampus ist eine Schlüsselregion, die ein bemerkenswertes Maß an Neuroplastizität zeigt.
Die Sexualsteroide passieren die Blut-Hirn-Schranke und binden zentralnervös an spezifische Rezeptoren, die in hoher Dichte in verschiedenen Strukturen des Gehirns vorkommen. Vor allem die Zentren für Lernen, Gedächtnis und Wahrnehmung werden dabei, nach einer aktuellen Studie von Dr. Rachel Zsido und Prof. Dr. med. Julia Sacher, regelhaft umgebaut [7]. Zsido forscht am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, Sacher am dortigen Uni-Klinikum. In Abstimmung mit den rhythmischen Oszillationen finden diese Veränderungen der Untersuchung zufolge am medialen Schläfenlappen (lobus temporalis) des Gehirns statt. Die neuen Erkenntnisse könnten später möglicherweise Einfluss auf die Behandlung von Frauen haben, die an M. Alzheimer oder an Depressionen leiden. Um das zu erreichen, gilt es zunächst „besser zu verstehen, wie sich das gesunde weibliche Gehirn an Veränderungen anpasst und von Sexualhormonen beeinflusst wird“ [8].
Anders als bisherige Untersuchungen konzentrierte man sich nicht nur auf einen einzigen Zeitpunkt, sondern durchmusterte das Gehirn der beteiligten 27 Frauen in einem longitudinalen Studienverlauf an 6 Terminen während des Menstruationszyklus. Die Zahl der Studienteilnehmerinnen wurde für wichtig gehalten, weil „die Muster der Hormonausschüttung […] von Frau zu Frau oft sehr unterschiedlich“ sind.
Der Tanz um die Rezeptoren
Den Studienteilnehmerinnen wurden Blutproben entnommen, mittels Ultraschall wurde das Wachstum der Follikel in den Eierstöcken und der Zeitpunkt des Eisprungs bestimmt, und ein 7-Tesla-MRT („ultra-high-field neuroimaging“) gestattete Einblick in tiefere Hirnregionen. Die beteiligten Frauen waren zwischen 18 und 35 Jahren, mit „gesundem“ Body-Mass-Index (18,5–29) und regulärem Menstruationszyklus.
Sowohl im Schläfenlappen als auch im Hippocampus befinden sich sehr viele Rezeptoren für Sexualhormone, und es werden wichtige kognitive Funktionen des Gehirns unterstützt, z. B. das episodische Gedächtnis. Der Hippocampus, ein Integrationsgebiet für Afferenzen aus sensorischen Rindenbezirken, liegt in der Tiefe des Gehirns am Schläfenlappen und beeinflusst unter anderem über seine Verbindungen mit dem Hypothalamus und damit auch mit der Hypophyse das endokrinale, viszerale und emotionale Geschehen.
Die Ergebnisse zeigen positive Assoziationen zwischen Estradiol und dem Volumen des parahippocampalen Kortex, Progesteron und den Volumina des Subiculums und des perirhinalen Areals sowie eine Interaktion zwischen Estradiol und Progesteron mit dem Volumen der Cornu ammonis 1-Subregion (CA1). Diese Hirnareale bilden sich somit synchron mit dem Menstruationszyklus um. „Ähnlich wie bei Ebbe und Flut“ sehen die Wissenschaftlerinnen das Gehirn während des 28 Tage dauernden Zyklus auf einen ständigen Rhythmus der Hormone eingepegelt.
Die naheliegende Frage, ob die Oszillationen verbunden sind mit dem erhöhten Risiko, an einer Gedächtnis- oder affektiven Störung zu erkranken, soll nach den Worten von Prof. Sacher „in verschiedenen Folgestudien“ geklärt werden. Generell werde das weibliche Gehirn in den Neurowissenschaften immer noch viel zu wenig untersucht.
„Obwohl wir wissen, dass Sexualsteroidhormone unser Lernen und unser Gedächtnis stark beeinflussen, beschäftigt sich weniger als 0,5 % der Fachliteratur in diesem Bereich mit dem Menstruationszyklus, dem Einfluss von hormonellen Verhütungsmitteln, der Schwangerschaft und der Menopause“, meinen die Autorinnen. „Das wollen wir ändern […].“ Gezielte Behandlung von Frauen mit Alzheimer oder Depressionen setze gesicherte Kenntnisse von Plastizität und Resilienz des gesunden weiblichen Gehirns in Bezug auf Sexualhormone voraus.
Der Hippocampus wird derzeit als eine „Schlüsselregion mit erheblicher Neuroplastizität“ während der reproduktiven Zeit angesehen, wichtig insbesondere für Schwangerschaft und den Menstruationszyklus. Diese Hirnregion ist aber auch an emotionaler Regulation und Kognition beteiligt. Einige neuroanatomische Subregionen des Hippocampus werden wegen ihrer „einzigartigen Zyto- und Chemo-Architektur“ als hochspeziell angesehen, die offenbar, in unterschiedlicher Ausprägung, an Alterung und Krankheitsgeschehen geknüpft sind. Areale, die bedeutungsvoll sind für das episodische Gedächtnis und die räumliche Wahrnehmung, nehmen unter hohen Estradiol- und niedrigen Progesteronspiegeln an Volumen zu.
1 Hoekzema E et al., Nat Neurosci 2017; 20: 287–96
2 Pletzer B et al., Brain Res 2010; 1348: 55–62
3 Barha CK, Galea LA, Biochim Biophys Acta 2010; 1800: 1056–67
4 Weis S et al., Brain Cogn 2019; 131: 66–73
5 González M et al., J Comp Neurol 2017; 503: 790–802
6 Brinton RD et al., Front Neuroendocrinol 2008; 29: 313–39
7 Zsido RG et al., Nature Mental Health 2023; 1: 761–71
8 MPI-Pressemitteilung „Der hormonelle Zyklus des Gehirns“ vom 13.10.2023