In der Rechtsprechung wird die Aufklärungspflicht von Ärzten und Ärztinnen zunehmend strenger bewertet, wenn von der etablierten Schulmedizin abgewichen wird. Ein aktuelles Urteil verdeutlicht, welche Anforderungen an die adäquate Aufklärung von Patientinnen und Patienten gestellt werden.
Ein jüngst veröffentlichtes Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden vom 23.07.2024 (Az. 4 U 1610/21) hat sich mit der adäquaten Aufklärung von Patienten und Patientinnen bei alternativmedizinischen Methoden beschäftigt.
Worum ging es in dem Fall?
Ein Arzt diagnostizierte bei seinem Patienten eine Schwermetallvergiftung mittels eines alternativmedizinischen Provokationstests. Anschließend therapierte er die Vergiftung mit einer „Ausleitungstherapie“ durch Gabe einer Alpha-Liponsäure-haltigen Lösung. Dabei handelt es sich ebenfalls um eine alternativmedizinische Methode, die schulmedizinisch nicht anerkannt ist. Der Patient kam daraufhin mit schweren Krankheitssymptomen notfallmäßig ins Krankenhaus, befand sich in einem lebensbedrohlichen Zustand und erlitt schwere gesundheitliche Schäden. Es wurde eine schwere Thrombozytopenie mit mittelgradiger Leberschädigung festgestellt, die durch eine weit überhöhte Menge von Alpha-Liponsäure verursacht wurde. Es folgte eine Klage, in der beanstandet wurde, dass der Patient eine unzureichende Grundaufklärung durch den behandelnden Arzt erhalten hatte. Der Kläger verlangte mindestens 200.000 Euro Schmerzensgeld. Der Mediziner entgegnete jedoch, dass in seiner Praxis ein Türschild angebracht ist, auf dem klar und deutlich hervorgeht, dass er nicht nur schulmedizinisch, sondern auch alternativmedizinisch behandelt. Er ist der Meinung, dass deshalb eine Aufklärung nicht explizit hätte erfolgen müssen.
Die Anforderungen an die Aufklärung bei alternativmedizinischen Methoden sind besonders streng anzusetzen.
Wie hat das Gericht entschieden?
Das OLG Dresden stellte in diesem Zusammenhang klar, dass auch Ärzte und Ärztinnen, die alternativmedizinisch arbeiten, nicht von der Aufklärungspflicht gemäß § 630e Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) befreit sind.
§ 630e Abs. 1 Aufklärungspflichten:
Der Behandelnde ist verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.
Anforderungen an die Aufklärungspflicht
Laut Gericht sind die Anforderungen an die Aufklärung bei alternativmedizinischen Methoden sogar besonders streng anzusetzen. Das Gleiche gilt für eine Diagnostik mittels wissenschaftlich nicht belegter Methoden. Es bedarf des Bewusstseins dieser strengen Vorgaben, um zum einen das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu wahren und zum anderen möglichen rechtlichen Konsequenzen vorzubeugen. So ist eine umfassende und transparente Aufklärung nicht nur eine rechtliche Verpflichtung, sondern auch ein zentraler Bestandteil der ärztlichen Ethik und des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient.
Ein Arzt muss also nicht nur unmissverständlich darüber informieren, dass er von der Standardbehandlung der Schulmedizin abweicht, sondern auch darüber, warum er dies tut und welche Vor- und Nachteile der Patient hieraus zu erwarten hat. Der Arzt muss zwingend darauf hinweisen, dass der empfohlenen Therapie ein wissenschaftlicher Wirksamkeitsnachweis fehlt. Er kann nicht davon ausgehen, dass seine Patienten wissen, wo der Unterschied zwischen Schulmedizin und Alternativmedizin liegt. Ein Türschild, aus dem sich ergibt, dass auch nicht schulmedizinisch behandelt wird, ersetzt eine Aufklärung jedenfalls nicht, vor allem dann, wenn es sich bei dem Behandler eigentlich um einen Schulmediziner handelt. Patienten können auf diese Weise nicht erkennen, wann ohne wissenschaftliche Evidenz behandelt wird. Wird anschließend ohne entsprechende Aufklärung behandelt, fehlt es an der Einwilligung des Patienten. Der Arzt haftet dann auch, falls sich ein nur äußerst seltenes Risiko verwirklicht. Umso wichtiger ist eine klare und lückenlose Dokumentation, um gegebenenfalls beweisen zu können, dass eine ordnungsgemäße Aufklärung erfolgt ist.
Aufklärungspflicht bei Außenseitermethoden
Im vorliegenden Fall hat der Beklagte den Kläger nicht ordnungsgemäß über die von ihm durchgeführte Ausleitungstherapie aufgeklärt (§ 630e Abs. 1 BGB). Die Aufklärung muss dem Patienten einen zutreffenden Eindruck von der Schwere des Eingriffs und den damit verbundenen Risiken vermitteln. Davon umfasst sind auch die schwersten in Betracht kommenden Risiken. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn es sich um alternativmedizinische Verfahren handelt, die in der Schulmedizin nicht anerkannt sind. Vor allem bei Behandlungen, die als Außenseitermethoden klassifiziert werden, gelten besonders strenge Anforderungen. Derartige Methoden weichen von den allgemein anerkannten Regeln der Schulmedizin ab, sind häufig von den Krankenkassen nicht anerkannt und werden generell kritisch beurteilt. Da es sich bei der Ausleitungstherapie sowie dem „Provokationstest“ um derartige Außenseitermethoden handelt, war es unerlässlich, dass der Behandelnde den Patienten unmissverständlich darüber informiert, dass er von der Standardbehandlung abweicht. Da er dies nicht getan hat, erfolgte die Behandlung ohne Einwilligung des Patienten. Das Landgericht (LG) Leipzig sprach dem Kläger daraufhin 15.000 Euro Schmerzensgeld zu. Das OLG Dresden bestätigte diese Ansicht, wies die Klage auf eine höhere Summe allerdings ab.
Die Autorin
Pia Nicklas
Wirtschaftsjuristin
Juristische Texterstellung
und Textredaktion
90766 Fürth