Die Differenzialdiagnostik von Schmerzen im Gesicht ist breit und erfordert eine differenzierte Anamnese und häufig eine interdisziplinäre Kooperation – auch für die Therapie. Wichtig ist es, die Patienten über das jeweilige Krankheitsbild aufzuklären und sie ggf. bezüglich der von ihnen präferierten invasiven Therapien zu beraten.
Am bekanntesten ist sicher die Trigeminusneuralgie unter den Gesichtsschmerzen. Neuralgien kennzeichnen kurze, elektrisierend einschießende Schmerzattacken, die im Versorgungsgebiet eines Nerven bzw. -astes spontan oder evoziert beim Kauen, Sprechen oder durch kalten Wind auftreten. Eine Kernspintomografie des Schädels ist notwendig, um symptomatische Formen (z. B. Multiple Sklerose) nicht zu übersehen. Bei Neuralgien im 2. oder 3. Ast sollte zahnärztlich eine dentale Pathologie ausgeschlossen werden. Die Therapie der Wahl besteht aus dem Aufdosieren von Carbamazepin oder Oxcarbazepin, bei unzureichender Verträglichkeit sind Gabapentin und Pregabalin Alternativen.
Früher wurde der Begriff „atypischer Gesichtsschmerz“ verwendet, um die Trigeminusneuralgie als typischen Gesichtsschmerz von anderen Schmerzen im Gesicht abzugrenzen. Er beinhaltete viele nicht eindeutig klassifizierbare Gesichtsschmerzen. Die Internationale Kopfschmerzgesellschaft (IHS) führte dann die Diagnose des anhaltenden idiopathischen Gesichtsschmerzes (Persistent idiopathic facial pain, PIFP) ein. Betroffene klagen meist über dumpf-drückende, manchmal auch über brennende Schmerzen im Gesicht. Typisch in der Anamnese ist, dass die Betroffenen zahlreiche Ärzte aufsuchen und häufig invasive Behandlungen (z. B. Zahnextraktionen) durchgeführt werden, die zur Schmerzaufrechterhaltung und -chronifizierung beitragen.
Problematisch ist, dass solche Eingriffe das klinische Bild des Schmerzes verändern können, da dann iatrogen ausgelöste neuropathische Schmerzen zusätzlich auftreten können (> Schmerzmedizin). Der Schmerz ist in aller Regel einseitig und wird eher diffus in der Tiefe wahrgenommen. Häufig handelt es sich um einen Dauerschmerz, der in seiner Intensität fluktuiert. Charakteristisch für das Erkrankungsbild ist eine erhebliche psychosoziale Belastung mit im Verlauf häufig zunehmender psychischer Komorbidität (meist eine Depression). Die Anamnese und die klinisch-neurologische Untersuchung haben diagnostisch den höchsten Stellenwert. Die Klassifikation unterscheidet dann eine Form mit somatosensorischen Veränderungen und solchen ohne, dies erfordert jedoch die Messung aller sensorischen Qualitäten. Die Relevanz dieser aufwendigen Diagnostik für das weitere Vorgehen ist noch Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Die Abgrenzung zur Myoarthropathie des Kausystems kann schwierig sein. Das Ausmaß der psychischen Beeinträchtigung sollte, z. B. durch Fragebögen, bereits initial erfasst werden. Die Basis der Therapie besteht zunächst in der Information über das Krankheitsbild und beinhaltet dadurch das Verhindern (weiterer) invasiver Behandlungen, zu denen die Patienten gelegentlich auch drängen. Es muss gelingen, eine tragfähige Beziehung zum Patienten aufzubauen und ein bio-psycho-soziales Krankheitsverständnis zu vermitteln. Nicht selten ist eine psychotherapeutische Behandlung und die längerfristige neuropsychiatrische Begleitung der Patienten notwendig. Medikamentös werden aufgrund klinischer Erfahrung meist trizyklische Antidepressiva (z. B. Amitriptylin) und Antikonvulsiva (z. B. Pregabalin) zur medikamentösen Therapie ergänzend eingesetzt. Diagnostik und Therapie erfordern eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Zahnärzten, Neurologen, Schmerztherapeuten, HNO-Ärzten und Psychotherapeuten.
Vom anhaltenden idiopathischen Gesichtsschmerz ist die Myoarthropathie des Kausystems (MAP) bzw. craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) abzugrenzen. Hierbei knirschen und pressen Betroffene häufig mit den Zähnen, was mit Schmerzen der Kaumuskulatur, Spannungsgefühl im Gesicht, Tinnitus und vielen weiteren Beschwerden einhergehen kann. Ursache ist häufig psychosozialer Stress. Verhaltenstherapeutische Interventionen zur Stressregulation und Eigenübungen für die Kaumuskulatur, ggf. ergänzt durch eine Aufbissschiene, sind die ersten Therapieschritte. Von invasiven Therapien ist abzuraten.
Ursache neuropathischer Schmerzen ist eine Läsion im somatosensorischen System, charakteristisch ist ein brennender Schmerz mit Zeichen der Nervenläsion im klinischen Befund (z. B. An- oder Dysästhesie, Hyperalgesie oder Allodynie). Neuropathische Schmerzen im Gesicht können nach einem Trauma (z. B. nach Mittelgesichtsfrakturen), durch Infiltration eines Tumors oder iatrogen entstehen (z. B. operative Eingriffe an Zähnen oder den Nasennebenhöhlen). Besonders im höheren Lebensalter ist die postherpetische Neuralgie eine wichtige Ursache, deren Diagnostik erschwert ist, wenn die typischen Hauteffloreszenzen in der Akutphase übersehen wurden oder gering ausgeprägt waren. Weiterhin gehört das Burning Mouth Syndrom (Syndrom des brennenden Mundes) zu den lokalisierten Neuropathien, die Patienten klagen über unangenehmes Zungenbrennen. Auch nach Hirnstamminfarkten kann es zu neuropathischen Gesichtsschmerzen kommen, die dann aber Folge einer zentralen Läsion sind. Die Therapie orientiert sich an der Diagnose, etabliert sind Amitriptylin und eine Reihe weiterer Substanzen.
Bei primären Kopfschmerzen mit Hauptschmerzlokalisation im Gesicht ist am häufigsten die orofaziale Migräne zu berücksichtigen, deren Zeit- und Verlaufscharakteristika sowie Begleitsymptome einer Migräne entsprechen. Diese Schmerzen können wie eine „normale“ Migräne auf Triptane und Migräneprophylaktika ansprechen. Ebenso kann auch ein Clusterkopfschmerz im Gesicht- und Mundbereich wahrgenommen werden. Die Therapie erfolgt dann analog zur sonstigen Therapie des Clusterkopfschmerzes akut mit Triptan-Nasenspray, Sumatriptan s.c. und Sauerstoffinhalation, die Prophylaxe mit Verapamil und kurzzeitig mit Steroiden.
Mehr praxisrelevantes Wissen finden Fachkreise auch online im Migräne- und Kopfschmerz-Guide unter www.mk-guide.org, einem Projekt der DMKG Initiative „Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen“.
Der Autor
PD Dr. med. Charly Gaul
Facharzt für Neurologie und Spezielle Schmerztherapie
Mitbegründer des Kopfschmerzzentrums Frankfurt am Main
Literatur beim Autor
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