Mit der Leitlinienadhärenz bei Hüft- und Kniegelenksarthrosen nehmen es Physiotherapeuten nicht so genau. Das ergab eine Umfrage unter deutschen Physiotherapeuten, bei der die leitliniengerechte Versorgung gemäß AWMF-Richtlinien evaluiert wurde.
Hüft- und Kniegelenksarthrosen sind häufige Erkrankungen, die mit einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität sowie gleichzeitig hohen Kosten für das Gesundheitssystem einhergeht. Obwohl die Vorteile leitlinienkonformer Versorgung belegt sind, zeigen aktuelle Studien aus dem Ausland, dass das Verhalten von Physiotherapeuten von den in Leitlinien formulierten Empfehlungen abweicht. Im Rahmen des 21. Deutschen Kongresses für Versorgungsforschung präsentierten Forscher der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg ernüchternde Ergebnisse zu der physiotherapeutischen Versorgung dieser Patienten in Deutschland und der entsprechenden Leitlinienadhärenz.
Hierzu wurde von Oktober bis Dezember 2021 eine deutschlandweite Online-Befragung unter Physiotherapeuten durchgeführt. Erfragt wurden Maßnahmen zur Behandlung von Hüft- und Kniegelenksarthrose, Kenntnis von Leitlinien und Barrieren in der Anwendung von Leitlinienempfehlungen. Zur Evaluation einer leitlinienadhärenten Versorgung erfolgte ein Abgleich mit den Inhalten der AWMF-Leitlinien für Hüft- und Kniegelenksarthrose.
Maßnahmen mit geringer Evidenz
Insgesamt 442 Physiotherapeuten nahmen an der Umfrage teil, davon 288 (65%) Frauen und 152 (35%) Männer. Die Befragten waren im Durchschnitt 41 Jahre (± 13) alt und verfügten über eine Berufserfahrung von 17 Jahren (± 12). Die am häufigsten berichteten Maßnahmen zur Behandlung von Patienten mit Kox- und/oder Gonarthrose waren Bewegungstherapie, Edukation und Instruktionen zum Selbstmanagement, gefolgt von Manueller Therapie und Traktionsbehandlungen. Eine vollständige Leitlinienadhärenz konnte lediglich bei 17% (n = 76) für die Behandlung von Hüftgelenks- und bei 9% (n = 38) für die Behandlung von Kniegelenksarthrose angenommen werden, eine teilweise Adhärenz bei 81% (n=359) bzw. 72% (n=319). Nur etwa 48% (n = 212) der befragten Physiotherapeuten gaben an, überhaupt eine Arthrose-Leitlinie zu kennen.
Aktive Bewegungstherapie sowie edukative Maßnahmen bei Kox- und/oder Gonarthrose werden zwar, so die Forscher, durch die Mehrzahl der Physiotherapeuten übereinstimmend mit Leitlinienempfehlungen durchgeführt, obwohl nur rund die Hälfte der Befragten eine für die untersuchten Indikationen geltende Leitlinie überhaupt kennt. Gleichzeitig werden jedoch auch Maßnahmen mit geringerer Evidenz (z.B. Manuelle Therapie) angewandt und der Anteil derjenigen, die eine vollständige Leitlinienadhärenz aufweisen, ist gering. Aus Sicht der Brandenburger Forscher weisen diese Ergebnisse auf eine unzureichende Implementierung von Leitlinien zur Behandlung von Hüft- und Kniegelenksarthrose hin, weshalb sie eine Verbesserung der Leitlinienumsetzung fordern.
Bahns C et al.; 21. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Potsdam, 5.-7.10.2022 (DOI 10.3205/22dkvf119).