Ein Forscherteam des Exzellenzclusters „Kollektives Verhalten“ der Universität Konstanz hat jetzt die Übertragung von Stress von einem Individuum auf eine Gruppe, aber auch die Stressübertragung innerhalb von Gruppen untersucht. Dabei zeigte sich, dass tatsächlich eine Stressübertragung und physiologische Synchronisation zwischen den Gruppenmitgliedern stattfindet.
Die Psychologinnen Alisa Auer, Lisa-Marie Walther und Prof. Dr. rer. nat. Petra Wirtz untersuchten unter anderem das Stresserleben von Studierenden bei schriftlichen universitären Prüfungen, von Orchestermusikerinnen – und musikern während einer Probe und einem Konzert, sowie in Situationen am Arbeitsplatz. Außerdem hat die Gruppe in einer kürzlich publizierten Studie erstmals ein Paradigma entwickelt, um die Übertragung von Stress unter standardisierten Bedingungen im Labor untersuchen und dabei für eine Vielzahl potenzieller Einflüsse kontrollieren zu können, berichtet Studienleiterin Wirtz. Damit konnte gezeigt werden, dass einige, aber nicht alle Stresssysteme bei der Stressübertragung aktiviert werden. Die Stressübertragungsreaktion hat einen ähnlichen Verlauf wie die Reaktion auf selbst erlebten Stress, jedoch in geringerem Ausmaß. In weiteren Studien wurde Stressübertragung bei Paaren, bei Speeddating oder in Schulklassen erforscht.
Stressübertragung auch in Tiergruppen
Die Doktoranden Dennis Horvath und Dennis Mink zeigten mit ihren Experimenten, dass Mäuse, die mit gestressten Mäusen zusammenleben, ein erhöhtes Stresshormon-Level haben. Sie sind zurückhaltender und vorsichtiger, während nicht gestresste Mäuse aktiver und mutiger sind: Letztere verhalten sich neugierig und erkunden vermehrt ihre Umgebung.
Ein ähnlich stark verändertes Verhalten unter Stress wurde auch bei Vogelschwärmen beobachtet: „Die Aktivität von Vögeln, die in Kolonien mit gestressten Mitgliedern lebten, veränderte sich stark“, sagt Dr. Hanja Brandl, Postdoktorandin am ‚Exzellenzcluster Kollektives Verhalten‘. „Vor allem bewegten sie sich weniger, und ihre Fortpflanzungsrate sank proportional zum Grad des Stresses in ihrem sozialen Umfeld. Dies zeigt, dass Stressoren nicht nur auf die direkt dem Stress ausgesetzten Individuen wirken können, sondern auch auf Gruppenmitglieder, die den Stressor nie am eigenen Leib erfahren haben“, schlussfolgert die Biologin.
Reittherapie: Stress-Synchronisierung zwischen Tier und Mensch
Stress kann nicht nur kollektiv übertragen werden, sondern es findet auch eine physiologische Synchronisation zwischen den Gruppenmitgliedern statt – sogar zwischen Tieren und Menschen. Ein Bereich, in dem physiologische Synchronität beobachtet wird, ist die Reittherapie. Studienleiter Prof. Dr. Jens Pruessner sagt dazu: „Eine wichtige Hypothese dieses Projekts ist, dass die physiologische Synchronisation mit einer Verbesserung der Symptome im Verlauf der Studie zusammenhängt.“ Erste Ergebnisse bestätigen diese Annahme: Die Herzfrequenzvariabilität von Patienten und Pferd innerhalb und im Verlauf der Behandlungstermine wird immer ähnlicher. Pruessner fügt hinzu: „Interessanterweise verringern vergangene traumatische Erfahrungen die Synchronität, und die Synchronisation zwischen Therapeut und Pferd scheint auch die Synchronisation von Patient und Pferd zu beeinflussen.“
Alle durchgeführten Experimente, so resümieren die Forschenden, zeigen, dass Stressübertragung und physiologische Synchronisation zwischen Gruppenmitgliedern stattfindet.
Pressemitteilung „Stressübertragung in Gruppen“. Universität Konstanz, 19.3.2024 (https://www.uni-konstanz.de/universitaet/aktuelles-und-medien/aktuelle-meldungen/aktuelles-1/stressuebertragung/).
* Report „Stress transmission and physiological synchronization“. Im Jahresbericht 2023 des Exzellenzclusters ‚Kollektives Verhalten‘ (CASCB). Universität Konstanz, 2023 (https://online.fliphtml5.com/zxgrn/wxat/#p=48).