Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) berichtet in einer Pressemitteilung über einen möglichen Durchbruch bei der Alzheimer-Therapie mit Lecanemab. Dieser humanisierte Maus-Antikörper (mAb158) richtet sich gegen Protofibrillen, ein toxisches Zwischenprodukt von Amyloid-Fibrillen.
Der Wirkstoff hat damit einen spezifischeren Ansatzpunkt als die bisherigen Antikörper, die hinsichtlich einer Verlangsamung des kognitiven und funktionellen Abbaus enttäuschten. Die Ergebnisse der Phase-III-Studie mit dem Antikörper wurden zu Beginn des Alzheimer-Kongresses in San Francisco (29.11.–02.12.2022) vorgestellt. Sie sind aus Sicht der DGN überzeugend und konsistent und werden als möglicher Meilenstein eingeschätzt. Die Publikation lässt nicht auf Sicherheitssignale schließen, obwohl es Medienberichte über zwei Todesfälle in der Open-Label-Extensionsphase der Studie gibt, denen nachgegangen werden muss.
In die Studie wurden 1.795 Patienten mit einer Alzheimer-Erkrankung im Frühstadium randomisiert eingeschlossen, 898 erhielten Lecanemab (10 mg pro kg Körpergewicht i.v. alle zwei Wochen), 897 ein Placebo. Nach 18 Monaten wurde der Effekt auf den CDR-SB(Clinical Dementia Rating – Sum of Boxes)-Score erhoben. Mit diesem etablierten Score kann die Schwere der Demenz eingeschätzt werden, und er bezieht Faktoren wie Gedächtnis, Orientierung, Urteils- und Problemlösungsvermögen, Geschäftsfähigkeit, häusliches Leben und Hobbys sowie die Fähigkeit, sich selbst zu versorgen, ein. Bei Studieneinschluss lag der mittlere CDR-SB-Score bei etwa 3,2 in beiden Gruppen. Der Unterschied zwischen den Gruppen war nach 1,5 Jahren beträchtlich: Der Score hatte sich um 1,21 in der Verumgruppe und um 1,66 in der Placebogruppe verändert (p < 0,001).
„Die Effekte der Behandlung mit Lecanemab waren in allen untersuchten primären und sekundären Endpunkten signifikant positiv. Gemessen mit der CDR-SB wurde die Erkrankungsprogression um 27 % verlangsamt, bei den Aktivitäten des täglichen Lebens machte der Unterschied 37 % aus. Die Unterschiede zwischen den mit Lecanemab und Placebo behandelten Patienten waren bereits nach sechs Monaten signifikant und nahmen mit weiterer Behandlungsdauer zu. Die PET-Amyloid Last wurde sehr deutlich und signifikant reduziert“, erklärte Prof. Dr. med. Jörg B. Schulz (Aachen), Alzheimer-Experte und Sprecher der Kommission Demenz der DGN. „Möglicherweise haben wir nun einen Angriffspunkt gefunden, der einen Unterschied im klinischen Verlauf macht“, so Schulz weiter. „Die Daten sind überzeugend und konsistent, sodass wir nun auf eine schnelle Zulassung hoffen, wenn die Zulassungsbehörden das Medikament als sicher einstufen“.
Im Hinblick auf mögliche schwere Nebenwirkungen gab es in der Studie keine Überraschungen. Wie bei der Therapie mit gegen Amyloid gerichteten Antikörpern traten zwar auch unter Behandlung mit Lecanemab Nebenwirkungen auf, darunter Ödeme und Mikrohämorrhagien („Amyloid-related imaging abnormality“/ARIA). Diese blieben allerdings meist klinisch stumm. So lag die ARIA-H-Rate (ARIA-H: Zerebrale Mikroblutungen und oberflächliche Siderose) bei 17,0 % in der Lecanemab-Gruppe und bei 8,7% in der Placebogruppe, das Auftreten von symptomatischer ARIA-H lag hingegen nur bei 0,7 % in der Lecanemab-Gruppe und bei 0,2 % in der Placebogruppe. „In der Studie sind keine Sicherheitssignale zu erkennen, das Nutzen-Risiko-Profil lässt sich aus diesen Daten als positiv bewerten“, resümiert Schulz.
Den Berichten über zwei Todesfälle, die nach der eigentlichen Studie in der Open-Label-Extensionsphase auftraten, „muss nun nachgegangen werden, auch muss untersucht werden, ob die Alzheimer-Medikation das Risiko für solche Ereignisse erhöhen könnte. Die Zulassungsbehörden arbeiten hier sehr sorgfältig. Werden diese Zweifel an der Sicherheit ausgeräumt, hätten wir endlich ein wirksames Medikament gegen Alzheimer“.
Wichtig sei allerdings, dass der Antikörper nur in den Frühphasen der Alzheimer-Erkrankung mit nur milden kognitiven Einschränkungen erfolgreich ist. Lecanemab verlangsamt das Fortschreiten der Erkrankung, mache sie jedoch nicht rückgängig, Betroffene mit ausgeprägtem Krankheitsbild und schwerer Demenz profitieren also nicht von der Therapie.
Medienberichten zufolge (z. B. New York Times, 30.11.2022) akzeptierte die US-Arzneimittelbehörde FDA im Juli 2022 einen Antrag auf beschleunigte Zulassung von Lecanemab und gewährte dem Wirkstoff den Status der vorrangigen Prüfung, zu der sich die FDA Anfang Januar 2023 äußern will.
1) Pressemitteilung „Lecanemab verlangsamte das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit in frühen Stadien“. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), Berlin, 30.11.2022. Verfügbar unter: https://dgn.org/artikel/2439
2) van Dyck CH, Swanson CJ, Aisen P, Bateman RJ, Chen C, Gee M, Kanekiyo M, Li D, Reyderman L, Cohen S, Froelich L, Katayama S, Sabbagh M, Vellas B, Watson D, Dhadda S, Irizarry M, Kramer LD, Iwatsubo T. Lecanemab in early Alzheimer’s disease. N Engl J Med 2022; doi: 10.1056/NEJMoa2212948