Die trotz des negativen Expertenvotums kürzlich erfolgte beschleunigte Zulassung des gegen Beta-Amyloid-Ablagerungen bei M. Alzheimer gerichteten monoklonalen Antikörpers Aducanumab durch die US-amerikanische Arzneimittelzulassungsbehörde FDA ruft schärfste Proteste von US-Fachärzten und Verbraucherschutzgruppen hervor, wie es jetzt im renommierten Fachblatt JAMA heißt.
Schon die Rahmenbedingungen der Zulassung waren speziell: Aducanumab ist der seit 18 Jahren erste von der FDA gegen M. Alzheimer zugelassene Wirkstoff, der auf die angeblich zugrunde liegenden Krankheitsprozesse abzielt. Bei der Abstimmung zur Frage, ob klinische Studien gezeigt hätten, dass Aducanumab bei der Behandlung der Alzheimer-Krankheit wirksam sei, habe das komplette Gremium externer Experten der FDA mit „Nein“ abgestimmt. Drei der Ausschussmitglieder traten als Reaktion auf die dennoch positive Zulassungsentscheidung der FDA anschließend zurück; einer nannte es „die wahrscheinlich schlechteste Entscheidung über die Zulassung von Medikamenten in der jüngeren US-Geschichte“. Der Skandal führte sogar dazu, dass US-Präsident Joe Biden von einem Senator gebeten wurde, die amtierende FDA-Kommissarin Dr. Janet Woodcock durch einen ständigen Kommissar zu ersetzen. Der gesundheitspolitische Sumpf um Aducanumab reicht vermutlich aber noch viel tiefer – und deutet auf erhebliche, möglicherweise auch finanzielle Verstrickungen des Herstellers Biogen und der FDA bei der Zulassung hin, wie es im JAMA weiter heißt. Mittlerweile haben sogar die Vorsitzenden von zwei Ausschüssen des US-Repräsentantenhauses angekündigt, zu untersuchen, wie die Zulassung des Mittels und sein Preis von 56.000 US-$ pro Jahr überhaupt möglich sein konnten.
Die für Wissenschaft und Medizin spannendste Frage wird in dem engagierten Meinungsbeitrag im JAMA ebenfalls ausführlich diskutiert: Nämlich die Frage, ob Beta-Amyloid-Ablagerungen überhaupt eine pathogenetische Rolle bei M. Alzheimer spielen (eine mittlerweile 30 Jahre alte Hypothese). Ein studiengestütztes Hauptargument dagegen sei, dass auch andere Substanzen mit ähnlicher Wirkung wie Aducanumab existieren, die ebenfalls Amyloid-Ablagerung reduzieren können, ohne jedoch irgendwelche Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf zu zeigen. Die FDA habe hier eine Nutzendefinition aufgestellt, die mit der Lebenswirklichkeit erkrankter Alzheimerpatienten nichts zu tun hat. Man darf gespannt sein, wie der Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA den bei ihr eingegangenen Zulassungsantrag vor dem Hintergrund des wissenschaftlichen Forschungsstandes bewerten wird.
Rubin R, Recently Approved Alzheimer Drug Raises Questions That Might Never Be Answered. JAMA 2021, Juli 21; doi: 10.1001/jama.2021.11558 | PMID 34287610