Für ältere Menschen gibt es Hochdosis-Influenzaimpfstoffe. Der Grund: Ihr Immunsystem spricht auf Standard-Grippeimpfstoffe nicht immer ausreichend gut an. Warum das so ist und welche molekularen Prozesse dahinterstecken, ist bislang noch unverstanden. In einer aktuellen Forschungsarbeit konnten nun entscheidende Schlüsselmoleküle identifiziert werden. Die Ergebnisse könnten künftig dabei helfen, die Immunantwort auf die Grippeimpfung bei Älteren weiter zu erhöhen.
„Weil insbesondere ältere Menschen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben, sind wirksame Impfstoffe für sie besonders wichtig“, sagt Prof. Dr. Yang Li, Wissenschaftliche Direktorin des CiiM und Leiterin der Abteilung „Bioinformatik der Individualisierten Medizin“ am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Hannover. Für Menschen ab 60 bzw. 65 Jahren gibt es sogenannte Hochdosis-Grippeimpfstoffe, da die Standard-Grippeimpfstoffe bei ihnen nicht hinreichend gut wirken. „Mit dem Alter kann das Immunsystem offensichtlich nicht mehr so eine schlagkräftige Immunantwort aufbauen“, erklärt Li. „Mit unserer Studie wollten wir herausfinden, womit genau dies zusammenhängt, welche molekularen Prozesse hier eine Rolle spielen – und Ansätze identifizieren, mit denen die Immunantwort verbessert werden könnte.“
Die Basis der Studie bildete eine Kohorte aus 234 Teilnehmerinnen und Teilnehmer über 65 Jahre, die gegen Grippe geimpft wurden. Ihnen wurde zu insgesamt fünf unterschiedlichen Zeitpunkten – vor und nach der Impfung – Blut entnommen. Dieses wurde mit Hilfe molekularbiologischer Methoden, die unter dem Begriff „Multi-Omics“ zusammengefasst werden, eingehend untersucht. Die dabei generierten riesigen Datenmengen analysierte das Forscherteam mit Hilfe von Statistik- und Computermodellen. Dabei verfolgten die Forscherinnen und Forscher die Frage, wie sich die Immunantwort zwischen Respondern auf die Impfung und Non-Respondern unterscheidet. „Wir konnten eine ganze Reihe wichtiger Moleküle ausmachen, die nach der Impfung mit der guten Immunantwort von Respondern korrelierten. Bei den Non-Respondern waren sie dagegen reduziert oder aber gar nicht vorhanden“, erklärt Dr. Saumya Kumar, Wissenschaftlerin in der Arbeitsgruppe von Yang Li am CiiM und Erstautorin der Studie. „Und anders als die Responder zeigten die Non-Responder eine erhöhte Zahl bestimmter aktivierter Immunzellen im Blut, sogenannte natürliche Killerzellen. Die Unterschiede, die wir zwischen Respondern und Non-Respondern auf verschiedensten Untersuchungsebenen ausmachen konnten, waren tatsächlich sehr deutlich.“
Die Rolle von Interleukin-15
In ihrer Studie ging das Wissenschaftlerteam außerdem der Frage nach, ob sich bereits vor der Impfung vorhersagen lässt, wie gut die Immunantwort ausfallen wird. „Dafür haben wir uns die Blutproben angeschaut, die vor der Impfung genommen wurden. Die späteren Non-Responder wiesen vor der Impfung erhöhte Werte von Interleukin-15 auf. Hohe Werte dieses Botenstoffs können bei älteren Menschen ein Hinweis auf sich entwickelnde chronische Entzündungsprozesse sein“, sagt Li. In anschließenden Untersuchungen im Mausmodell konnte das Forscherteam zeigen, dass Mäuse, denen die Rezeptoren für den Botenstoff fehlten, eine verbesserte Antwort auf Immunisierung aufwiesen. „Interleukin-15 ist offensichtlich für die ausbleibende Immunantwort verantwortlich und könnte sich daher gut als Vorhersage-Biomarker eignen“, sagt Li. „Denkbar wäre auch, erhöhte Werte von Interleukin-15 vor der Impfung durch Gabe geeigneter Wirksubstanzen zu reduzieren, um die Immunantwort zu verbessern. Doch solch ein Ansatz ist tatsächlich noch Zukunftsmusik.“
Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zeigten in ihrer Studie noch einen weiteren interessanten Ansatz auf: Die Non-Responder wiesen vor der Impfung deutlich geringere Konzentrationen langkettiger Fettsäuren in ihrem Blut auf als Responder. „Ältere Menschen leiden häufig an Begleiterkrankungen, die mit chronischen Entzündungsprozessen einhergehen. Bestimmte langkettige Fettsäuren wirken entzündungshemmend und unterstützen insgesamt die Entwicklung einer guten Immunantwort“, sagt Kumar. „Eine ausreichende Versorgung mit solchen langkettigen Fettsäuren, wie sie in Fischöl oder gesunden Nüssen vorkommen, könnte eine effektive Möglichkeit sein, neben der allgemeinen Gesundheit auch die Immunantwort auf Grippeimpfungen zu verbessern. Ob und wie gut das funktioniert, müsste noch erforscht werden.“
„Mit unserer Studie, die erstmals eine so große Kohorte von Personen aus der Altersgruppe der Über-65-Jährigen umfasste, konnten wir wichtige Einblicke in Ausbildung der Impfantwort nach einer Grippeimpfung bei Älteren geben“, resümierte Li. „Wir konnten Schlüsselmoleküle für gute bzw. schlechte Immunantworten identifizieren, anhand derer weiter geforscht werden kann. Wir hoffen, dass unsere Forschungsergebnisse dazu beitragen können, die Immunantwort von Grippeimpfungen bei Älteren künftig weiter zu erhöhen.“
Pressemitteilung „Warum die Grippeimpfung bei älteren Menschen weniger wirksam ist“. Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Braunschweig, 30.9.2024 (https://www.helmholtz-hzi.de/media-center/newsroom/news-detailseite/warum-die-grippeimpfung-bei-aelteren-menschen-weniger-wirksam-ist/).
Kumar S et al.: Systemic dysregulation and molecular insights into poor influenza vaccine response in the aging population. Sci Adv. 2024 Sep 27;10(39):eadq7006 (DOI 10.1126/sciadv.adq7006).