Mehr als ein Drittel der Menschen, die Angehörige zu Hause pflegen, fühlen sich extrem belastet und können die Pflegesituation nur unter Schwierigkeiten oder gar nicht mehr bewältigen. Dies ist eines der Ergebnisse der bislang größten Studie zur Situation in der häuslichen Pflege.
„Die Ergebnisse bestätigen: Die häusliche Pflege ist am Limit. Es rächt sich, dass sie jahrelang ein Stiefkind der Politik war und sträflich missachtet wurde. Wird dieser Kurs fortgesetzt, gehen wir einer düsteren Pflege-Zukunft entgegen!“, sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele bei der Studienvorstellung der Hochschule Osnabrück. Die Studie wurde vom Sozialverband VdK bei der Hochschule Osnabrück in Auftrag gegeben.
Die Studie, die auf der Online-Befragung von 56.000 Menschen 2021 basiert, bringt erstmals Licht in das Dunkelfeld der häuslichen Pflege. Demnach sind 72% der Pflegenden weiblich. Die Hälfte der Befragten versorgt ein Elternteil. Jeder zweite der Pflegenden ist bereits im Rentenalter und körperlich selbst nicht mehr fit: 63% haben täglich körperliche Beschwerden und 59% geben an, wegen der Pflege die eigene Gesundheit zu vernachlässigen. „Diese Menschen brauchen dringend Unterstützung. Und zwar eine, die auch wirklich zur Verfügung steht, zu ihren Bedürfnissen passt und sie unbürokratisch erreicht“, forderte Bentele.
Von allem zu wenig
Obwohl ein Großteil der Befragten sich mehr von den bisher möglichen Entlastungsangeboten wünscht wie etwa der Tages- und Nachtpflege (61%), der Kurzzeitpflege (77%) oder der Verhinderungspflege (84%), werden 62% bis 93% dieser Leistungen von ihnen nicht in Anspruch genommen. Dieser Widerspruch hat verschiedene Gründe: Zum einen gibt es nicht genügend Kapazitäten professioneller Pflegeanbieter. So gaben 49% an, dass es nicht genug Tagespflegeplätze gebe, 56% zu wenig Kurzzeitpflegeplätze. „Wir brauchen daher dringend den Anspruch auf einen Tagespflegeplatz ‒ so wie es diesen auch auf einen Kindergartenplatz gibt“, sagte Bentele.
Ein weiterer Grund für die geringe Inanspruchnahme sind die oft hohen Zuzahlungen: Über die Hälfte der Befragten schreckt dies davon ab, einen Pflegedienst (56%), die Tagespflege (52%), Verhinderungspflege (57%) und Kurzzeitpflege (57%) in Anspruch zu nehmen. Vom Pflegegeld, das 82% der Befragten bekommen, bliebe sonst zu wenig übrig, befürchten sie. Zudem wird jeder Fünfte von dem Antragsverfahren und der Dauer des Prozederes der Verhinderungs- und Kurzzeitpflege abgeschreckt. „Wir brauchen eine grundlegende Reform der Unterstützungsleistungen“, schloss Bentele aus den Ergebnissen. Ein einheitliches Budget, in das alle Ansprüche einfließen, würde vielen Menschen deutlich besser helfen. „Dann würden nicht genutzte Leistungen auch nicht mehr verfallen. Man nutzt das Geld für die Leistung, die einem was bringt. Zudem muss es möglich sein, dass damit auch die Personen bezahlt werden, die die Betroffenen schnell und verlässlich unterstützen und entlasten können: die Nachbarin, jemand aus dem Freundeskreis, Ehrenamtliche“, so Bentele. Es würde das System zudem übersichtlicher machen und vereinfachen. „Dringend notwendig ist zudem eine unabhängige Beratung“, sagte Bentele. Denn die Studie zeige auch: Erhält ein pflegender Angehöriger keine Beratung, werden deutlich weniger Pflegeleistungen in Anspruch genommen. Wird beraten, steigt die Wahrscheinlichkeit, eine Pflegeleistung zu nutzen, um ein Vielfaches ‒ etwa bei der Tagespflege von 17% auf 83%.
Pressemitteilung des Sozialverbands VdK Deutschland, Mai 2022