Mitten in die Diskussion zur Legalisierung von Cannabis erscheint der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) veröffentlichte Abschlussbericht für die Begleiterhebung zur Anwendung von Cannabisarzneimitteln.
In die Auswertung sind seit 2017 anonymisierte Daten zu rund 21.000 Behandlungen mit Cannabisblüten und -extrakten sowie mit Dronabinol, Nabilon und Delta-9-Tetrahydrocannabinol eingeflossen. Mit Cannabisarzneimitteln behandelte Patienten waren im Durchschnitt 57 Jahre alt, in gut 54% der Fälle weiblich und in nahezu 46% männlich. Bei der Behandlung mit Cannabisblüten lag das Durchschnittsalter bei 45,5 Jahren, mehr als zwei Drittel der Behandelten waren männlich. In mehr als drei Viertel aller Fälle (76,4%) wurden Cannabisarzneimittel zur Behandlung chronischer Schmerzen angewendet. Weitere häufig behandelte Symptome waren Spastik (9,6%), Anorexie/Wasting (5,1%) und Übelkeit/Erbrechen (2,2%). In 14,5% der Fälle lag eine Tumorerkrankung vor, in 5,9% eine Multiple Sklerose. Vor Behandlungsbeginn mit einem Cannabisarzneimittel wurden die Patienten im Durchschnitt bereits acht Jahre aufgrund der bestehenden Symptomatik behandelt. Die häufigsten Verordnungen von Cannabisarzneimitteln wurden von Ärzten der Fachrichtung Anästhesiologie vorgenommen, gefolgt von denen der hausärztlichen Versorgung und der Neurologie.
Diese Ergebnisse decken sich nicht mit veröffentlichten Informationen der Krankenkassen. Nach deren Daten verordnen Ärzte der hausärztlichen Versorgung am häufigsten Cannabisarzneimittel. Bei den in der Begleiterhebung übermittelten Fällen wird am häufigsten Dronabinol (62,2%) als Cannabisarzneimittel verordnet, gefolgt von Blüten (16,5%), Extrakten (13%) und Delta-9-Tetrahydrocannabinol (8%). Veröffentlichte Daten der Krankenkassen können diese Anteile nicht bestätigen. Insbesondere die Verordnung von Cannabisblüten dürfte in der Praxis einen deutlich höheren Anteil ausmachen.
Die mittlere Tagesdosis an THC, dem Hauptwirkstoff der Cannabispflanze, liegt bei Verwendung von Dronabinol, Cannabisextrakten und Delta-9-Tetrahydrocannabinol bei etwa 15mg. Bei den Cannabisblüten liegt die mittlere Tagesdosis jedoch bei 249mg und damit weit über jeglicher Dosierungsempfehlung zu therapeutischen Zwecken, die bisher wissenschaftlich untersucht und publiziert wurde. In nahezu 75% der Fälle wurde durch die Anwendung von Cannabisarzneimitteln eine Besserung der Symptomatik erreicht. Nebenwirkungen waren häufig, aber in der Regel nicht schwerwiegend. Müdigkeit und Schwindel (insbesondere bei Frauen) traten sehr häufig auf. In einem Drittel der Fälle wurde die Therapie vor Ablauf eines Jahres abgebrochen, hauptsächlich aufgrund fehlender Wirkung (38,5%). In 25,9% waren Nebenwirkungen der Abbruchgrund, in 20,2% das Versterben des Patienten.
In 70% der Fälle wurde eine Besserung der Lebensqualität berichtet. Mit Cannabisblüten behandelte Patienten bewerten den Therapieerfolg grundsätzlich höher, brechen die Therapie seltener ab und geben seltener Nebenwirkungen an. Lediglich die Nebenwirkung „euphorisierende Wirkung“ wird dreimal häufiger berichtet als bei den anderen Cannabisarzneimitteln. Bei gleichzeitig sehr hohen THC-Dosen, dem hohen Männeranteil und dem geringen Durchschnittsalter sollten Ärzte die Gefahr von Missbrauch und Abhängigkeit bei der Therapieplanung mit Cannabisblüten beachten. Die Daten der Begleiterhebung können klinische Studien in keiner Weise ersetzen, bilden jedoch eine wertvolle Grundlage für die Planung und Durchführung ebendieser.
Der Abschlussbericht zur Begleiterhebung ist veröffentlicht abrufbar.
Quelle: Pressemitteilung Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Juli 2022