Bei vielen Medikamenten steht Kopfschmerz auf der Nebenwirkungsliste. Welche Arzneimittel stehen hier im Fokus? Fatal ist es, wenn gerade Schmerzmittel Kopfschmerzen verursachen, wie es häufig bei Migräne-Patienten der Fall ist. Offenbar bietet hier die neue Substanzklasse der CGRP-Antikörper Abhilfe.
Atropin, Digitalis, Disulfiram, Hydralazin, Imipramin, Nikotin, Nifedipin, Nimodipin und Sildenafil – das sind die Arzneimittel, die bei gelegentlichem Gebrauch am häufigsten Kopfschmerzen im „Nebenwirkungsgepäck” haben [1]. Vor allem Arzneimittel, die den Gefäßdurchmesser beeinflussen, können Kopfschmerzen verursachen. Am bekanntesten sind hier NO-Donatoren wie Nitroglycerin-Präparate, wie sie häufig bei Angina-pectoris-Patienten verordnet werden. Bei Dauergebrauch verschwinden diese Kopfschmerzen in der Regel nach etwa einer Woche – es lohnt also, die Patienten auf diese Toleranzentwicklung hinzuweisen.
Migräne-Attacke durch Sildenafil
Am Gefäßkaliber setzen auch die Phosphodiesterase-5-Hemmer wie Sildenafil an. Der Kopfschmerz ist meist vom Spannungs-Typ, bei Personen mit Migräne (die auf diese unerwünschte Wirkung aufmerksam gemacht werden sollten) hat er allerdings das klinische Bild einer Migräne ohne Aura [1].
Cave intrakranielle Hypertension
Bei einer Dauermedikation kann Kopfschmerz Folge eines direkten pharmakologischen Effekts der Medikation sein, wie maligne Hypertension durch Vasokonstriktion. Auch eine sekundäre Folge der Arzneimittelwirkung ist möglich, z. B. eine medikamenteninduzierte intrakranielle Hypertension – eine anerkannte Komplikation der Dauereinnahme von anabolen Steroiden, Amiodaron, Lithiumcarbonat, Nalidixinsäure, Schilddrüsenhormonen, Tetrazyklinen oder Minozyklin [1].
Kaffee-Abstinenz und Estrogen-Entzug
Nicht nur die Einnahme einer pharmakologisch wirksamen Substanz, auch deren Entzug kann Kopfweh verursachen. Hier ist am bekanntesten der Koffein-Entzug. Der Kopfschmerz entwickelt sich innerhalb von 24 Stunden nach Unterbrechung eines regelmäßigen Koffeinkonsums von mehr als 200 mg pro Tag über mehr als zwei Wochen. Er verschwindet auch wieder, wenn mindestens eine Woche kein Koffein mehr zugeführt wird [1].
Weniger bekannt ist der Estrogen-Entzugs-Kopfschmerz, wie er sich durch Beendigung einer befristeten exogenen Estrogen-Zufuhr einstellen kann. So können die Pillenpause bei oralen Kombinationskontrazeptiva oder das Ende einer Estrogen-Ersatztherapie mit Kopfschmerzen oder Migräne einhergehen [1].
Wenn Schmerzmittel Kopfschmerzen machen
Die Nebenwirkung Kopfschmerz lässt sich in der Regel durch ein Umsetzen der Medikation beheben. Anders sieht es da bei Kopfschmerzen durch Medikamentenübergebrauch (medication overuse headache, MOH) aus. Betroffen sind typischerweise Patienten, die mehr als 15 Tage im Monat unter Migräne oder Spannungskopfschmerzen leiden. Wenn diese Patienten regelmäßig häufiger als 10 bis 14 Tage im Monat (je nach Substanzklasse) Schmerz- bzw. Migränemittel einnehmen, liegt ein MOH vor. Alle gängigen Substanzklassen – Analgetika, Ergotamin, Triptane, Benzodiazepine, Opiate – können zur Entwicklung eines MOH führen. Und es sind nicht wenige betroffen: Die Prävalenz von MOH in der Allgemeinbevölkerung wird auf 0,7 % bis 1,0 % geschätzt [2].
Aktualisierte MOH-Leitlinie
Um den ohnehin durch Kopfschmerzen geplagten MOH-Patienten zu helfen, haben die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) eine neue S1-Leitlinie erarbeitet [2].
Analgetika-Entzug nicht mehr zwingend notwendig – bei Einleiten einer Migräne-Prophylaxe.
Neu ist hier vor allem die Empfehlung, bei Patienten mit Migräne und MOH eine Migräne-Prophylaxe zu verordnen, ohne wie bisher üblich zuvor einen Entzug der Analgetika einzuleiten. Dafür kommen Topiramat, Onabotulinumtoxin A und die neue Substanzklasse der monoklonalen Antikörper gegen CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) oder den CGRP-Rezeptor infrage [2]. Derer gibt es derzeit vier: Der CGRP-Rezeptorantagonist Erenumab und die Liganden-Antikörper Fremanezumab, Galcanezumab und Eptinezumab, die an beide Isoformen (α- und β-CGRP) binden. So wird das Andocken von CGRP an seinen Rezeptor blockiert und damit der Signalweg, der zum Anfall führt, nicht aktiviert. Wie Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener (Essen) auf dem diesjährigen Schmerzkongress sagte, funktioniere die Migräne-Prophylaxe trotz MOH laut Einzelstudien mit allen CGRP-Antikörpern etwa gleich gut.
CGRP-Antikörper bei MOH
Diese Aussage wird von einer aktuellen Studie aus Essen gestützt, die kürzlich auf der Neurowoche vorgestellt wurde [3]. In der retrospektiven Real-World-Studie wertete ein Forscherteam der Universität Essen die Daten von 225 Migräne-Patienten aus, von denen 95 die Kriterien eines MOH erfüllten. Von diesen Teilnehmern wurden 140 mit Erenumab, 43 mit Fremanezumab und 42 mit Galcanezumab behandelt, ohne dass bei den MOH-Patienten zuvor ein Absetzen der Analgetika erfolgt wäre.
Ergebnis: Zwischen den Gruppen der Migräne-Patienten mit und ohne MOH wurden bei der 50%-Responder-Rate der MMD (monatliche Migräne) keine signifikanten Unterschiede festgestellt, weder nach drei noch nach sechs Monaten Therapie (50%-Responder-Rate MMD nach drei Monaten: MOH 47,7 %, kein MOH 46,2 %, p = 0,87; nach sechs Monaten: MOH 36,8 %, kein MOH 41,5 %, p = 0,92).
Bei der 50%-Responder-Rate der MHD (Kopfschmerztage) zeigte sich nach drei Monaten sogar ein signifikant besseres Ansprechen in der Kohorte mit MOH (41,1 %) im Vergleich zur Kohorte ohne MOH (26,2 %, p = 0,018). Nach sechs Monaten Follow-up glichen sich die Unterschiede jedoch wieder an (MOH 34,7 %, kein MOH 34,6 %, p = 0,41).
In beiden Gruppen konnte zudem eine signifikante Reduktion der monatlichen Akutmedikationstage nach drei und sechs Monaten beobachtet werden (jeweils p < 0,001). Fazit der Essener Wissenschaftler: Die unter Praxisbedingungen beobachteten Ergebnisse weisen eindeutig darauf hin, dass ein vorheriger Entzug von Analgetika vor einer prophylaktischen Therapie mit CGRP-(Rezeptor)-Antikörpern nicht nötig ist.