Mangelernährung kann sich erheblich negativ auf die Wundheilung auswirken. Welche Prozesse liegen dem zugrunde? Und wie gestaltet sich eine bedarfsgerechte Ernährungstherapie? Antworten auf diese Fragen lieferten PD Dr. med. Romana Lenzen-Großimlinghaus (Potsdam) und Prof. Dr. rer. nat. Dorothee Volkert (Nürnberg).
Die Wundheilung umfasst 4 Stadien: Koagulation, Inflammation, Proliferation und Differenzierung, rief PD Dr. med. Romana Lenzen-Großimlinghaus (Potsdam) in Erinnerung. Vor allem während der Inflammationsphase kommt es durch den Stress der Wunde zu Stoffwechselveränderungen. Dabei werden katabole Hormone (Cortisol, Katecholamine) und Fettabbau herunter-, anabole Hormone (Testosteron), Stoffwechselrate (35–40 kcal/kg pro Tag) und Körpertemperatur dagegen hochgefahren. Auch Glucosebedarf, hepatische Gluconeogenese und Skelettmuskelabbau nehmen zu. Für eine adäquate Proliferation und Differenzierung benötigt der Körper ausreichend Substrate. Makronährstoffe wie Kohlenhydrate und Fette sorgen für Energie, Proteine fördern den Strukturaufbau. Mikronährstoffe wie Vitamine und Spurenelemente unterstützen in diesen Phasen. Bei chronischen Wunden ist dieser Heilungsprozess gestört. Neben primären/kausalen Faktoren durch die Grunderkrankung (> 70 % vaskulär) beeinträchtigen sekundär lokale Störungen wie Fibrinpersistenz oder Migrationsdefekt der Epithelien die Wundheilung. Tertiäre, begleitende Faktoren sind Zytotoxizität, Medikamente, Lebensalter und Mangelernährung – letztere schränkt durch Energie- und Substratmangel den Strukturaufbau ein [1].
Rolle der Magermasse
Bleibt die orale Zufuhr von Nährstoffen aus, werden die Energiedepots aus Muskeln und Fettgewebe angezapft und zu Glucose und Ketonen verstoffwechselt. Bei Unterversorgung mit Kalorien kommt es im Verlauf zum Abbau von Glykogen, Eiweiß und Fett und so zu einer Protein-Energie-Mangelernährung. Im Falle eines Gewichtsverlustes sieht sich der Körper mit konkurrierenden Aufgaben konfrontiert: bei einem Rückgang der Magermasse des Körpers verlagert sich der Proteinverbrauch von der Wundheilung hin zum Muskelerhalt [1]. Bereits ein Verlust von 20 % der Magermasse resultiere in einer verzögerten Heilung, einer Ausdünnung der Haut sowie Infektionen, so die Expertin. Ein Verlust von 30 % gehe u. a. mit spontaner Dekubitus-Entwicklung und stagnierender Wundheilung einher, mit einer Mortalität von 50 % [1].
Reduzierte Nahrungsaufnahme und Inflamm-Aging
Ein weiterer Punkt: Je höher das Alter, umso langsamer die Wundheilung, so Lenzen-Großimlinghaus. Dies ist wiederum mit einer altersabhängig reduzierten Nahrungsaufnahme assoziiert [2]. Wichtig hierbei ist die zentralnervöse Appetitregulation: Hormone wie Noradrenalin, Neuropeptid Y und Serotonin steigern den Appetit, andere Hormone wie Leptin, Cholecystokinin oder Dopamin wirken gegenregulierend und rufen Sättigung hervor. Die Expertin verwies hier besonders auf die Entzündungsmediatoren TNF-α und IL-6, die ebenfalls regulär zur Sättigung beitrügen. „Im Alter nehmen die appetitsteigernden Einflüsse ab und die Sättigungsfaktoren zu“, so die Expertin. Dieses Phänomen gehöre zum Inflamm-Aging („Entzündungsaltern“).
Ernährung in den Leitlinien
Die 2023 publizierte S3-Leitlinie „Lokaltherapie schwerheilender und/oder chronischer Wunden aufgrund von peripherer arterieller Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus oder chronischer venöser Insuffizienz“ zeige, dass man die Bedeutung der Ernährung als adjuvante Maßnahme erkannt habe, berichtete die Expertin. Für detailliertere Empfehlungen werde auf die S3-Leitlinien „Klinische Ernährung in der Chirurgie“ sowie „Klinische Ernährung in der Geriatrie“ (derzeit im Update-Prozess) verwiesen.
Zur Dekubitus-Behandlung empfiehlt die 2019 erschienene Leitlinie des European Pressure Ulcer Advisory Panel (EPUAP) ein Ernährungs-Screening. Bei Hinweisen auf eine Mangelernährung seien ein Ernährungs-Assessment und Erstellen eines Ernährungsplans angezeigt. Bei drohender oder manifester Mangelernährung sollte die Energiezufuhr 30–35 kcal/kg Körpergewicht (KG) und die Proteinzufuhr 1,5 g/kg KG pro Tag betragen. Zudem sollten den Betroffenen hochkalorische Protein- sowie Arginin-, Zink- und antioxidative Nahrungsergänzungsmittel angeboten werden. Ultimativ können weitere enterale und parenterale Maßnahmen zur Anwendung kommen.
Screening auf Mangelernährung
Für ein adäquates Screening empfehlen sich die Kriterien der Global Leadership Initiative on Malnutrition (GLIM), die Prof. Dr. rer. nat. Dorothee Volkert (Nürnberg) präsentierte (Tab.) [3]. Sind mindestens ein phänotypisches und ein ätiologisches Kriterium erfüllt, liegt eine Malnutrition vor. Das Screening sollte sich kurz und schnell umsetzen lassen und zur Identifikation gefährdeter Personen beitragen. Zudem sollte es in regelmäßigen Abständen wiederholt werden.
1 Demling RH, Eplasty 2009; 9: e9
2 Robinson SM et al., Clin Nutr 2018; 37: 1121–32
3 Cederholm T et al., Clin Nutr 2019; 38: 1–9
Symposium „Wunde & Ernährung“, 06. Nürnberger Wundkongress, November 2023