Chronische Hautgeschwüre zum Abheilen zu bringen, braucht Zeit. Es gilt, die Grunderkrankung zu behandeln und das Ulkus regelmäßig gründlich zu debridieren und zu spülen. Womit dann aber die Wunde abdecken? Es gibt viele Produkte, oft mit unzureichender Evidenz. Orientierung gibt eine neue S3-Leitlinie.
Nach der 2023 aktualisierten S3-Leitlinie „Lokaltherapie schwerheilender und/oder chronischer Wunden aufgrund von peripherer arterieller Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus oder chronischer venöser Insuffizienz“ ist jedes arterielle, venöse oder gemischte Ulcus cruris (Ulcus cruris venosum, UCV; Ulcus cruris arteriosum, UCA) und jedes diabetische Fußulkus (DFU) bis zur vollständigen Epithelisierung und zum Schutz noch 14 Tage darüber hinaus abzudecken. Womit, das richtet sich im Rahmen des auch wirtschaftlich Sinnvollen nach dem Zustand von Wundfläche, Wundrand und -umgebung, den Materialeigenschaften – Haftstärke, Exsudataufnahme und -rückhaltefähigkeit – und den Zielen des Patienten oder der Patientin. Schmerzen sind zu vermeiden, vor allem beim Entfernen des Verbandes. Auch müssen die Behandelten im Alltag mit der Wundauflage zurechtkommen und dürfen keine Allergien oder Unverträglichkeiten aufweisen.
Feuchtes Wundmilieu entscheidend
Außer bei avitalen trockenen Nekrosen, etwa bei diabetischer Gangrän, ist es essenziell, ein physiologisch feuchtes Wundmilieu zu erhalten. Mitunter ist es erst herzustellen. Eine Rehydrierung ist etwa bei freiliegenden Sehnen oder Knochen oder bei schmerzhaften, trockenen Wunden sinnvoll. Hierfür kann Hydrogel verwendet werden – auch wenn Daten bei UCV/UCA bisher keine belastbaren Nutzen-Schaden-Aussagen erlauben. Gleiches gilt für die Heilung nicht infizierter Wunden mit Cadexomer-Iod und Povidon(PVP)-Iod-Produkten, die, je nach Konzentration und Einwirkzeit, womöglich toxisch oder allergisierend wirken und den Körper systemisch mit Jod belasten können. Zudem erlaubt die begrenzte Nachbeobachtungzeit in Studien keine Aussagen über potenzielle Langzeitschäden.
Zu mit Nano-Oligosaccharid-Faktor/Sucrose Octasulfat (NOSF) beschichteten Lipidokolloid-Verbänden (Technology Lipido Colloid, TLC) gibt es randomisiert-kontrollierte Studien (RCT) mit Hinweisen auf eine verbesserte Wundheilung im Vergleich zu NOSF-freien TLC- oder Polyurethan-Schaumstoff-Verbänden. Sie können bei DFU und UCV erwogen werden, zumal sie Schmerzen reduzieren können. Bei schmerzenden UCV sind auch Ibuprofen-haltige Auflagen eine Option. Systemische Nebenwirkungen sind hier trotz hoher Lokaldosierung nicht zu erwarten. Das Allergierisiko war in Studien bei orthopädischer oder rheumatologischer Indikation nicht höher als bei Placebo-Patches. Menschen mit bekannter Unverträglichkeit oder Allergie sollten es allerdings nicht benutzen. Für andere wirkstoffhaltige Wundauflagen ist die Evidenz zu unsicher. Deshalb beschloss die Leitlinienkommission, hierzu keinerlei Empfehlungen auszusprechen. Für ionisiertes Silber beispielsweise ist zwar die antimikrobielle Wirkung in vitro belegt. Auch ergibt es theoretisch Sinn, Wundauflagen zu verwenden, die die Keimzahl im Exsudat reduzieren können – schließlich dienen Wundauflagen auch dazu, keimhaltiges Exsudat nicht wieder an die Wunde abzugeben. Ein belastbarer Vorteil für die Wundheilung wurde aber nicht nachgewiesen. Außerdem ist eine potenzielle Gewebetoxizität nicht auszuschließen.
Keine Überlegenheit einzelner Verbandsmaterialien
Fehlen Hinweise auf eine Infektion, etwa Wundbeläge, sind Materialien ohne antimikrobielle Wirkstoffe angeraten: Schaumstoffwundverbände, (Fett-)Gaze, Hydrokolloide, Mikrofaser oder hydrophile Faserverbände, Superabsorber, Alginate oder Hydrogel. Vergleichs-RCT und Metaanalysen ergaben keine Gründe, bestimmte Verbände zu bevorzugen. Vergleiche von Schaumstoff versus Fettgaze bei DFU sowie UCV ergaben hinsichtlich der kompletten Wundheilung und bei DFU auch im Hinblick auf Schmerzfreiheit keine signifikanten Unterschiede. Auch beim Vergleich von Hydrokolloiden und Schaumstoff bei UCV, von Mikrofasern/hydrophilen Fasern versus Standardverbänden sowie Alginat versus Schaumstoff bei DFU heilten die Wunden gleichermaßen ab, ebenso wie UCV mit Alginat versus Schaumstoff. Zwischen Hydrogel und Gaze ergaben sich bei DFU ebenso keine signifikanten Unterschiede, weder bei der Wundheilung noch hinsichtlich der Nebenwirkungen.
Ist die Wunde fachgerecht konditioniert, sollten die Behandelnden prüfen, ob es möglich ist, sie sekundär mit einem autologen Hautersatz zu verschließen. Dies empfehlen die Expertinnen und Experten trotz fehlender Nutzen-Evidenz aus älteren Studien. Sie berufen sich vielmehr auf jahrzehntelange Erfahrung mit gelungenen Spalthauttransplantaten auf gut vorbereitetem Wundgrund. Alternativ kommt ein synthetischer Hautersatz infrage.
Was tun, wenn Wunden nicht heilen?
Gelingt es nicht, ein DFU zur Abheilung zu bringen, sind alle Standardmaßnahmen erschöpft und eine Infektion ist ausgeschlossen, kommt ein autologer Fibrinpatch infrage. Dafür wird patienteneigenes Blut mithilfe einer Zentrifuge zu einem geschichteten Koagel aus Fibrin, Leuko- und Thrombozyten geformt, auf die Wunde gelegt und 7 Tage lang abgedeckt. Die Idee ist, der Wunde konzentriert körpereigene Wachstumsfaktoren und Signalproteine zur Verfügung zu stellen. Die bisher einzige RCT habe der Hersteller finanziert, so die Leitlinien-Autoren.
Bei stark riechenden Wunden können zusätzlich zur leitliniengerechten Therapie Kohlekompressen verwendet werden. Allerdings nicht, ohne nach einer womöglich zugrunde liegenden Infektion zu suchen. Kohlekompressen eignen sich besonders in Palliativsituationen bei anderweitig nicht zu sanierenden Wunden.
Sind die Wunden sehr groß und tief, ist darauf zu achten, dass unter dem Verband keine Hohlräume entstehen. Die Verbandmittel sollten überall Kontakt zum Wundgrund haben.
Bei klinischen Infekthinweisen ist die Wundbehandlung unverzüglich zu überdenken. Infizierte Wunden brauchen Verbände, die das Wundsekret gut aufnehmen und zurückhalten, zugleich aber für ausreichend Luftaustausch sorgen. Betroffene mit Hinweisen auf eine Sepsis müssen ins Krankenhaus.
Zeigt ein Ulkus binnen 6 Wochen trotz leitliniengerechter Kausal- und Lokaltherapie keine Heilungstendenz, ist interdisziplinär nach den Ursachen zu fahnden, gegebenenfalls auch eine Zweitmeinung einzuholen. Gibt es Komplikationen oder eine andere Erklärung für die Wundheilungsstörung? Ist womöglich die Grunderkrankung unzureichend kontrolliert? Bei Hautveränderungen in der Wundumgebung kommt auch eine Kontaktallergie in Betracht. Bei Verdacht sind Epikutantests ratsam. Therapieresistente und morphologisch ungewöhnliche Ulzerationen sind histologisch abzuklären.
Auch Umgebungshaut braucht Pflege
Eine gepflegte Umgebungshaut mit erhaltener Barrierefunktion ist hilfreich. Wichtig ist, dass Wundsekret und Flüssigkeit nicht nach außen dringen, und Wundrand und Umgebung vor Mazerationen und Druck geschützt werden. Mechanische Einwirkungen – Druck, Zug, Reibung, Spannung – können sich negativ auf Wundheilung und Narbenbildung auswirken. Daher empfiehlt die Leitlinie Hautpflege und Schutz vor mechanischer Belastung auch noch nach der Abheilung. Eine konsequente, kontinuierliche lokale Druckentlastung oder gar Ruhigstellung ist wichtig bei neuropathischem Fußsyndrom.
Alltagsaktivitäten der Behandelten sollten bestmöglich gefördert werden und nicht unter der Wundbehandlung leiden. So muss auch nicht auf Duschen zur Körperpflege verzichtet werden. Allerdings ist zu vermeiden, dass die Wunde mit unsterilem Wasser in Kontakt kommt.
Die Behandlung chronischer Wunden ist komplex, das Angebot an Produkten überwältigend. Dennoch fehlt oft belastbare Evidenz. Wo es sie gibt, erweisen sich viele Materialien als ebenbürtig. Wichtig ist, die Grundprinzipien zu verstehen. Die aktualisierte S3-Leitlinie bringt dies auf den Punkt. Nicht zuletzt ist die Auswahl einer geeigneten Wundauflage nur ein Baustein der Behandlung. Entscheidend, gerade im Hinblick auf die Infektvermeidung, ist die vorausgehende Wundreinigung. Und ohne bestmögliche Therapie der Grunderkrankung, etwa eines Diabetes mellitus oder einer chronisch venösen Insuffizienz, geht es nicht.
Autoren: Daum H., Sellmer W., Bültemann A.
Auflage: 4., aktualisierte und erweiterte Auflage, Paperback, 130 mm × 210 mm
Seitenanzahl: 302 Seiten
Abbildungen: 128 farbige Abbildungen, 23 Tabellen
ISBN: 978-3-95466-799-4
Preis: 39,95 Euro
Über eine Million Menschen haben in Deutschland Wunden, die nicht oder nicht dauerhaft heilen.
Um chronische und schwer heilende Wunden dreht sich die neue Wundfibel 4.0 – warum heilen Wunden nicht, was lässt sich kausal, was lokal in der Versorgung optimieren? Wann ist welche Wundauflage sinnvoll, welchen Einfluss haben Hygiene, Ernährung und das Patientenverhalten auf die Heilung?
Aus ärztlicher, pflegerischer und pharmazeutischer Sicht werden alle Facetten der chronischen Wunde beleuchtet, Begriffe geklärt und Wissen aus der Praxis für die Praxis vermittelt. Für die Asklepioshäuser hat diese Wundfibel den Charakter eines bundesweiten Versorgungsstandards, für die Wundversorger Deutschlands beleuchtet sie die Chancen und Grenzen der Versorgung von Wunden, die nicht heilen.
S3-Leitlinie „Lokaltherapie schwerheilender und/oder chronischer Wunden aufgrund von peripherer arterieller Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus oder chronischer venöser Insuffizienz“, AWMF-Nr. 091/001; 2023