In den vergangenen 20 Jahren hat sich die dermatologische Versorgung infolge der Entwicklung zahlreicher hochwirksamer systemischer Therapien umfassend verändert. Davon profitieren Patientinnen und Patienten – wenn sich die Versorgung personell und ausreichend flexibel sicherstellen lässt.
Zwar hätten Lokaltherapien noch immer einen hohen Stellenwert, doch bedeute die Entwicklung beispielsweise der Biologika einen enormen Fortschritt für Betroffene, erklärte Dr. med. Steffen Gass, Vorsitzender des BVDD-Landesverbands Bayern. Denn die Stigmatisierung durch Hauterkrankungen an kommunikativen Flächen (Gesicht, Händen) sei unglaublich hoch.
Es gebe also einerseits die neuen Medikamente, andererseits aber eine zunehmend prekäre personelle Situation. Spätestens in 3 Jahren werde die Mehrzahl der knapp 6 400 Dermatologinnen (60 %) und Dermatologen (40 %) angestellt und nicht selbstständig in der eigenen Praxis sein. Zudem gelinge es Deutschland als einem der höchst entwickelten Industrieländer nicht, ausreichend eigene Kräfte auszubilden. Ein steigender Anteil werde im Ausland rekrutiert und diesen Abzug könne man ethisch-moralisch durchaus infrage stellen. Erschwerend komme hinzu, dass über 50 % der in der allgemeinen und fachärztlich spezialisierten Versorgung Tätigen über 55 Jahre alt seien und in den nächsten 10 Jahren in Rente gingen. Wegen der höheren Teilzeitquote der Jüngeren sei eher ein Wegfall von 60 % zu erwarten, rechnete Gass – „gesund“ wären 30 %. Gleichzeitig sei der fachgruppenspezifische Durchschnitt der Behandlungsfälle in der Dermatologie mit knapp 1 300 pro Quartal der höchste.
Innovative Therapien erreichen nicht alle
Derzeit verschrieben 1 600 der rund 4 000 niedergelassenen Dermatologinnen und Dermatologen 80 % der Biologika, führte Gass aus. Ein Biologikum koste im Jahr 13.000 –15.000 Euro, die verordnungsrelevanten Regularien seien kompliziert und bisweilen undurchsichtig und damit die Risiken für einen Regress gegeben. Hier bestehe Reformbedarf, damit nicht aus Unsicherheit sinnvolle Verordnungen unterblieben.
Ein zweiter Punkt sei die Starre der Verordnungsregeln. Werde ein Patient mit Neurodermitis und starkem Juckreiz unter einem Medikament, das alle 4 Wochen gegeben werden soll, erscheinungsfrei, dürfe die Verabreichung nicht einfach alle 5–6 Wochen erfolgen, um den Status zu erhalten. Ein solche Streckung gelte dann als unzulässiger Off-Lable-Use – obwohl die Medikamentenkosten deutlich reduziert würden und es wirtschaftlicher wäre. Hier bräuchten Ärztinnen und Ärzte mehr Entscheidungsfreiheit.
In der Medizin habe außerdem der „Räumungsverkauf“ begonnen, monierte Gass. Die Bildung Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) schreite voran. Diese Zusammenschlüsse seien an sich nicht zu kritisieren, wohl jedoch Investoren-geführte MVZ. Eine der 4 großen Augenarztketten in Deutschland sei kürzlich an einen schwedischen Investmentfonds verkauft worden und man müsse erwarten, dass dies die Durchführung medizinischer Leistungen entsprechend ihrer finanziellen Rentabilität beeinflusse und dass Kapital abfließe. Auch schade die wechselnde ärztliche Zuständigkeit dem Arzt-Patienten-Verhältnis.
Anspruch und Wirklichkeit – Beispiel Vitiligo
Erst seit einem Jahr gibt es ein auch in Europa zugelassenes topisches Medikament gegen die Vitiligo. Die Anwendung weist jedoch noch große Lücken auf, beobachtet der Deutsche Vitiligo-Bund e. V. Die psychodermatologischen Folgen der Vitiligo– speziell die mit ihr assoziierte Stigmatisierung – wird häufig unterschätzt, trotz globaler Evidenz. Welche Auswirkungen dies und fehlende Informationen für Betroffene hat, erklärte Georg Pliszewski, Vorsitzender des Deutschen Vitiligo-Bundes.
Bisher zeichne sich ab, dass vielen Dermatologinnen und Dermatologen medizinische und rechtliche Informationen fehlten, um das Medikament zu verordnen. Wie aus Rückmeldungen Betroffener hervorgehe, verführen die Praxen sehr unterschiedlich, denn die Salbe werde manchmal aktiv angeboten, in anderen Fällen mit Verweis auf das Budget oder eine (vermutet) fehlende Kostenübernahme verweigert, kritisierte Pliszewski. Über die neue Therapieoption seien offenbar auch die Kassenärztlichen Vereinigungen unzureichend informiert, verwiesen sie Ratsuchende doch an den Vitiligo-Bund und nicht an eine dermatologische Praxis. Dass die Vitiligo seit 2020 als behandlungsbedürftige Erkrankung eingestuft wurde, sei noch nicht hinreichend bekannt, auf der Liste der Lifestyle-Erkrankungen stehe sie nicht.
Wann Krankheit vorliegt und Leistungspflicht besteht: eine zweistufige Prüfung
Wie eine Verordnung regresssicher gelingt, erklärte Thorsten Ebermann, Fachanwalt für Medizinrecht in Berlin. Während bei der privaten Krankenversicherung (PKV) das Kostenerstattungsprinzip gelte, finde in der gesetzlichen (GKV) das Sachleistungsprinzip Anwendung. Es verpflichte die Kassen, eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Therapie unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts sicherzustellen, so der Jurist. Ob ein Behandlungsanspruch besteht, müsse in zwei rechtlichen Stufen geprüft werden.
Zunächst sei festzustellen, ob für ein Arzneimittel der Lifestyle-Ausschluss gilt (Anlage II zu § 34 SGB V). Er gelte für Arzneimittel, „bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht“. Für Arzneimittel zur Therapie der Vitiligo treffe jedoch nicht zu, dass sie vornehmlich das Aussehen verbesserten, also bestehe kein Lifestyle-Ausschluss.
Im zweiten Schritt sei zu klären, ob eine Leistungspflicht besteht und Betroffene einen Behandlungsanspruch haben, was gleichzeitig einen Regress für Arzt oder Ärztin ausschließe. Rechtlich sei Krankheit definiert als „regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der die Notwendigkeit ärztlicher Heilbehandlung […] zur Folge hat“. Konkret müsse eine Funktionsbeeinträchtigung oder Entstellung vorliegen. Als Entstellung gilt, was ständig viele Blicke auf sich zieht, Reaktionen von Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit auslöst und Erkrankte dazu veranlasst, sich aus der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen. Dann erschwere die Erkrankung ein freies, unbefangenes Leben unter Mitmenschen.
Dies sei aus juristischer Sicht bei Vitiligo mit Kopfbeteiligung unbestritten, ohne jedoch zweifelhaft, so Ebermann, denn bei reiner Körperbeteiligung könnten betroffene Stellen bedeckt werden. Das sei schwierig für Verordnende. Gleichzeitig sei das Medikament sehr teuer und die Angst vor Regressen allgegenwärtig. Dass die reine Körperbeteiligung die Partnersuche stark beeinträchtigen könnte, werde juristisch bisher nicht berücksichtigt.
Vorträge „Viele Patient*innen, wenig Ärzt*innen“, „Vitiligotherapie aus Sicht Betroffener“, „Leistungsansprüche von Patienten: Zwischen Recht und Patienten-Kenntnis“