Das Körpergewicht ist ein wesentlicher Faktor wenn es darum geht, die Risiken einer Frau in der Peri- und Postmenopause zu beurteilen. Und viel zu viele Frauen sind übergewichtig. Eine Besserung durch Lebensstiländerung ist möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Medikamente können unterstützen.
Dr. med. Ruth Hanßen (Köln) begann ihren Vortrag mit einer simplen Frage: „Warum werden wir alle immer dicker?“ Und erklärte dann, wie es überhaupt zu einem erhöhten Körpergewicht kommt. „Ja, es gibt einen Gendeffekt, der für ein erhöhtes Körpergewicht verantwortlich ist. Der ist aber sehr selten. Ich möchte heute auf die anderen 97 % der Bevölkerung mit einem erhöhten Körpergewicht schauen. Bei denen es eine polygene Veranlagung ist, gepaart mit Einflüssen der Umwelt und des Lebensstils.“
Dann nahm sie das Publikum mit in die Neurowissenschaften. Essen und Essverhalten werden vom Gehirn gesteuert, so wie jede andere Verhaltensweise auch. Und wir können zwischen zwei Bereichen unterscheiden. Im Hypothalamus sitzen die Nervenzellen, die für die basale Essverhaltensregulation zuständig sind: Wenn wir lange nichts gegessen haben, kommt ein Hungergefühl, und wenn wir etwas gegessen haben, ein Sättigungsgefühl. Es gibt aber auch andere Bereiche, die etwas mit Essen zu tun haben. Und einer davon ist unser Belohnungssystem.
Der Nucleus arcuatus (Arc) im Hypothalamus enthält zwei antagonistisch wirkende Gruppen von Neuronen, die entscheidend zur Kontrolle der Nahrungsaufnahme beitragen:
Diese Neurone werden durch verschiedene hormonelle und neuronale Signale reguliert, insbesondere durch Leptin, Insulin und Ghrelin. Und sie kämpfen um einen Rezeptor. Das ist der MC4-Rezeptor. Dieses Gleichgewicht ist essenziell für die langfristige Aufrechterhaltung der Energiebilanz und wird bei Stoffwechselerkrankungen wie Adipositas häufig gestört.
Wie, erklärte Hanßen zunächst am Mausmodell. Hier konnte sie zeigen, dass durch eine fettreiche Diät Veränderungen im Gehirn passieren. Bei einer Maus, die lange nichts zu essen bekommen hat, feuern die Hungerneuronen. Bekommt diese Maus ein Pellet normales Mäusefutter, werden diese Neuronen ausgeschaltet. Bei Mäusen, die eine High-Fat-Diet gewöhnt sind, werden diese Neurone nicht mehr so effektiv ausgeschaltet. Selbst wenn diese Maus dann ein High-Fat-Pellet bekommt, geht die Aktivität nicht im gleichen Maß runter wie bei den Mäusen, die sich immer gesund ernährt haben.
„Das bedeutet auch für unsere Patientinnen, wenn jemand langfristig sich ungesund ernährt, mit vielen Fast-Food-Produkten, mit viel Fertigessen, dass sich diese Hungernervenzellen im Hypothalamus verändern und nicht mehr so gut ausgeschaltet werden können.“ Nachdem sie kurz in die Wirkweise von GLP-1-RA und kombinierten GLP-1-/GIP-RA vorgestellt hatte, erklärte Hanßen den Stellenwert dieser Substanzen in einer zukünftigen multimodalen Adipositastherapie.
Ihr Fazit: Adipositas geht mit funktionellen Veränderungen im Hypothalamus und im mesolimbischen System einher, die für die betroffenen Patientinnen Lebensstiländerungen nur sehr schwierig umsetzbar machen. GLP-1-RA, duale Agonisten – und demnächst auch Triple-Agonisten – wirken (u. a.) zentralnervös und machen eine Lebensstiländerung möglich. Der Einsatz ist jedoch nur sinnvoll, wenn parallel eine multimodale Basistherapie erfolgt.
Vortrag von Dr. med. Ruth Hanßen (Köln)