Auch vor der Medizin macht die Künstliche Intelligenz (KI) keinen Halt und dringt immer weiter in den Alltag von Pathologen, Radiologen und Chirurgen vor. Auf dem DKK wurden innovative Tools diskutiert, die ganz oder teilweise auf maschinellem Lernen bzw. Künstlicher Intelligenz fundieren.
Digitalisierung von Patientendaten klingt auf den ersten Blick nicht nach einem spannenden Thema (> eHealth). Und das ist es auch nicht. Vor allem nicht, wenn man vieles noch per Hand machen muss, wie es derzeit noch der Fall ist. Patientendaten werden häufig auf Papier oder „digital“ als PDF gespeichert, was das automatische Auslesen und Verarbeiten der Daten sehr kompliziert, wenn nicht sogar auf konventionellem Weg unmöglich macht. Dass es keine einheitlichen Strukturen in der Darstellung der Daten gibt, erschwert das Ganze noch mal.
Was erstmal nur nach einem administrativen Problem klingt, kann sich aber auch schnell auf kritische Entscheidungen auswirken. So verursacht ein Fehler nicht nur unerwünschte Kosten durch Zeit- und Personalaufwand, der anfällt, wenn er später doch noch auffällt. Ein oder mehrere falsch eingetragene Werte können potenziell bei Diagnosen und Medikamentierung zu falschen Entscheidungen führen.
Die Pathologie im Wandel
Prof. Dr. med. Philipp Ströbel (Göttingen) stellte in einem Perspektivvortrag seine Sicht der Dinge auf die Rolle von Künstlicher Intelligenz in der Pathologie der Zukunft vor und wies darauf hin, dass eine vernünftige Digitalisierung dazu die unbedingte Voraussetzung ist (> Gesundheitssystem). „Die Komplexität der Pathologie wird in der Öffentlichkeit unterschätzt“, sagte Ströbel, „dafür unterschätzen wir Pathologen die Leistungsfähigkeit der Technologie.“ Das Thema ist von immenser Tragweite, denn Pathologen sind an rund 70 % aller Diagnosen beteiligt. In der Onkologie sind es praktisch 100 %.
Um zu überlegen, wo KI unterstützen kann, muss man sich die Arbeit des Pathologen genauer anschauen: Virtuelle Bilder werden beurteilt nach Form, Formänderungen, Variabilität und ähnlichen Dingen und mit einer – oft im Gedächtnis gespeicherten – Bilddatenbank verglichen. So kommt man schrittweise zur Diagnose. Und genau das ist Kernkompetenz von maschinellem Lernen.
„Die klassische Anforderung aus der Klinik an uns lautet: Dignität. Und man erwartet von uns eine binäre Antwort.“ So einfach ist es in der Regel aber nicht. Biologische Merkmale sind kontinuierlich ausgeprägt, es gibt Übergänge. Hier muss der Pathologe Entscheidungen treffen, die therapeutische Konsequenzen haben. Und überall, wo solche Entscheidungen getroffen werden, entsteht Rauschen – englisch noise. Das betrifft die Bewertung zwischen verschiedenen Pathologen (inter-observer Reproduzierbarkeit) als auch die Bewertung durch einen Pathologen zu verschiedenen Zeiten (intra-observer Reproduzierbarkeit) (Abb.).
Bei der Analyse von qualitativen Unterschieden – ist ein Merkmal vorhanden oder nicht – sind Menschen gut. Schwierig wird es bei der quantitativen Analyse – die aber z. B. für den Einsatz von Checkpoint-Inhibitoren in vielen Entitäten hohe praktische Relevanz hat. Solche Aufgaben kann man an eine KI mit morphometrischen Verfahren sehr gut delegieren und das ist eine der Aufgaben, die für eine Präzisionsmedizin auf jeden Fall an einen Algorithmus übergeben werden sollten.
Eine Gruppe der Universitätsmedizin Göttingen hat untersucht, wie gut das in der Praxis funktioniert. Zunächst haben sie erfasst, wie gut TNM-Daten aus pathologischen Gutachten ausgelesen werden. Als Basis dafür dienten 247 PDF-Reports von Patienten mit kolorektalem Krebs. Um die Leistung des Algorithmus zu vergleichen, wurden die Ergebnisse der KI mit den Werten der (interdisziplinären) Tumorboards und einer eigens von trainierten Medizinstudenten gepflegten Datenbank verglichen.
Sie stellten fest, dass in 22 von 247 Fällen (9 %) in Vorbereitung für die Tumorboards inkorrekte Daten übernommen wurden. Bei 6 Patienten haben die Studenten Fehler gemacht, während der Algorithmus in 5 Fällen falsch lag. Dafür konnte er aber 9 (3,5 %) Daten gar nicht extrahieren, weil sie entweder nicht eindeutig zu lesen waren oder gar keine Daten erkannt wurden. Und hier schließt sich der Kreis zur Digitalisierung der Patientendaten als Voraussetzung für maschinelle Bearbeitung.
Wer trifft die rationellere Entscheidung?
Prof. Dr. med. Peter Fasching (Erlangen) ging der Frage nach, wer die rationaleren Entscheidungen trifft: Der Computer oder das Tumorboard. „Durch das Sammeln von unglaublich vielen Daten stoßen wir in Bereiche vor, in den die Wissenschaft noch nie vorher gewesen ist“, sagte er. „Und die klinische Entscheidungsfindung ist der Bereich, der vor allem davon profitieren kann.“
Auf Basis von diagnostischen und genomischen Daten machen Computer heute schon Vorschläge, die dann im Tumorboard besprochen werden. Basis sind Wissensgrafen, die Zusammenhänge deutlich sichtbar machen. Faschings Gruppe hatte ein solches System für die Therapie von speziellen Formen des Mammakarzinoms entwickelt und trainiert, die Entscheidung Chemotherapie vs. Antihormontherapie zu treffen. In einer kleinen Studie hatte man einem Tumorboard Fälle vorgelegt, die bereits von einem anderen Tumorboard oder einer Maschine bearbeitet worden waren. Die Diskrepanzen waren in beiden Fällen im niedrigen zweistelligen Prozentbereich. Doch während das zweite Board in einigen Fällen die Entscheidung des ersten Boards als „No-Go“ beurteilt hatte, kam das bei den Entscheidungen der KI praktisch nicht vor.
Zusammenfassend lässt sich sagen: KI hat ein immenses Potenzial in der Medizin, v. a. durch:
Plenarsitzung „Mensch-Maschine-Interaktionen“