Was macht ein Neurologe auf dem Diabeteskongress? Er beleuchtet ein Thema, das die wenigsten Diabetologen auf dem Schirm haben: Es gibt einen offensichtlichen Zusammenhang zwischen der Anzahl von stattgehabten Hypoglykämien und der Entstehung einer Demenz.
Prof. Dr. med. Thomas Duning (Bremen) beleuchtete den Zusammenhang zwischen Diabetes und kognitiven Störungen. Am Beispiel der Nonnenstudie zeigte er, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen der histologischen Pathologie einer Demenzerkrankung und den messbaren Symptomen derselben gibt. „Jedes Gehirn jenseits der 40 hat schon sichtbare Pathologien. Ein Gehirn kann das kompensieren – aber es braucht dazu eine ausreichende Kompensationsreserve“, so Duning.
Die Kompensationsreserve bezieht sich auf die Fähigkeit des Gehirns, funktionelle und strukturelle Veränderungen zu kompensieren. Das Gehirn kann eine gewisse Plastizität aufweisen und alternative neuronale Netzwerke nutzen, um kognitive Funktionen aufrechtzuerhalten, selbst wenn bestimmte Gehirnregionen geschädigt sind. Diese Kompensationsmechanismen können zu Beginn einer Demenzerkrankung dazu führen, dass Patienten trotz bereits vorhandener Hirnschäden noch relativ normale kognitive Leistungen erbringen können.
Wird die Kompensationsreserve überlastet, beginnen die kognitiven Funktionen sich zu verschlechtern. Dies geschieht, wenn die Schädigung des Gehirns einen kritischen Punkt erreicht, an dem die kompensatorischen Mechanismen nicht mehr ausreichen, um die Funktionen aufrechtzuerhalten. Der genaue Zeitpunkt, an dem dies geschieht, kann von Patient zu Patient unterschiedlich sein und hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Neben den neurodegenerativen Erkrankungen vom Typ der Alzheimer-Demenz spielen beim Verlust der Kompensationsreserve vaskuläre Ereignisse und Mikrotraumata eine wichtige Rolle. „Was interessiert einen Neurologen an Diabetes?“, fragte Duning und beantwortete die Frage gleich selbst: „Nichts, außer Hypoglykämien. Denn diese Patienten kommen zu uns in die Notaufnahme.“
Der Hintergrund: Hypoglykämien führen zu reversiblen, neurologischen Defiziten, die jedes klinische Symptom eines Schlaganfalls imitieren können. Sie können aber auch irreversible, lebensbedrohliche Gehirnschäden verursachen. Last but not least können sie auch bei moderatem, aber häufigem Auftreten zu irreversiblen neurokognitiven Defiziten führen. Duning erklärte die spezifische Vulnerabilität des Gehirns so: Das Gehirn ist das Organ mit dem größten Energieumsatz im Körper – es macht nur etwa 2 % des Körpergewichts aus, benötigt aber 60–90 % des Blutglucosebedarfs. Zudem kann das Gehirn kaum Ketone oder Fette als Energielieferanten verstoffwechseln und hat keine Glucosespeicher. Es ist deshalb auf eine kontinuierliche, externe Glucoseversorgung angewiesen.
Die Datenlage ist schlecht – das liegt v. a. an der kurzen Laufzeit der großen Diabetes-Studien. Denn die neurologischen Folgen sind erst nach Jahren bis Jahrzehnten sichtbar. Seine Warnung daher: „Achten Sie darauf, dass Ihre Patienten nicht in Hypoglykämien laufen – auch nicht in leichte. Denn Hypoglykämien richten Neurone hin wie ein Schlaganfall.“
Symposium „Interdisziplinäre Diabetestherapie 2023“ (Veranstalter: Novo Nordisk Pharma GmbH)