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Kongress-Ticker

DDG

Diabetes Herbsttagung 2021

Dr. med. Katharina Arnheim, Dr. Reinhard Merz

18.11.2021

Hitzewellen: besonderes Problem für Diabetiker +++ Parallel verlaufende Pandemien +++ Kultursensitiver Umgang mit Migranten +++ Mehr Unterstützung im Alltag für Kinder mit Diabetes +++ Psychische Störungen +++ Adipositastherapie - Auf dem Weg zur multimodalen Behandlung

Hitzewellen: besonderes Problem für Diabetiker

Bei Menschen mit Diabetes mellitus und Adipositas ist der feuchte Hitzeaustausch über das Schwitzen ebenso wie der trockene Hitzeaustausch über den verstärkten Hautblutfluss mittels Gefäßerweiterung eingeschränkt. Sie leiden daher besonders unter den zunehmenden Hitzewellen aufgrund des Klimawandels, erklärte Prof. Dr. med. Erhard Siegel (Heidelberg).

Hinzukommen weitere Probleme: So verteilt sich das Insulin aufgrund des erhöhten Blutflusses für den trockenen Hitzeaustausch schneller im Körper, was das Hypoglykämierisiko erhöht. Bei Diabetikern, die unzureichend auf orale Antidiabetika eingestellt sind, ist dagegen ein gesteigertes Hyperglykämierisiko zu befürchten. In der Folge nimmt die Osmolalität des Blutes zu, was den Hitzeaustausch noch weiter behindert und eine Dehydrierung begünstigt. Siegel warnte daher vor einer Übersterblichkeit gerade bei adipösen und diabetischen Personen, die das Ausmaß einer schweren Grippewelle erreichen könnte.



Parallel verlaufende Pandemien

Die COVID-19-Pandemie und die schleichenden Pandemien von Adipositas und Diabetes verlaufen parallel und beeinflussen sich gegenseitig. Zum einen haben Deutsche während des Lockdowns in den vergangenen 1,5 Jahren wegen des veränderten Ess- und Bewegungsverhaltens im Schnitt 5,6kg zugenommen. Bei adipösen Personen war die Gewichtszunahme mit 7,2kg noch ausgeprägter, betonte Prof. Dr. med. Sebastian Meyhöfer (Lübeck).

Bei bereits bestehendem Prädiabetes können die zusätzlichen Kilos nach seinen Worten der Trigger für das Auslösen eines manifesten Typ-2-Diabetes sein. Zum anderen haben Personen mit Adipositas und Diabetes ein erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf. Diese Risikopatienten sollten daher bevorzugt geimpft werden, um einen effektiven Schutz vor der SARS-CoV-2-Infektion und insbesondere vor einem schweren Krankheitsverlauf zu gewährleisten.



Kultursensitiver Umgang mit Migranten

Jeder vierte in Deutschland lebende Mensch hat heute einen Migrationshintergrund, informierte Prof. Dr. med. Werner Kern (Ulm). In etlichen Ethnien ist das Diabetesrisiko deutlich erhöht: So liegt die Inzidenz des Typ-2-Diabetes bei türkischstämmigen Menschen um 50% über der in der deutschen Bevölkerung, was Kern u.a. auf die schlechtere medizinische Versorgung mit weniger Arztbesuchen, Kommunikationsprobleme und ein anderes Krankheitsverständnis zurückführte. Zudem spielt Essen bei vielen Migranten sozial und emotional eine große Rolle, während körperliche Aktivität als weniger wichtig wahrgenommen wird. Ärzte müssen sich daher interkulturelle Kompetenzen aneignen, forderte Kern.

Ein besonderes Problem für Typ-2-Diabetiker ist der Ramadan mit einer Hungerphase tagsüber und opulenten Mahlzeiten nach dem Fastenbrechen. Hier sollte vorher abgeklärt werden, ob der Patient am Ramadan teilnehmen möchte, sodass die antidiabetische Therapie ggf. umgestellt und angepasst werden kann.

Mehr Unterstützung im Alltag  für Kinder mit Diabetes

Bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes mellitus Typ 1 empfiehlt die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) aktuell einen HbA1C-Wert < 7 %(53 mmol/mol) ohne gleichzeitige Hypoglykämien. Prof. Dr. med. Andreas Neu, Präsident der DDG, beobachtet jedoch, dass die Mehrzahl der von ihm betreuten Kinder und Jugendlichen mit Diabetes die gesteckten Blutzuckerziele nicht erreichen. Als einen gewichtigen Grund dafür macht er das Lebensumfeld insbesondere bei jüngeren Kindern aus. So seien Kindergärten und Schulen in der Regel nicht auf die Bedürfnisse chronisch kranker Kinder ausgerichtet und das pädagogische Personal überfordert. Dies träfe teilweise auf die zusätzlichen Inklusionskräfte zu, da auch ihnen oftmals der medizinische Background fehle. Daher seien Schulungsgesundheitsfachkräfte, wie es sie in benachbarten europäischen Ländern gibt, vor allem an Grundschulen notwendig.
Die Stoffwechselstörung und ihre Therapie stellt aber auch für die betroffenen Kinder und ihre Familien eine Herausforderung dar. Sie müssen die Erkrankung akzeptieren, lernen mit aufkommenden Ängsten umzugehen und alltägliche Routinen rund um die Therapiemaßnahmen aufzubauen. Hilfreich wäre hier eine psychosoziale Unterstützung, doch dafür gibt es bisher zu wenig Anlaufstellen. Neu fordert daher ein ausreichend dichtes Netz an psychotherapeutischen Angeboten.

Psychische Störungen

„Diabetes mellitus und Depressionen stehen in einer Wechselwirkung zueinander, die dazu führt, dass sich bei fehlender Behandlung beide Erkrankungen im Krankheitsverlauf negativ beeinflussen oder sogar die eine die andere bedingt“, erläuterte Susan Clever, Psychologin in der Diabetespraxis Hamburg-Blankenese. Bei Adipositas und Diabetes hängt die Selbstbehandlung im Wesentlichen von den Selbstmanagementfähigkeiten der Betroffenen ab. Daher gilt es, Störfaktoren, die diese einschränken, zu vermeiden oder sie zeitnah zu identifizieren und die Patienten dabei zu unterstützen, sie zu überwinden. Fluch und Segen zugleich ist dabei die Tatsache, dass die Betroffenen eine zeitnahe Rückmeldung über Erfolg oder Misserfolg ihrer Selbstbehandlung auf der Waage oder dem Blutzuckermessgerät sehen. Aber gerade bei Adipositas ist der Zusammenhang zwischen den Bemühungen der Betroffenen und dem Gewicht nicht linear. Stagnation des Gewichtsverlaufs kann zu Hilflosigkeit, Selbstvorwürfen und psychischen Störungen führen, die alle weiteren Bemühungen untergraben. Die notwendige psychosoziale Versorgung scheitert meistens am Mangel entsprechender niederschwelliger Beratungsangebote.

Adipositastherapie — Auf dem Weg zur multimodalen Behandlung

Menschen mit Adipositas erfahren oft Stigmatisierung, und das ständige Scheitern bei der Gewichtsabnahme vermittelt ihnen das Gefühl, schuld an ihrer Situation zu sein. Eine multimodale Therapie mit medikamentösen und psychotherapeutischen Komponenten könnte einen Weg zu einem nachhaltigen Gewichtsverlust eröffnen.

Menschen mit Adipositas werden häufig aufgrund ihres Phänotyps Interventionen wie Gewichtsabnahmeprogramme empfohlen – die sie schon oft erfolglos durchlaufen haben. Das unterstützt nur die Selbststigmatisierung der Betroffenen, sie erleben sich immer wieder als Versager. Unterstützende Maßnahmen sind bei Adipositas noch rarer gesät als bei Diabetespatienten. Zudem erweisen sie sich oft als zu unspezifisch und zu kurzfristig angelegt.
Wichtig bleibt trotzdem ein früher Beginn einer Adipositasbehandlung, die nicht erst bei einem Body-Mass-Index (BMI) von 40 starten sollte. Prof. Dr. med. Matthias Blüher (Leipzig) bemängelte in diesem Zusammenhang, dass keine Studie zu finden sei, die über fünf Jahre geht und belegt, dass das Gewicht, welches man durch Abnehmen erreicht hat, auch dauerhaft gehalten werden kann.
Warum ist dieses Thema auch ein politisches Thema? Weil im SGB V, § 34 steht, dass Mittel „zur Abmagerung oder zur Zügelung des Appetits, zur Regulierung des Körpergewichts“ nicht durch die gesetzlichen Kassen erstattet werden dürfen. Folglich spielt die Pharmakotherapie der Adipositas in Deutschland eine untergeordnete Rolle. „Dieser Gesetzestext hat schon was stigmatisierendes“, so Blüher. „Wenn ich einem Patienten sage, ich zügele jetzt mal Deinen ungezügelten Appetit, dann impliziert das ja, dass die Patienten, die vor mir sitzen, die Schuldigen sind.“ Abhilfe können seiner Meinung nach das geplante Disease Management Programm (DMP) Adipositas und eine Reihe von neuen Arzneientwicklungen schaffen. Hier sieht er größtes Potenzial bei GLP-1-basierten Therapien. Bereits zugelassen ist Liraglutid 3 mg mit einem sehr guten Wirkungs-Nebenwirkungsprofil, noch vielversprechender scheinen Semaglutid 2,4 mg oder Tirzepatid zu sein. Langfristig könnte möglicherweise eine Kombinationstherapie die therapeutische Lücke tatsächlich schließen.
Eine psychotherapeutische Unterstützung, um der Selbststigmatisierung und Hilflosigkeit entgegenzuwirken, kann etwa im Zuge einer multimodalen Behandlung zur Gewichtsstabilisierung oder -reduktion erfolgen. Wegen der geringen verfügbaren Maßnahmen fordern Experten daher ein niederschwelliges fachpsychologisches Interventionsangebot, das institutionell sowohl im DMP Adipositas und DMP Diabetes zu verankern wäre.


Symposium „Patientenzentrierte Adipositastherapie – was bedeutet das für den Patientenalltag?“
(Veranstalter: Novo Nordisk Pharma GmbH)

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