Diabetes mellitus und Bluthochdruck sind häufig miteinander vergesellschaftet. Später kommt oft noch eine Störung der Nierenfunktion hinzu. Nicht erst dann sollte nach der Stoffwechsellage geschaut werden. Letztlich sollten Diabetes mellitus und Bluthochdruck sowie eine identifizierte Azidose konsequent behandelt werden.
Die chronisch-metabolische Azidose (cmA) gehört zum Symptomenkomplex der chronischen Nierenleistungsschwäche. Diese ist oft Folge eines unbekannten, daher unbehandelten, oder eines nicht ausreichend behandelten Bluthochdrucks oder eines Diabetes mellitus. Da auf eine cmA hinweisende spezifische Symptome fehlen, schleicht sie sich unerkannt, unbeachtet und in ihrer Gefährlichkeit unterschätzt heran. Dies zeigt der geschilderte Fall.
Der Patient, geboren 1955, männlich, Rentner (früher Friseur), verheiratet, 2 gesunde Kinder, stellt sich erstmals im Januar 2020 vor. Auf der Überweisung seiner Hausarztpraxis ist „zunehmende Nierenfunktionseinschränkung“ als Diagnose angegeben.
Mitgebrachte Befunde: 06/2019: Serumkreatinin 1,68 mg/dl (148 µmol/l), HbA1C 6,9 % (52 mmol/mol); 12/2019: Serumkreatinin 1,89 mg/dl (167 µmol/l), HbA1C 6,8 % (51 mmol/mol).
Anamnese
Cholezystektomie wegen Lithiasis 2018, Diabetes mellitus und Bluthochdruck 2010 diagnostiziert. Bisher kein Screening auf Schlafapnoe. Nikotinkonsum vor 30 Jahren eingestellt, vorher 20 Zigaretten/Tag, keine regelmäßige Schmerzmitteleinnahme. Gehstrecke unbegrenzt, keine Luftnot, 3 × wöchentlich Spaziergänge über etwa 3 Kilometer. Ernährung landesüblich, Wurst täglich, mindestens 3 Fleischgerichte/Woche, kein bewusstes Achten auf Kochsalzkonsum, Trinkmenge um 1–1,5 l/Tag, 1 Bier täglich. Keine subjektiven Beschwerden.
Laufende Medikation: Metformin 1 000 mg Tbl. (1- 0- 1), Dapagliflozin 10 mg Tbl. (0-0,5-0), Candesartan 16 mg / Hydrochlorothiazid 12,5 mg Tbl. (1-0-0).
Befunde
65-jähriger Patient, 179 cm, 98,0 kg (halbbekleidet), BMI 30,6; adipöser Ernährungszustand, keine Xanthelasmen. Keine Struma. Lunge perkutorisch und auskultatorisch unauffällig. Herzaktion rhythmisch, keine Nebengeräusche, Puls 68 Schl./min, Blutdruck im Sitzen 150/80 mmHg, bei Nachkontrolle 150/75 mmHg. Unauffälliges Abdomen, Cholezystektomienarbe. Keine Ödeme.
Sonografie: Leber nicht vergrößert, Lebervenen unauffällig, Parenchym homogen, von erhöhter Dichte im Sinne einer Steatosis hepatis („helle“ Leber). Beide Nieren in regelrechter Lage von normaler Größe, unauffällige Parenchymdichte, Parenchym vom Pyelon gut abgrenzbar, glatte Außenkontur, kein Aufstau, kein Hinweis auf Konkremente.
Laborbefunde: Blut: Hb 14,7 g/dl (9,1 mmol/l), Leuko 7,8 Tsd/nl, Thrombo 204 Tsd/nl; Serum-Kreatinin 1,91 mg/dl (169 mmol/l), GFR nach CKD-EPI 35 ml/min, HbA1C 6,9 % (52 mmol/mol); Triglyceride 276 mg/dl (3,03 mmol/l).
Im Urin: (Stix) Eiweiß, Leukos, Erys, Keton negativ, Glucose ++++. Albumin-Kreatinin-Verhältnis (ACR) 109 mg/g. Blutgasanalyse (venös): pH 7,28, HCO-3std. 19,7 mmol/l, BE -5,1 mmol/l, pCO2 35 mmHg; Glucose 277 mg/dl (15,5 mmol/l); Hb 13,9 g/dl (8,6 mmol/l); K+ 4,78 mmol/l.
Diagnosen
Chronische Nierenschädigung bei diabetischer Nephropathie Stadium G3bA2, Typ-2-Diabetes, arterielle Hypertonie, renal bedingte chronisch-metabolische Azidose, Adipositas Grad I, Zustand nach Nikotinabusus, Zustand nach Cholezystektomie, Steatosis hepatis.
Bericht an Hausarztpraxis
Trotz subjektiver Beschwerdefreiheit sollte der Blutdruck dauerhaft auf 130/80 mmHg oder sogar auf 120/80 mmHg eingestellt werden. Regelmäßige Blutdruckkontrollen zu Hause sind empfehlenswert. Der Wechsel auf ein Schleifendiuretikum in Kombination mit Candesartan und Amlodipin ist eine Möglichkeit, die Zielblutdruckwerte zu erreichen. Die Kochsalzaufnahme sollte 5,0 g täglich nicht überschreiten.
Der Zuckerstoffwechsel ist zu überprüfen und zu verbessern. Kontrolle, ob rezeptierte Dapagliflozin-Tabletten teilbar sind.
Die bereits bestehende chronisch-metabolische Azidose ist therapiebedürftig. Geeignet sind stark Bicarbonat-haltige Mineralwässer, besser noch die Einnahme eines magensaftresistenten Bicarbonat-Präparats; bei eventueller Unverträglichkeit als Alternative ein Polyamin als Säurebinder. Einfache Natrontabletten sind ungeeignet – die zerfallen bereits im Magen zu Salzsäure und Kohlendioxid. Der dauerhafte Azidoseausgleich verbessert die diabetischen Stoffwechselparameter. Außerdem wird die Progression der Nierenschädigung gebremst bis aufgehalten.
Eine Ernährungsumstellung auf weniger Fleisch und Wurstwaren ist anzustreben, um die Säurebelastung zu reduzieren und einer weiteren Gewichtszunahme vorzubeugen. Kontrolle der Lipidwerte. Die Spazieraktivitäten sollte der Patient beibehalten, ebenso die Nikotinabstinenz. Jährlich einmal nephrologische Kontrolle empfohlen.
Kontrolle nach 1 Jahr
Klinisch beschwerdefrei. Körpergewicht 98,5 kg (halbbekleidet), BMI 31,1. Die gelegentlich zu Hause gemessenen Blutdruckwerte lägen um 140 mmHg systolisch.
Laufende Medikation: Metformin 1 000 mg Tbl. (1-0-1), Dapagliflozin 10 mg Tbl. (0-1-0); Candesartan 16 mg Tbl. (1-0-0,5); Natriumhydrogencarbonat magensaftresistent 1 000mg Tbl. (1-0-0).
Laborbefunde: Blut: Hb 14,7 g/dl (9,1 mmol/l), Leuko 8,2 Tsd/nl; Serum-Kreatinin 1,88 mg/dl (166 mmol/l), GFR nach CKD-EPI 38 ml/min, HbA1C 6,7 % (50 mmol/mol); Triglyceride 201 mg/dl (2,21 mmol/l).
Im Urin: (Stix) Eiweiß, Leukos, Erys, Bilirubin, Keton negativ, Glucose ++++. Albumin-Kreatinin-Verhältnis (ACR) 116 mg/g. Blutgasanalyse (venös): pH 7,39, HCO-3std. 22,1 mmol/l, BE -1,9 mmol/l, pCO2 38 mmHg; Glucose 189 mg/dl (10,6 mmol/l); Hb 14,1 g/dl (8,8 mmol/l); K+ 4,38 mmol/l.
Bericht an die Hausarztpraxis
Die exkretorische Nierenfunktion hat sich nicht verschlechtert, die Albuminurie besteht weiter. Die azidotische Stoffwechsellage ist unter Medikation mit Bicarbonat kompensiert. Verbesserung des Zuckerstoffwechsels ist anzustreben. Weiterhin Kontrolle der Blutdrucksituation und medikamentöse Anpassung, mit dem Ziel, dauerhaft empfohlene Werte zu erreichen.
Kontrolle nach 5 Jahren
Klinisch beschwerdefrei. Die in diesem Jahr durchgeführte Blutdrucklangzeitkontrolle habe Werte um 130 mmHg systolisch erbracht, auch nachts. Patient hält sich an die Verordnungen, beklagt aber, dass er täglich 9 Tabletten einnehmen muss.
Körpergewicht 103,0 kg (halbbekleidet) BMI 32,2.
Laufende Medikation: Metformin 1 000 mg Tbl. (1- 0- 1), Dapagliflozin 10 mg Tbl. (1-0-0), Sitagliptin 50 mg Tbl. (1-0-0); Candesartan 16 mg Tbl. (1-0-1), Amlodipin 5 mg Tbl. (1-0-1); Natriumhydrogencarbonat magensaftresistent 1 000 mg Tbl. (1-0-0).
Laborbefunde: Blut: Hb 14,1 g/dl (8,8 mmol/l), Leuko 7,4 Tsd/nl; Serum-Kreatinin 1,85 mg/dl (163 mmol/l), GFR nach CKD-EPI 35 ml/min, HbA1C 7,7 % (61 mmol/mol); Triglyceride 213 mg/dl (2,34 mmol/l).
Im Urin: (Stix) Eiweiß, Leukos, Erys, Bilirubin, Keton negativ, Glucose ++++. Albumin-Kreatinin-Verhältnis (ACR) 120 mg/g. Blutgasanalyse (venös): pH 7,40, HCO-3std. 22,9 mmol/l, BE -1,9 mmol/l, pCO2 36 mmHg; Glucose 135 mg/dl (7,56 mmol/l); Hb 14,4 g/dl (8,9 mmol/l); K+ 4,32 mmol/l.
Bericht an die Hausarztpraxis
Die exkretorische Nierenfunktion hat sich im Verlauf von 5 Jahren nicht verschlechtert, wozu die andauernde Kompensation der metabolischen Azidose beigetragen haben dürfte. Die Albuminurie besteht weiter; kein Anhalt für eine renale Anämie. Leider ist es zu einer Gewichtszunahme gekommen. Einen weiteren Anstieg gilt es zu vermeiden, besser noch, das Übergewicht abzubauen. Ziel ist der Erhalt der Nierenfunktion auf dem jetzigen Niveau. Der Patient wurde informiert, dass Bluthochdruck nicht heilbar, aber behandelbar ist. Auch der Diabetes mellitus erfordert eine dauernde Medikation. Deshalb ist eine gute Compliance vonnöten.
Der Autor
Dr. med. Dr. PH Herbert Stradtmann
Arzt für Innere Medizin/Nephrologie,
Hypertensiologe-DHL® und Rehabilitationswesen
Im Wölftegrund 27
34537 Bad Wildungen