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Gynäkologie

Interview

Woher kommt die Hormonangst und was können wir dagegen tun?

Ein Gespräch mit Prof. Dr. med. Thomas Römer

Das jahrelange „Hormon-Bashing“ in der Laienpresse und in Internet-Foren zeigt Wirkung: Bei Frauen jeden Alters ist eine große Verunsicherung zu spüren. Wir sprechen mit Prof. Thomas Römer über Hintergründe und Optionen.

Herr Prof. Römer, die Anzahl der ungewollten Schwangerschaften in Deutschland hat zuletzt wieder zugenommen – wie man an den Schwangerschafts­abbrüchen sieht. Worauf führen Sie das zurück?

Das führe ich in erster Linie darauf zurück, dass ­immer weniger Kontrazeption betrieben wird, die effektiv ist. Auch die Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zeigen, dass die Zahl der Pillennutzerinnen zurückgeht. Dafür steigt der ­Anteil der weniger sicheren Methoden wie Kondome oder auch die Nutzung von Apps, die auf Basis vergan­gener Zyklen die fruchtbaren und unfruchtbaren Tage errechnen. Das ist natürlich alles viel weniger zuverlässig als die Pille und führt folglich auch zu mehr ungewollten Schwangerschaften.

Warum sind diese Diskussionen so endlos?

Die jungen Frauen lesen im Zusammenhang mit der oralen Kontrazeption von Depressionen, Thrombosen, Krebserkrankungen und anderen schlimmen Dingen. Das flackerte in den letzten 20 Jahren immer mal wieder auf. Anlass waren dabei häufig wissenschaftliche Studien, deren Daten in der Laienpresse aber falsch oder zumindest verfälschend dargestellt wurden. Dann gibt es noch die Influencerinnen, die ja in der Regel keinen medizinischen Background haben und die solche Meldungen dann aufgreifen und damit den Effekt multiplizieren.

Sorgen sich junge und gesunde Frauen wirklich so sehr um ihre Gesundheit?

Prinzipiell mag das schon so sein. Der Punkt ist meiner Meinung nach aber eher der, dass die ­hormonale Kontrazeption ganz platt als „wesensverändernd“ dargestellt wird. Der Klassiker ist die Darstellung der Pille als Lustkiller – dabei wissen wir, dass sexuelle Lust ein multifaktorieller Vorgang ist. Nichts ist ein größerer Lustkiller als die Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft.

Was können Frauenärzte tun, um jungen Frauen die Angst vor der Pille zu nehmen?

Wir Frauenärzte dürfen die Kontrazeptionsberatung nicht aus den Händen geben. Und dazu müssen wir uns Zeit nehmen. Gerade bei der Erstberatung ist es nicht mit den durchschnittlichen sieben Minuten ­getan. Das wird nicht adäquat vergütet, keine Frage. Aber trotzdem sollten wir uns die Zeit nehmen und die Patientin erst einmal über ihre Vorstellungen und Wünsche reden lassen. Viel zu viele junge Frauen sind leider ganz schlecht über die verschiedenen Möglichkeiten der Kontrazeption informiert. Ich habe immer den Eindruck, je mehr sie im Internet lesen oder ­hören, desto weniger wissen sie. In vielen Fällen überschätzen wir das Wissen der Patientinnen.

Wo sehen Sie abseits der Kontrazeption Handlungsbedarf?

Wir haben das gleiche Problem, wenn es um die Hormonersatztherapie in der Menopause geht.  Wenn es dazwischen um das Einnehmen von Hormonen bei Erkrankungen geht – etwa Endometriose oder Blutungsstörungen –, gibt es relativ wenig Bedenken von Seiten der Patientinnen, Hormone einzunehmen. Doch bei der Hormonersatztherapie nimmt die Diskussion auch wieder fast schon ­weltanschauliche Züge an. Das Problem bei der HRT in der Menopause ist das gleiche wie bei der Kontrazeption. Es gibt gute wissenschaftliche Evidenz, aber eine große Verunsicherung bei den Nutzerinnen.

Was ist bei einer HRT der Therapiekiller?  

In erster Linie die Angst vor Brustkrebs. Das ist einerseits verständlich, schon wegen der Häufigkeit des Mammakarzinoms. Jede Frau kennt eine andere, die schon mal an Brustkrebs erkrankt war. Alle anderen gesundheitlichen Bedenken, etwa die Angst vor Thrombosen, folgen mit großem Abstand.

Beim Abwägen der Vor- und Nachteile – was raten Sie den Kolleginnen und Kollegen in den Praxen bezüglich HRT?

Wie bei der Kontrazeption ist die ausführliche und Individuelle Beratung das A und O. Das steht ja auch explizit so in der Leitlinie. Wir haben so eine Vielfalt an Produkten, dass wir wirklich ganz gezielt auf die Bedürfnisse jeder einzelnen Patientin eingehen können. Für die einen sind orale Estrogene gut, für die anderen gibt es alle erdenklichen Formen von transdermalen Applikationen. Wieder ­andere profitieren gerade von den Gestagenen. Da ist viel Aufklärung nötig.

Was sollten Frauenärzte ihren Patientinnen an Informationen zur Verfügung stellen?

Patientinnen müssen verstehen, dass wir Hormonsubstitution nicht nach dem Gießkannenprinzip verordnen, sondern maßgeschneidert anpassen. Da sich die Patientinnen ohnehin fast alle auch im Internet informieren, spreche ich das immer proaktiv an. Und diskutiere auch, dass Dr. Google neben seriösen Informationen auch viele weltanschaulich geprägte Informationen präsentiert. Es gibt von vielen Seiten gute Broschüren und Internetangebote, die man den ­Patientinnen an die Hand geben kann.

Herr Prof. Römer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

FAZIT:

Viele Patientinnen haben eine regelrechte Hormonangst, wenn es um Kontrazeption oder die Linderung menopausaler Beschwerden geht. Das liegt vor allem an der teils unwissenschaftlichen Berichterstattung in Zeitschriften, Fernsehen und sozialen Medien. Die geduldige und einfühlsame Aufklärung in der Frauenarztpraxis ist zeitintensiv, hilft den Frauen aber dabei, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen.

Der Autor

Prof. Dr. med. Thomas Römer
Chefarzt der Frauenklinik in Köln-Weyertal

Herausgeber des Journals DER PRIVATARZT GYNÄKOLOGIE

thomas.roemer@evk-koeln.de

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