HIV ist heute eine gut behandelbare Erkrankung mit nahezu normaler Lebenserwartung. Bei der Erkennung der Erkrankung kommt dem Hausarzt eine entscheidende Rolle zu. Der Beitrag behandelt die wichtigsten Grundlagen zu Diagnostik und Therapie sowie verschiedene Präventionsmaßnahmen und deren Effizienz.
Aktuell leben in Deutschland ca. 87.900 Menschen mit einer HIV-Erkrankung. Davon wissen etwa 77.000 von ihrer Diagnose, wovon über 90 % unter erfolgreicher antiviraler Therapie (ART) sind. Von diesen sind etwa 62 % Männer, die Sex mit Männern haben (MSM). Dies beinhaltet leider auch weiterhin eine große Anzahl an unerkannten HIV-Erkrankungen, deren Diagnose ein wichtiges Ziel ist. Hierunter zählen gerade Personen, die nicht zu einer von HIV besonders betroffenen Gruppe gehören (z. B. Frauen oder ältere Menschen) und sich daher eines Risikos vielleicht nicht bewusst sind. Von den etwa 3.100 jährlichen Erstdiagnosen in Deutschland wurde etwa ein Drittel erst im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Nach einer Infektion mit dem HI-Virus steigt zunächst im Zuge der akuten Infektion die Viruslast. Symptome der akuten Infektion sind häufig unspezifisch, beinhalten aber am häufigsten Fieber, Lymphadenopathie, Exanthem oder Abgeschlagenheit (Tab. 1). Lange Zeit, oft bis zu mehreren Jahren, kann das Immunsystem die Infektion tolerieren. Mit fallender Zahl der T-Helferzellen (CD4-Zellen), welche primäres Ziel der Infektion sind, wird der Betroffene zunehmend anfällig für banale oder opportunistische Infektionen. Wird eine HIV-Erkrankung in einem frühen Stadium erkannt, besteht heutzutage nahezu eine ähnliche Lebenserwartung wie von einem gesunden Menschen. Trotz der guten Behandlungsmöglichkeiten ist jedoch eine fortgeschrittene HIV-Infektion nach wie vor mit erhöhter Morbidität und Mortalität assoziiert. Ohne Therapie bleibt HIV zudem übertragbar.
Oft haben vor Diagnose einer fortgeschrittenen HIV-Erkrankung bereits mehrfach Arzt-Patienten-Kontakte stattgefunden, rückblickend hätte oft früher die Diagnose gestellt werden können. Hausärzte sind oft die erste Anlaufstelle für Routinechecks sowie auch bei Beschwerden und Symptomen. Sie können einen entscheidenden Beitrag leisten, indem sie Menschen eine frühe HIV-Diagnose und damit eine rechtzeitige Behandlung ermöglichen. Hierbei spielt gerade das aufgrund des oft durch langjährigen Kontakts aufgebaute Vertrauensverhältnis eine große Rolle. Aufgrund von Angst und Unsicherheit auch des Arztes wird dieses Thema zögerlich angesprochen. Wir möchten daher ermutigen, eine Sexualanamnese durchzuführen. Das Gespräch kann mit einer Eröffnungsfrage begonnen werden, beispielsweise „Ich stellte Ihnen jetzt einige Fragen rund um Ihre sexuelle Gesundheit“. „Ich weiß, dass sie sehr persönliche Angelegenheiten sind, aber sie können eine Rolle spielen, bezüglich der gesundheitlichen Fragen, die Sie zu mir geführt haben“ oder „Ich stelle diese Fragen allen Patientinnen und Patienten, unabhängig von Alter und Geschlecht oder ob sie in einer Beziehung leben oder nicht.“ Mit den drei „P-Fragen“ wird das Risiko in den Bereichen Partner (z. B. „Sind Sie sexuell aktiv?“, „Haben Sie eher Sex mit Männern oder Frauen?“), Praktiken („Welche Art von sexuellen Kontakten hatten Sie?“, „Was verstehen Sie unter ein wenig rumgemacht?“) und Prävention („Wie gut kennen Sie sich mit dem Schutz vor sexuell übertragbaren Erkrankungen aus?“, „Haben Sie sich schon einmal auf sexuell übertragbare Erkrankungen testen lassen?“) geprüft. Hiernach kann entschieden werden, ob ein HIV-Test angebracht ist. Das Gespräch sollte noch einmal kurz zusammengefasst werden sowie ein Abschluss gefunden werden, der Zuversicht vermittelt. Die Angst vor einem HIV-Test sollte genommen werden.
Die primäre Diagnostik einer HIV-Infektion ist ein p24-Antigen/HIV-Antikörper-Kombinationstest der 4. Generation (ELISA). Ein sicherer Ausschluss einer Infektion ist erst sechs Wochen nach letztem Risikokontakt möglich. In jedem Fall muss ein positiver Suchtest durch einen Bestätigungstest (HIV Western Blot und/oder durch direkten Erregernachweis [NAAT]) attestiert werden. Liegt der Verdacht auf eine frische Infektion vor, kann die Diagnose auch bei negativem Western Blot durch einen positiven NAAT mit > 1.000 Kopien/ml gestellt werden. Ist auch diese negativ, soll bei weiterhin bestehendem Verdacht auf eine akute Infektion der Suchtest kurzfristig wiederholt werden (Tab. 2). Ergänzend zu sagen ist, dass vor der Durchführung eines HIV-Suchtestes das (mündliche) Einverständnis des Patienten erforderlich ist. Ein HIV-Test sollte bei Symptomen einer akuten Infektion sowie einer Indikator-Erkrankung durchgeführt werden. Ebenso wird bei Diagnose einer anderen sexuell übertragbaren Erkrankung (STD) eine Testung auf HIV empfohlen. Sollte die Diagnose einer HIV-Infektion gesichert sein, nehmen Sie sich ausreichend Zeit für den Patienten. Trotz heutzutage guter Therapiemöglichkeiten bleibt eine HIV-Diagnose ein einschneidendes Ereignis. Dies sollte unter vier Augen und in einem geschützten Bereich geschehen. Informieren Sie, dass aufgrund der heute hochwirksamen Medikamente eine fast normale Lebensführung möglich ist. Auch wenn die Therapie der HIV-Erkrankung über spezialisierte Praxen erfolgen sollte, kann die weitere Betreuung hausärztlich erfolgen. Passende Beratungs- und Selbsthilfeangebote, z. B. der Aidshilfen (www.aidshilfe.de), können empfohlen werden.
Heute besteht ab dem Zeitpunkt der Diagnose die Indikation zur Behandlung der HIV-Erkrankung mittels antiretroviraler Therapier (ART). Betreuung und Behandlung sollen an einem spezialisierten Zentrum durch einen HIV-Schwerpunktarzt erfolgen. Ziel ist eine Unterdrückung der Viruslast unterhalb 50 Kopien/ml. Ist dies länger als sechs Monate stabil der Fall, gilt der Patient als nicht ansteckend, was im Sinne von „Schutz durch Therapie“ zur Prävention verwendet werden kann. Gemäß den Leitlinienempfehlungen wird zur Therapie der HIV-Erkrankung eine Kombination aus zwei oder drei antiviralen Substanzen verwendet, welche mittlerweile als Eintablettenkombination erhältlich ist. Eine erfolgreiche ART ermöglicht regelhaft eine normale Lebensführung. Mittlerweile sind HIV-Medikamente recht gut verträglich. Indes ist trotz Gegenstand vielfältiger Forschungsbemühungen aus jetzigem Stand der Wissenschaft noch keine Impfung oder Heilung absehbar. Dies erfordert aktuell eine lebenslange medikamentöse Therapie und medizinische Betreuung. Daher dient die Entwicklung neuer HIV-Medikamente auch der Vermeidung medikamentöser Langzeitfolgen sowie zur Verbesserung der Compliance.
Ein weiterer Aspekt neben der Diagnose von HIV-Infektionen, vor allem im fortgeschrittenen Stadium, ist die Prävention vor neuen Infektionen. Hier steht neben dem Gebrauch von Kondomen sowie der bereits erwähnte „Schutz durch Therapie“ eine HIV-Postexpositionsprophylaxe (PEP) zur Verfügung. Bei Beginn möglichst innerhalb der ersten zwei Stunden nach Risikokontakt, spätestens jedoch innerhalb von 24 Stunden, kann das Risiko (> 80 %) erheblich gesenkt werden. Die Indikation ist mittels sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung streng zu stellen. Seit 2016 besteht mit der Zulassung der Kombination von Emtricitabin/Tenofovir-DF zur Präexpositionsprophylaxe (PrEP) eine weitere Möglichkeit zum Schutz vor HIV. Diese ist in Deutschland allerdings nur für die tägliche, kontinuierliche Einnahme zugelassen. Seit September 2019 wird diese zumindest durch die gesetzlichen Krankenkassen für Risikogruppen erstattet. Diese sollte Menschen mit substanziellem HIV-Infektionsrisiko angeboten werden. Dies beinhaltet MSM oder Transpersonen mit der Angabe von analem Sex ohne Kondom innerhalb der vergangenen drei bis sechs Monate oder einer sexuell übertragbaren Erkrankung in den vergangenen zwölf Monaten sowie serodiskordante Konstellationen mit einer/m virämischen HIV-positiven Partner/in ohne ART, einer nicht suppressiven ART oder in der Anfangsphase einer ART. Zudem kann ein substanzielles Risiko bei Menschen mit Sex ohne Kondom mit Partnerinnen oder Partnern, bei denen eine nicht diagnostizierte HIV-Infektion wahrscheinlich ist, sowie drogeninjizierenden Personen ohne Gebrauch steriler Injektionsmaterialien bestehen. Kontraindikation für eine PrEP sind eine Osteoporose sowie eine eGFR
FAZIT
• HIV ist eine heute gut behandelbare chronische Erkrankung mit nahezu normaler Lebenserwartung, insofern diese rechtzeitig erkannt wird.
• Dem Hausarzt kommt in der Erkennung einer HIV-Erkrankung durch ein idealerweise langjähriges Arzt-Patienten-Verhältnis und das daraus resultierende Vertrauen eine entscheidende Rolle zu.
• Die Behandlung einer HIV-Erkrankung sollte durch einen erfahrenen Schwerpunktarzt erfolgen.
• HIV-PrEP, -PEP und „Schutz durch Therapie“ sind wirksame Maßnahmen zum Schutz einer Übertragung vor HIV.
Der Autor
Dr. med. Simon Weidlich
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II
Klinikum rechts der Isar
81675 München
Der Autor
PD Dr. med. Christoph Spinner
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II
Klinikum rechts der Isar
81675 München
Literatur bei den Autoren