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Gynäkologie

Gendermedizin

Geschlechtersensible Frauengesundheit

Dr. Klaus Dallibor

14.2.2024

Biologische, soziale und kulturelle Unterschiede führen zu einer unterschiedlichen Erkrankungshäufigkeit und Wirksamkeit von Medikamenten bei Frauen und Männern. Ein Symposium beleuchtete die verschiedenen Aspekte der Gendermedizin und stellte aktuelle Ergebnisse des Global Women‘s Health Index vor.

Der weibliche Körper gilt bis zur Menopause durch den höheren Estrogenspiegel als gut geschützt. Ein differenzierterer Blick zeigt aber, dass z. B. der kardio­vaskuläre Schutz bei Frauen überschätzt wird und die Letalität in der Postmenopause bei Frauen mit ischämischen Herzerkrankungen und Herzklappenerkrankungen höher ist als die bei Männern. Darüber hinaus ist die 30-Tage-Krankenhausletalität bei jüngeren Frauen mit akutem Herzinfarkt höher als die der gleichaltrigen Männer [1].

Klar ist: Eine geschlechtersensible Medizin beruht auf medizinischer Evidenz zu biologischen Geschlechtsunterschieden und dem Einfluss soziokultureller Determinanten. Mit dem seit 2021 veröffentlichten Global Women‘s Health Index wird durch die Befragung von über 66 000 Frauen in mehr als ­hundert Ländern die gesundheitliche Situation von rund 2,5 Milliarden Frauen über 15 Jahren erfasst. Der Sponsor dieser Studie, Hologic, veranstaltete zur geschlechtersensiblen Frauengesundheit ein hochkarätig besetztes Symposium.

Frauengesundheit ist nicht allein wegen der demoskopischen Entwicklung ein wesentliches Thema.

Der Jurist und Zukunftsforscher Dr. Daniel Dettling, Gründer der Denkfabrik „Institut für Zukunftspolitik“, setzte sich für die Stärkung der Gesundheitsversorgung von Frauen ein. Er verwies dabei vor allem auch auf die besonderen Herausforderungen der modernen Frauenmedizin. Frauengesundheit sei heute nicht allein wegen der demoskopischen Entwicklung ein wesentliches Thema. „Jedes zweite Mädchen wird heute 100 Jahre alt“, sagte Dettling. Aber: „Gemessen an den erzielten Erfolgen ist die real existierende Frauenförderpolitik in Deutschland gescheitert. Schreitet die bisherige Gleichstellung in diesem Tempo voran, dauert es noch 100 Jahre bis zur Gleichheit von Frau und Mann.“

Auch Moritz Roloff, Student im 8. Semester Medizin der Uni Greifswald und Mitbegründer des Projekts „Geschlecht in der Medizin“ hob die einseitige Ausbildung in seinem Studienfach hervor. In der Anatomie wird die Frau nur zu einem Drittel dargestellt, meist nur mit den Geschlechtsteilen. Als Norm werde immer noch der Mann gesehen, vor allem der junge, weiße Körper. Als physiologisch gelten beispielsweise nach wie vor die Blutdruckwerte von 30-jährigen gesunden, weißen Männern. Zu erwarten ist, dass erst ab Frühjahr 2027 geschlechtersensible Aspekte über die neue Approbationsordnung verpflichtend in das Studium aufgenommen werden.

Fehlende Datengrundlagen

Die Psychologin Prof. Dr. Gertraud Stadler, die an der Charité den einzigen Lehrstuhl für gendersensible Medizin in Deutschland betreut, betonte, dass ­„geschlechtersensibel zu forschen für mich bedeutet, die Unterschiedlichkeit von Menschen in allen Studien zu berücksichtigen“. Das Geschlecht sei dabei ein wesentlicher Faktor. Es gelte, Diversitätsunterschiede stärker zu beachten. Die deutsche Gesellschaft sei zwar offen, aber gegenüber Prävention noch immer skeptisch eingestellt. Zudem fehlen hier dazu häufig Datengrundlagen. Selbst in Berlin gibt es bislang keine systematische Queer-Sprechstunde. Wichtig sei es ferner, auch Frauen mit einfacher ­Bildung stärker zu berücksichtigen. Auch auf die Ansprache komme es dabei an. Stadler setzt auf maßgeschneiderte Präventionsmaßnahmen mit stärkerer Integration von Geschlechter- und anderen Diversitätsdomänen in die medizinische Versorgung.  

Geschlechtersensibel zu forschen bedeutet, die Unterschiedlichkeit in allen Studien zu berücksichtigen.

Aldona Maria Niemczyk, Sprecherin der CDU-Fraktion für Frauen und Gleichstellung im Abgeordnetenhaus Berlin, verlangte generell eine gerechte und diskriminierungsfreie Gesundheitsversorgung. Insbesondere engagiert sie sich im Zuge der Istanbul-Konvention für eine bedarfsgerechte medizinische Versorgung sowie gegen geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen, auch im Bereich der Sexarbeit.

Gender und Sex - Die Klosterstudien

Die Klosterstudien bestehen aus 3 demografisch-epidemiologischen Forschungs­projekten und sind eine deutsch-österreichische Koproduktion [2]. Die Metaanalysen wurden anhand von weiblichen und männlichen Mitgliedern monastischer Ordensgemeinschaften erstellt. Das Kloster wird hier als Lebensraum (Setting) betrachtet, in dem Männer und Frauen annähernd gleiche Lebensbedingungen haben. Untersucht wurde die Entwicklung der Lebenserwartung für beide Geschlechter ab dem 25. Lebensjahr.

Die Auswertung der Sterbetafeln von 9 569 Ordensfrauen und 7 022 Ordensmännern zeigt für das Jahr 2000 eine im Vergleich zu Frauen der Normalbevölkerung um etwa ein Jahr höhere Lebenserwartung der Nonnen. Mönche lebten im Vergleich zu Männern der Normalbevölkerung ca. 4 Jahre länger. Der geschlechtsbezogene Unterschied in der Lebenserwartung betrug im Kloster-Setting nur noch ca. 2 Jahre [3]. Dadurch konnte belegt werden, dass der Klosterkontext zwar bereits grundsätzlich lebensverlängernd wirkt, aber von den weitest­gehend egalitären sozialen Bedingungen im Kloster hauptsächlich die männlichen Mitglieder profitierten. Dies gilt als Beleg für die deutliche Dominanz sozialisationsbedingter Ursachen der Frühsterblichkeit von Männern gegenüber biologischen bzw. genetischen Ursachen.

1 Seeland U, Privatarzt 2023; 14: 8–10
2 https://cloisterstudy.eu/COMMS/
3 Berger U, Psychotherapie 2022; 67: 288–95

Veranstaltung anlässlich der Eröffnung des deutschen Hologic-Sitzes in Berlin-Mitte, Berlin, September 2023

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