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Fokus Naturmedizin

Schädigung des peripheren Nervensystems

Polyneuropathie ganzheitlich betrachten und therapieren

Dr. rer. nat. Oliver Ploss

31.3.2023

Betroffene von Polyneuropathie haben mit einigen Beschwerden zu kämpfen, die ihre Lebensqualität deutlich mindern. Neben den typischen synthetischen Therapieoptionen sollten auch naturheilkundliche Maßnahmen wie Uridinmonophosphat in Betracht gezogen werden.

Als Polyneuropathie wird das Vorhandensein einer systemischen Erkrankung bezeichnet, bei der es zu Schädigungen des peripheren Nervensystems kommt. Als Folge ist die Funktion der betroffenen Nerven gestört. Da mehrere Nerven bzw. Nervenstrukturen beeinflusst sind, spricht man von Polyneuropathie (griechisch poly = mehrere). Die Prävalenz der Polyneuropathie beläuft sich in Deutschland auf 2–3 % in der Allgemeinbevölkerung. In der Gruppe der über 55-Jährigen beträgt sie sogar 8 %.

Die Symptome der Polyneuropathie

Am häufigsten treten Beschwerden symmetrisch, im Bereich von Unterschenkel/Fuß bzw. Unterarm/Hand auf. Deshalb spricht man von einer strumpf- bzw. handschuhartigen Verteilung, wobei in der Regel Beine stärker betroffen sind als Arme.

Zu den wichtigsten Symptomen gehören:
• Missempfindungen, Schmerzen, Fußsohlenbrennen
• Kribbeln und Ameisenlaufen
• Herabsetzung der Empfindung von Berührung, Temperatur und Schmerz
• schmerzende Muskelkrämpfe
• Minderung des Vibrationsempfindens
• schlaffe Lähmungen, Reflexminderung
• Herabsetzung der Schweißsekretion

Die Ursachen der Polyneuropathie

Zu den häufigsten Auslösern zählen:
• Diabetes mellitus
• Alkoholmissbrauch

Weitere mögliche Ursachen sind:
• Nierenschwäche
• Lebererkrankung
• Schilddrüsenunterfunktion
• Medikamente (z. B. Z. n. Chemotherapie)
• Mangelernährung
• Erregertoxikosen, z. B. Spätborreliose oder

Long- bzw. Post-COVID
• Entzündungen
• Autoimmunerkrankungen
• Post-Vac-Syndrom
• im Gefolge mancher Krebsleiden
• genetisch bedingt

Trotz umfassender Diagnostik bleibt nicht selten die Ursache unklar. In dem Fall spricht man von einer idiopathischen Polyneuropathie.

Die Diagnostik der Polyneuropathie

• Anamnese
• körperliche Untersuchung (inklusive Reflexe, ­Vibrationsempfindung)
• Laboranalysen (Blutzucker, Leberwerte, Nierenfunktion usw.)
• diverse Zusatzuntersuchungen – je nach verdächtigem Auslöser (z. B. Liquoruntersuchung, Tumorsuche, Serologie, Toxinanalyse)


Synthetische Therapieoptionen
a. Pregabalin

Pregabalin ist ein Gamma-Aminobuttersäure-Analogon. Es bindet an eine auxiliäre Untereinheit ­(Alpha-2-delta-Protein) von spannungsabhängigen Calciumkanälen im ZNS. Durch die Bindung werden die Kanäle geschlossen, damit der Calcium-Influx an den Nervenendigungen reduziert und die Freisetzung exzitatorischer Neurotransmitter wie Glutamat, ­Noradrenalin und Substanz P vermindert. Pregabalin bindet nicht an GABA-Rezeptoren und besitzt deshalb keine GABA-erge Wirksamkeit.

b. Gabapentin
Dieser Wirkstoff stammt aus der Epilepsie-Behandlung, zeigt aber schmerzlindernde und antineuralgische Wirkungen – auch bei einer Polyneuropathie.

Die Wirkmechanismen sind folgendermaßen:
• Unterdrückung wiederholter, anhaltender Neuronenentladungen durch Aufrechterhalten des inaktiven Zustandes spannungsaktiver Natriumkanäle
• Erhöhung der von Gamma-Amino-Buttersäure (GABA) abhängigen, synaptischen Inhibition
• Unterdrückung der Aktivierung eines bestimmten Calcium-abhängigen Kanals
• neueste Erkenntnisse lassen vermuten, dass Gabapentin eine Steigerung der GABA-Synthese bewirkt.

Beide Wirkstoffe führen aufgrund ihrer zentralen Wirkung auf Dauer zu Konzentrationsstörungen, Gewöhnungen und Abhängigkeiten.

Es Existieren gute Erfahrungen zur ganzheitlichen Behandlung der Polyneuropathie mit neurotropen Nährstoffen, B-Vitaminen und Folsäure.

Naturheilkundliche Therapieoptionen
a. Alpha-Liponsäure

Alpha-Liponsäure  (Thioctsäure) ist eine bei höheren Lebewesen physiologisch vorkommende und im mitochondrialen Energiestoffwechsel der Zelle biologisch aktive Substanz, mit Coenzymfunktion. Alpha-Liponsäure wird nicht mehr zu den Vitaminen gezählt, da es keine echten Mangelerscheinungen gibt. Durch die Zufuhr von Alpha-Liponsäure lassen sich Neuropathien günstig beeinflussen. Alpha-Liponsäure ist ein Metallchelator und sollte daher nicht gleichzeitig mit Metallverbindungen (Eisen-, Magnesium- und Calciumprodukten, auch nicht mit Milch) eingenommen werden. Die Dosierung beträgt am besten 1 200 bis 1 800 mg/Tag, welche oral und per Infusion gegeben werden kann.

b. Neurotrope Nährstoffe (Benfotiamin)
Benfotiamin ist ein Prodrug des Thiamins. Die Sub­stanz selber zeigt keine Vitamin-B1-Wirkung. Das ­Benfotiamin wird im Organismus schnell reduktiv zu physiologischem Vitamin B1 gespalten. Thiamin gehört zu den wasserlöslichen Vitaminen des B-Komplexes. Thiaminmangel führt im Serum und im Gewebe zu einem Anstieg der Pyruvat-, Ketoglutarat- und Lactatkonzentrationen sowie der Konzentration von Pentosephosphat. Benfotiamin hemmt die Kumulation von Lactat, Pyruvat und Alpha-Ketoglutarat.

Mangelerscheinungen zeigen sich schnell in Glucose-abhängigen Organen, insbesondere im zentralen und peripheren Nervensystem. Das Vollbild des Thiaminmangels zeigt sich als Schädigungen der peripheren Nerven mit Hyperästhesien, Anästhesien, Abschwächung des Muskeltonus und mögliche Lähmung der Extremitäten. Die Speicherkapazität des Organismus für Thiamin ist gering, wodurch eine ständige Zufuhr erforderlich wird.

c. Neurotrope Nährstoffe (Uridinmonophosphat)
Das Uridinmonophosphat (UMP) fördert die Proteinbiosynthese und trägt damit zu einer ausreichenden Enzymausstattung geschädigter Neuronen bei. Außerdem begünstigt es den schnellen Wiederaufbau wichtiger Membranbestandteile. Exogen zugeführtes Uridinmonophosphat wird im Magen-Darm-Trakt in Uridin umgewandelt, das darauf resorbiert wird. Aus dem Blutkreislauf gelangt das Uridin in die Nervenzellen und wird wieder in UMP oder auch in andere physiologisch aktive Uridin- und Cytidinphosphate umgewandelt. Tierexperimentelle Studien bei herbeigeführten traumatischen Nervenläsionen haben gezeigt, dass die exogene Zufuhr von UMP zu einer signifikanten Vergrößerung der mittleren Myelin- und Axonfläche und zu einer signifikanten Beschleunigung der ­Nervenleitgeschwindigkeit führen kann.

d. Neurotrope Nährstoffe (Calcium-EAP)
Calcium-EAP ist das Calciumsalz der Substanz Ethyl-Amino-Phosphat (EAP), auch besser bekannt als Colamin-Phosphat oder „Membranschutzfaktor“. EAP ist die wichtigste Ausgangssubstanz zur körpereigenen Synthese der Phospholipide, aus denen im Wesentlichen alle Zellmembranen aufgebaut sind, ebenso das Myelin der Nervenscheiden.

e. B-Vitamine
Vitamin B12
Um die Verbindung von Cobalamin und den Faser-Muskel-Schmerzen herzustellen, ist vorerst eine Betrachtung der Wirkung des B-Vitamins auf das Nervensystem notwendig. Dieses B-Vitamin ist unter anderem an der Bildung der Myelinschicht beteiligt. Die Myelinschicht ist eine Schutzhülle, die die Nervenzellen umgibt. Fehlt dieses Vitamin, kann diese Schutzschicht nicht mehr gebildet werden. Deshalb sind  die Nerven reizenden Einflüssen schutzlos ausgesetzt und können geschädigt werden. Meist spüren Betroffene in Folge dessen Kribbeln, Taubheitsgefühle und Schmerzen in der Muskulatur.

Folsäure
Über den Homocysteinmetabolismus ist Folsäure sehr eng mit dem B12-Stoffwechsel verbunden. In einer japanischen Studie an 343 Patienten mit verschiedenen neurologischen Erkrankungen, hauptsächlich axonalen Neuropathien, zeigten 19,5 % niedrige Folsäurespiegel im Serum. Eine Folsäure-Therapie führte bei den betroffenen Patienten zu einer Besserung der neurologischen Symptome. Bei Patienten mit alkoholtoxischer Polyneuropathie wurde in 50 % der Fälle ein funktioneller Folsäuremangel nachgewiesen. Verschiedene Medikamente, z. B. ­Methotrexat und Antiepileptika, können über einen Folsäuremangel eine Polyneuropathie auslösen.

f. Biochemie
Die Nr. 5 Kalium phosphoricum D6 und Nr. 7 Magnesium phosphoricum D6 sowie die Nr. 21 Zincum chloratum D6 sollen das Nervensystem und die Muskulatur beruhigen.

Die Kombination aus Nr. 3 in der D12, Nr. 7 in der D6 und Nr. 21 in der D6 werden auch als biochemische Schmerztrias eingesetzt.

g. Des Weiteren
• physikalische Therapien
• Physiotherapie
• Entgiftungs- und Ausleitungstherapien
• Säure-Basen-Haushalt inkl. Ernährung

Fazit

In der Naturheilkunde existieren gute und vor allem nebenwirkungsarme bzw. -freie Therapiemöglichkeiten, um eine Polyneuropathie erfolgreich ganzheitlich zu behandeln. Dazu gehören insbesondere die Zufuhr von Alpha-Liponsäure, neurotrope Nährstoffe, B-Vitamine und Folsäure. Unterstützt werden die naturheilkundlichen Therapieoptionen oft mit Maßnahmen wie einer Physiotherapie, physikalischen Therapien oder der Einstellung des Säure-Basen-Haushalts.

Der Autor

Dr. rer. nat. Oliver Ploss
Heilpraktiker sowie zertifizierter Apotheker für Homöopathie und Naturheilverfahren
Naturheilpraxis Ibbenbüren

dr_ploss@yahoo.de

1 Ploss O, Naturheilkunde bei muskulären und neuromuskulären Erkrankungen, Haug, 2., aktualisierte Auflage 2013
2 Ploss O, Naturheilkunde bei chronischen Erregertoxikosen (inkl. Post-COVID), Haug 2. Auflage 2023

Bildnachweis: Bulgakova Kristina (gettyimages); privat

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