Auch wenn die Behandlung des familiären Mittelmeerfiebers mit Colchicin gut anschlägt, ist bereits die Diagnose aufgrund der unspezifischen Symptome schwierig. Hier gilt es für den Hausarzt seinen Blick für das Seltene zu schärfen. Hinzukommen oft transkulturelle Probleme, die der Behandler überwinden muss.
Das familiäre Mittelmeerfieber (FMF) ist eine autosomal rezessiv vererbte, autoinflammatorische Erkrankung. Das Hauptverbreitungsgebiet ist der südöstliche Mittelmeerraum (Israel, Türkei, Armenien). Die FMF-Prävalenz in der Türkei liegt bei 1‒2 pro 1.000 Einwohner (> Seltene Erkrankungen).
Es handelt sich dabei um eine Erkrankung des angeborenen Immunsystems. Die ersten Symptome erscheinen oft während der Kindheit, 90% haben den ersten Schub vor dem 20. Lebensjahr. Spätere Manifestationen über dem 40. Lebensjahr sind äußerst selten und gehen meist mit einem milden Krankheitsverlauf einher.
Ursächlich sind Mutationen im Mediterranean-Fever-Gen (MEFV), welches das Protein Pyrin kodiert (kurzer Arm v. Chromosom 16). Aufgrund der erhöhten Aktivität des Enzyms Caspase-1 (Interleukin-1-Converting-Enzym) kommt es zu einer Überproduktion des Zytokins Interleukin-1 beta (IL-1β). Das führt zu autoinflammatorischen Prozessen im Körper. Bekannt sind 375 Sequenzveränderungen des MEVF-Gens, die eher keine Pathogenität haben. Je mehr pathogene Mutationen vorhanden sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Erkrankung durchbricht und sich ein schwerer Verlauf manifestiert.
Aufgrund der unspezifischen Symptomatik gestaltet sich die Diagnose vor allem bei Kindern nicht einfach. Sie gilt als höchstwahrscheinlich gesichert, wenn mindestens zwei der Yalcinkaya-Ozen-Kriterien zutreffen: Fieber (>38° C axillär, Dauer 6‒72 Stunden, es müssen mind. drei Attacken sein), Abdominalschmerzen (Dauer 6‒72 Stunden, mind. drei Attacken), Thoraxschmerzen (Dauer 6‒72 Stunden, mind. drei Attacken), Arthritis (Dauer 6‒72 Stunden, mind. drei Attacken), Oligoarthritis und eine positive Familienanamnese mit FMF. Die schwerwiegendste Komplikation ist die AA-Amyloidose, die nicht reversibel ist. Dementsprechend ist es wichtig, dass die Diagnose frühestmöglich gestellt wird.
Das Ziel einer Therapie ist es, die FMF-Attacken zu kontrollieren. Die (subklinischen) Entzündungen sollen minimiert und Komplikationen, z.B. die AA-Amyloidose, verhindert werden. Das Mittel der Wahl ist das Colchicin. Es gilt als gut verträglich und senkt die Schubaktivität. Im akuten Fall können supportiv auch nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) oder Steroide gegeben werden. Bei etwa 5‒15% der FMF-Patienten findet sich jedoch eine Colchicin-Resistenz. Dann wäre eine Therapie mit Biologika (Anakinra und Canakinumab) zu empfehlen. Um ein optimales Therapieergebnis zu erhalten, muss der Behandler oftmals einige Hürden meistern.
Es leben schätzungsweise 50 Millionen Muslime in den EU-Ländern, mehr als drei Millionen davon in Deutschland. Somit kann es bei manchen Patienten in der Praxis zu transkulturellen Problemen kommen, auf die man in der medizinischen Ausbildung nicht vorbereitet wurde. Nicht nur einfache sprachliche Barrieren können eine optimale Behandlung erschweren. Die Religion ist für die Patienten mit türkischen Wurzeln z.T. äußerst wichtig. Aufgrund des Glaubens und der Herkunft herrscht ein größeres Schamgefühl vor. Sie legen mehr Wert auf eine gleichgeschlechtliche medizinische Versorgung und können dementsprechend zurückhaltender mit der Auskunft über ihre Symptome sein. Das erschwert dem Behandler einen guten Zugang zum Patienten. Auch das islamische Speiseverbot kann zur Herausforderung werden, denn Muslime sollten auf Schweinefleisch (Gelatine vom Schwein in Medikamenten) und alkoholhaltige Medikamente verzichten. So könnte eine ablehnende Haltung gegenüber der Therapie entstehen.
Grundsätzlich ist auch das Zeitmanagement in der Praxis ein riesiges Problem. Eine ausführliche Anamnese in kurzer Zeit zu machen, ist schwierig. Hier muss man den „Blick aufs Seltene“ schärfen.
Online-Fortbildungsreihe FMF in der Hausarztpraxis „Vom Hausarzt zum Spezialisten – Die Betreuung von FMF-Patienten und Hilfestellungen zum Umgang mit kulturellen Barrieren“ (Veranstalter: Novartis Pharma GmbH), Oktober 2021