Millionen Menschen leiden unter einer Dysthymie, einer weniger ausgeprägten Form chronischer Niedergeschlagenheit. Kommt eine depressive Episode hinzu, so werden die Beschwerden signifikanter und äußerst belastend. Bewährt haben sich bei dieser „Doppeldepression“ vor allem intensive multimodale Therapiemethoden.
Depressionen sind eine ernste Erkrankung. In Deutschland sind zu jedem Zeitpunkt etwa 6,2 Millionen Menschen davon betroffen. Doch nicht immer sind die Beschwerden gleich stark: Etwa 20–25 % aller Betroffenen leiden unter einer weniger prägnanten Form der Schwermut, der Dysthymie. Die typischen Symptome – unter anderem Trauer, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung – gleichen zwar denen einer Depression, sind aber schwächer ausgeprägt.
Trotz oftmals zusätzlich auftretender Beschwerden wie Appetitlosigkeit oder Schlaf- und Konzentrationsstörungen schaffen es die Betroffenen in der Regel, den Anforderungen des täglichen Lebens gerecht zu werden. Vielfach nehmen sie deshalb auch nicht die erforderliche fachärztliche Hilfe in Anspruch. Ihre Erkrankung bleibt oft jahrelang unbehandelt – und das trotz vielversprechender Behandlungsmöglichkeiten und Erfolge: Studien zeigen, dass die Kombination von Psychotherapie und Antidepressiva bei drei von vier Patienten anspricht.
Fatal wird es, wenn zur Dysthymie eine depressive Episode hinzukommt (beispielsweise durch Jobverlust oder andere einschneidende Ereignisse) und somit buchstäblich eine „Doppeldepression“ entsteht. Diese ist zwar sehr selten, aber für Betroffene äußerst belastend. So ist es ihnen unmöglich, morgens früh aufzustehen. Sie isolieren sich oft völlig und sind nicht mehr in der Lage, ihrem Berufs- oder Privatleben nachzukommen.
Wirksame Hilfe können in diesen schwerwiegenden psychischen Phasen eine fachlich qualifizierte Psychotherapie inklusive medikamentöser Unterstützung bieten. Bewährt haben sich insbesondere multimodale Therapiemethoden mit verschiedenen verbalen, nonverbalen und medikamentösen sowie soziotherapeutischen Ansätzen. Am besten untersucht sind Behandlungen nach der kognitiven Verhaltenstherapie.
Wichtig ist eine intensive Aufklärung des Patienten: Versteht er Ursachen, Symptome und Zusammenhänge seiner Beschwerden sowie Möglichkeiten der Behandlung, kann er Verständnis für sich und seine Erkrankung entwickeln. Er ist in der Lage, erneute Symptome schneller zu erkennen und sich selbst und seine Umwelt positiver wahrzunehmen.
Doch viele Erkrankte zögern die dringend erforderliche Behandlung trotz Verschlechterung ihrer Situation hinaus: Meist jahrelang an die Symptome gewöhnt, nehmen sie die akute Zunahme ihrer Beschwerden vielfach als „natürliche“ Entwicklung wahr. Dabei gilt auch hier wie bei allen depressiven Erkrankungen: Je früher der Therapeut bzw. Facharzt konsultiert wird, desto kürzer die Behandlung und umso effektiver die Ergebnisse.
Verhindern lässt sich eine Doppeldepression nach Meinung vieler Experten – wenn überhaupt – nur durch eine frühzeitige Behandlung der vorausgehenden Dysthymie. Diese tritt in den meisten Fällen bereits im jungen Erwachsenenalter auf. Frauen sind (wie bei allen depressiven Erkrankungen) generell etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer (siehe Info-Kasten „Wenn Mann melancholisch wird“). Als Auslöser gilt das Zusammenspiel bzw. die Wechselwirkung zwischen psychobiologischer Disposition, psychosozialen Stressfaktoren und physiologischen Prozessen. Auch ein offenerer Umgang mit psychischen Beschwerden führt dazu, dass bei Frauen weitaus häufiger eine Depression diagnostiziert wird.
Neben therapeutischer Unterstützung hilft auch Eigeninitiative bei der Überwindung von Depressionen. Dabei zählt Sport als wahrer „Glücksbringer“. Denn wer regelmäßig joggt oder in die Pedale tritt, der fördert die Produktion des Neurotransmitters Dopamin im Gehirn und somit das Gefühl für Glück und Freude. Für einen Start ist es dabei eigentlich nie zu spät – das Okay des Hausarztes vor dem ersten Training vorausgesetzt. Wer Sport nichts abgewinnen kann, der sollte trotz des Antriebsverlustes versuchen, möglichst jeden Tag einen längeren Spaziergang zu unternehmen – auch wenn es draußen nass und kalt ist. Denn selbst ein wolkenverhangener Himmel lässt noch Sonnenlicht durch und wirkt so regelrecht belebend. Schließlich wird stimmungsförderndes Vitamin D zu 90 % durch UV-Strahlung gebildet. Damit steht es vor allem in der lichtarmen Jahreszeit in unseren Breitengraden bekanntlich nicht zum Besten.
Neben typischen Symptomen wie Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit und Interessensverlust leiden depressive Menschen oft unter innerer Unruhe sowie massiven körperlichen und seelischen Anspannungen. Aus diesem Grund sollten Entspannungs- und Meditationskurse zum festen Bestandteil jeder Behandlung gehören. Denn kontinuierliche Zeiten im Entspannungsmodus fördern die körperliche und geistige Regeneration. Außerdem ermöglichen sie es Patienten, besser mit belastenden Situationen und Stress sowie mit traumatischen Ereignissen umzugehen.
Besonders bewährt haben sich hierbei die Progressive Muskelrelaxation sowie Autogenes Training. Durch die Fokussierung auf ein Ziel fördert auch meditatives Bogenschießen innere Achtsamkeit, Ruhe und Gelassenheit. Und auch Yoga gilt als erstklassige Methode, um körperliche Spannungen auf sanfte Weise zu lösen.
Bei Depressionen unterscheidet man zwischen einer leichten, mittelgradigen und einer schweren Form. Bei weniger ausgeprägten Gemütsschwankungen helfen oftmals „leichtere“ Maßnahmen wie die Einnahme von Johanniskraut, wobei insbesondere hier auf Interaktionen geachtet werden muss. Vielfach zeigen auch Baldrian, Melisse und Hopfen sowie Traubensilberkerzen-Präparate, ätherische Öle (Lavendelöl) oder homöopathische Behandlungen Wirkung bei weniger belastenden Beschwerden. Ausreichender Schlaf, mäßiger Genuss von Alkohol, Nikotin und Kaffee sowie die Vermeidung wiederkehrender Überforderungssituationen sind weitere wirkungsvolle Faktoren im Kampf gegen Verstimmungen. Doch einen sicheren Schutz davor gibt es nicht. Schließlich kann niemand extrem belastende Erlebnisse wie etwa die Trennung von einem geliebten Menschen oder andere Schicksalsschläge voraussehen – oftmals akute Auslöser tiefgehender psychischer Krisen.
Während etwa 10 % aller Frauen von einer Depression betroffen sind, schätzen Experten die Quote bei den Männern auf etwa 5 %. Einer der wahrscheinlichen Gründe für diese erhebliche Abweichung: Depressionen sind vielfach auch heute noch bei Männern ein Tabuthema. Oftmals verdrängen sie die Problematik und suchen erst dann einen Arzt auf, wenn ihnen die Beschwerden kaum noch eine andere Wahl lassen. Um ihre Probleme zu kompensieren, flüchten sie weitaus öfter als Frauen in Alkohol- und Medikamentenmissbrauch sowie andere exzessive Verhaltensweisen. Die eigentliche Erkrankung wird somit häufig verdeckt.
Depressionen werden bei Männern nicht nur später erkannt als bei Frauen (wenn überhaupt). Sie äußern sich auch anders: Bei den Männern überdecken Gereiztheit, Wut oder aggressives Verhalten oftmals typische Symptome einer Depression wie Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit und Trauer. Nicht selten kommen physische Probleme wie Atemnot, Herzrasen, Schwindel oder Beklemmungen hinzu. Durch diese Vielfalt an Beschwerden ist eine Diagnose oft schwierig. Nicht selten bleibt die Erkrankung lange oder ganz verborgen.
Auch bei den Ursachen gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede: Während bei den Frauen vielfach Probleme im familiären Umfeld oder der Partnerschaft eine Depression auslösen, sind es bei den Männern berufliche Schwierigkeiten die im Fokus stehen. Oft sind jedoch auch hier Beziehungskonflikte Mitursache, aber „Mann“ spricht nicht über persönliche Probleme.
Fazit:
Depressionen sind gut behandelbar. Dank Psychotherapie sowie (oftmals) Antidepressiva lassen sich in der Regel die Depressionsdauer verkürzen und die Symptomatik abschwächen. In manchen Fällen helfen auch „sanfte“ Methoden wie die Lichttherapie bei der saisonalen „Winterdepression“ oder zusätzliche sportliche Betätigung.
Der Autor
Dr. med. Andreas Hagemann
Psychiater
Ärztlicher Direktor der Röher Parkklinik in Eschweiler bei Aachen sowie der Privatklinik Merbeck in Wegberg
an.hagemann@roeher-parkklinik.de
Die Röher Parkklinik ist u. a. spezialisiert auf Depressions- und Angsterkrankungen. Schwerpunkt der Privatklinik Merbeck ist die multimodale psychosomatische Therapie von Menschen mit chronischen Schmerzen und Schmerzstörungen.
Literatur beim Autor
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