Stress gilt als Triggerfaktor für primäre Kopfschmerzen wie Migräne. Im (Berufs-)Alltag fällt die Reduzierung von Stress jedoch meist schwer. Daher sollten sich Betroffene gezielt Entspannungstechniken – am besten unter fachlicher Anleitung – aneignen und öfter mal Pause machen. Doch was bewirkt die Entspannung medizinisch?
Kopfschmerzen werden nach der IHS-Klassifikation in primäre und sekundäre Kopfschmerzen unterteilt [1]. Dabei sind primäre Kopfschmerzen die Erkrankung selbst, während bei sekundären Kopfschmerzen eine andere Erkrankung vorliegt, allerdings mit dem Symptom von Kopfschmerzen. Zu den primären Kopfschmerzen zählen unter anderem Migräne, der Kopfschmerz vom Spannungstyp und trigemino-autonome Kopfschmerzerkrankungen (TAK). Unter TAK fallen beispielsweise Cluster-Kopfschmerzen.
Sekundäre Kopfschmerzen stellen die Folgen von Entzündungen, Traumen, Gefäßstörungen, intrakraniellen Störungen, Missbrauch von Substanzen (Medikamenten etc.) oder deren Entzug, Infektionen, Störungen der Homöostase oder Erkrankungen des Schädels, des Gesichts, der Augen, der Nase, der Nebenhöhlen sowie der Zähne dar. Primäre Kopfschmerzen liegen bei 92 % aller Kopfschmerzerkrankungen vor, sekundäre dagegen bei 8 %.
Den Stress mitbehandeln
Kopfschmerz und Stress beziehen sich in diesem Beitrag nur auf primäre Kopfschmerzen und hier vor allem auf Migräne. Diese liegt mit einer Punktprävalenz von 20 % bei Frauen und 8 % bei Männern vor. Zu Diagnostik, Klassifikation und Behandlung gibt die 2022 publizierte Leitlinie Orientierung [2].
Viele Behandlungsverfahren gegen Migräne und Kopfschmerzen zielen darauf ab, den allgemeinen, täglich erlebten Stress zu reduzieren. Hintergrund ist dabei das „Diathese-Stress-Modell“, wonach ein aktuell erlebter Stress die Bereitschaft fördert, mit einem Symptom – hier mit Kopfschmerzen – zu reagieren [3]. Nach diesem einfachen Modell kann der primäre Kopfschmerz sehr effektiv behandelt werden. So führt eine generelle Reduktion von Stress oft auch zu einer Reduktion von Kopfschmerzzuständen [4].
Es ist also evident, dass Stress im Umkehrschluss Kopfschmerzen allgemein und insbesondere Migräne fördert. Dabei liegt oft ein „Post-Stress-Zustand“ vor, wonach in der Situation des Stresses noch kein Kopfschmerz auftritt, aber dann anschließend, in der Phase der Entspannung.
Bewusst entspannen reduziert Häufigkeit von Migräneattacken
Die Konsequenz in der Behandlung primärer Kopfschmerzen ist damit offensichtlich: Eine Stressreduktion führt zu deutlichem Nachlassen der Schwere von Kopfschmerzzuständen, was in Metaanalysen insbesondere bei der Migräne gezeigt werden konnte [4]. Außerdem kann tägliches, aktives Entspannen die Häufigkeit von Migräneanfällen signifikant verringern [5].
Dabei führt Entspannung zu einer Stärkung des endogenen antinozizeptiven Systems, welches im periaquäduktalen Grau im Hirnstamm (substantia grisea periaqueductalis) liegt. Entspannung bewirkt somit neben einem parasympathischen Effekt auch eine Reduktion der Schmerzweiterleitung in die zentrale Schmerzverarbeitung [6]. Die Tabelle fasst verschiedene Entspannungsmethoden bei der Behandlung der Migräne als primärer Kopfschmerzart zusammen.
Primäre Kopfschmerzen sind demnach sehr oft Ausdruck eines erhöhten Stressniveaus. Entscheidend für den Therapieerfolg ist das tägliche Üben der Stressreduktion über Wochen. Empfehlenswert ist auch, am Tag mehrfach kleine Pausen einzulegenn (z. B. nach 50 Minuten Arbeit 5 bis 10 Minuten Pause). Dabei sollen diese schon dann eingelegt werden, wenn noch kein Bedürfnis nach Pause besteht, also nach Zeitplan. Sie könnte mit einem Toi-lettengang verbunden werden, sodass dies nicht allzu sehr auffällt. Erreichen lässt sich damit eine Reduktion der Häufigkeit der Kopfschmerzattacken, was auch im Sinne des Arbeitgebers ist. Man wird übrigens staunen, wie gut das Pausenmanagement bei der Behandlung von Kopfschmerzen wirkt!
Instruktionen mit Anweisungen zur Progressiven Muskelrelaxation nach Jacobson oder zum Autogenen Training nach Schultz können über Smartphone-Applikationen vermittelt werden, wenn zuvor eine detaillierte Einweisung und Einübung erfolgt ist. Biofeedback kann als weitere Möglichkeit, Stress zu reduzieren, in speziellen Praxen durchgeführt werden. Eine Zusammenstellung dieser Einrichtungen findet sich unter www.dgbfb.de.
Mehr praxisrelevantes Wissen finden Fachkreise online im Migräne- und Kopfschmerz-Guide unter www.mk-guide.org, einem Projekt der DMKG Initiative „Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen“
Der Autor
Prof. Dr. rer. soc. Peter Kropp
Zertifizierter DMKG Kopf- und Gesichtsschmerzexperte
Institut für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie
18147 Rostock
1 www.dmkg.de/files/dmkg.de/Aerzte/ICHD-3-Deutsche-%C3%9Cbersetzung-German-Translation-2018-1.pdf
2 Diener HC et al., S1-Leitlinie zur Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, 2022, DGN und DMKG, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie
3 Wittchen HU, Klinische Psychologie & Psychotherapie. Springer, 2011; ISBN 978-3-642-13017-5, Kap. 2, S. 21–23, 833 ff.
4 Kropp P et al., Schmerz 2017; Leitlinien der DMKG zu Entspannungsverfahren und verhaltenstherapeutischen Interventionen zur Behandlung der Migräne; DOI 10.1007/s00482-017-0214-1
5 Meyer B et al., J Headache Pain 2016; 17: 37
6 Tracey I et al., J Neurosci 2002; 22: 2748–52
Bildnachweis: privat