Kopfschmerzkalender, Patientenedukation, Entspannungsverfahren, Vereinfachung der Abläufe in der Praxis, Unterstützung für die Forschung – digitale Möglichkeiten haben für die Kopfschmerzmedizin eine Menge zu bieten. Worauf bei der Nutzung zu achten ist, erläutert PD Dr. med. Ruth Ruscheweyh (München).
PD Dr. med. Ruth Ruscheweyh
Zertifizierte DMKG-Kopfschmerzexpertin
Neurologische Klinik und Poliklinik
LMU München
ruth.ruscheweyh@med.uni-muenchen.de
Welche Bedeutung kommen Apps in der Kopfschmerzversorgung zu?
Die meisten Kopfschmerzen wie die Migräne sind attackenartig. Die Anzahl der Kopfschmerztage im Monat sowie der Schmerzmitteltage im Monat sind wichtige Parameter zur Beurteilung der Schwere sowie des Therapieverlaufs. Diese erhebt man am besten über einen Kopfschmerzkalender.
Hier haben Kopfschmerz-Apps deutliche Vorteile gegenüber dem Papierkalender, u. a. dass das Smartphone meist ohnehin zur Hand ist und täglich Erinnerungen an das Ausfüllen senden kann.
Welche Kopfschmerzkalender-App ist die richtige?
Es gibt mehrere, in der Basisversion meist kostenlose, Kopfschmerz-Apps in den App-Stores. Wichtige Punkte bei der Auswahl könnten sein: Wie lange dauert der tägliche Eintrag? Gibt es eine Erinnerungsfunktion? Wurde die App von Kopfschmerzexperten und -expertinnen entwickelt? Werden die wichtigsten Parameter erhoben, also Häufigkeit, Intensität, Dauer, Begleitsymptome und Akutmedikation? Gibt die App den Patientinnen und Patienten eine gute Übersicht über ihre Kopfschmerzen? Steht eine übersichtliche Auswertung zum Download zur Verfügung? Liegt ein gutes Datenschutzkonzept vor, und wo werden die Daten gespeichert?
Was können diese Apps noch?
Neben der Kalenderfunktion haben Kopfschmerz-Apps oft noch weitere Funktionen, z. B. Informationsmaterial zum Lesen, Hören oder als Video. Auch hier ist es wichtig, darauf zu achten, dass diese abrufbaren Informationen von Expertinnen und Experten zusammengestellt wurden.
Manche Kopfschmerz-Apps bieten eine detaillierte Erhebung von möglichen Triggerfaktoren, dies wird aktuell von der Fachärzteschaft aber eher kritisch gesehen, da eine extensive Beschäftigung mit Triggern zu Vermeidungsverhalten und Sensibilisierung führen könnte [1].
Kopfschmerz-Apps können auch die nicht medikamentöse Kopfschmerztherapie unterstützen, z. B. durch Anleitungen für Entspannungsverfahren oder durch Motivation der Betroffenen zur Durchführung von Ausdauersport.
Außerdem können Apps Patientinnen und Patienten warnen, wenn sie die Grenze zum Medikamentenübergebrauch erreichen, oder sie bei der Entscheidung für oder gegen die Einnahme eines Triptans unterstützen.
Führt die Nutzung von Apps zu einer schädlichen Fokussierung auf den Kopfschmerz?
Es ist viel diskutiert worden, ob das Führen eines Kopfschmerzkalenders durch übermäßige Fokussierung auf den Kopfschmerz eher zu einer Verschlechterung der Kopfschmerzerkrankung führen könnte. Neue Daten zur Therapiebegleitung mit einer Kopfschmerzkalender-App zeigen allerdings, dass im Durchschnitt schon die alleinige Nutzung einer Kopfschmerzkalender-App zu einer Kopfschmerzreduktion führt [2].
Sind Kopfschmerzkalender-Apps auch bei Clusterkopfschmerz nützlich?
Kopfschmerzkalender-Apps sind meist für die Erhebung von Kopfschmerztagen oder Migränetagen pro Monat ausgelegt. Betroffene mit Clusterkopfschmerz haben oft mehrere Attacken pro Tag, entscheidender Parameter ist hier die Attackenanzahl pro Woche. Daher brauchen an Clusterkopfschmerz Erkrankte idealerweise eine auf sie zugeschnittene Kopfschmerz-App. In Deutschland können sie z. B. die von der DMKG entwickelte DMKG Cluster-App nutzen.
Gibt es noch mehr als Kopfschmerz-Apps?
Weitere für die Kopfschmerzbehandlung nötige Informationen werden oft über Fragebögen erhoben. Eine digitale Möglichkeit bietet hier das DMKG-Kopfschmerzregister (www.kopfschmerzregister.de). Hier tragen Patienten und Patientinnen zu Hause wichtige Informationen in ein Webportal ein, z. B. zum Kopfschmerzbeginn, zu Kopfschmerz- und Begleitmedikation, Begleiterkrankungen, Beeinträchtigung im Alltag sowie zu Angst und Depression.
Diese Informationen können von Behandlern und Behandlerinnen im Arztportal gemeinsam mit dem Kopfschmerzkalender und dem Verlauf über mehrere Visiten eingesehen werden und als Basis für das Gespräch mit Patienten und Patientinnen dienen.
Können die Daten für die Forschung genutzt werden?
Ein großer Vorteil der digitalen Kopfschmerzdokumentation ist, dass die Daten für wissenschaftliche Untersuchungen zur Verfügung stehen [3,4]. Dies ist besonders dann nützlich, wenn die Eingaben der Patientinnen und Patienten durch Eingaben ihrer Ärzte und Ärztinnen ergänzt werden (z. B. die Diagnose) [5].
Was kommt als Nächstes?
Künstliche Intelligenz als Therapieunterstützung ist ein aktuelles Thema. In der Kopfschmerzmedizin könnte die Auswertung großer Datenbanken mithilfe von lernenden Algorithmen in Zukunft helfen, die individuell am besten geeigneten Therapiemöglichkeiten zu identifizieren.
Mehr praxisrelevantes Wissen finden Fachkreise online im Migräne- und Kopfschmerz-Guide unter www.mk-guide.org, einem Projekt der DMKG Initiative „Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen“.
Bildnachweis: privat