Insbesondere Migräne-Patientinnen mit Aura unter 45 Jahren haben ein relativ erhöhtes Schlaganfallrisiko. Die Einnahme von hormoneller Kontrazeption und Nikotinkonsum erhöht das Risiko zusätzlich. Langzeitstudien deuten weiterhin auf ein generell erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse bei Patienten mit Migräne hin.
Die aktuellste Metaanalyse zu kardiovaskulären Risiken aus dem Jahr 2018 befasste sich mit 16 Kohortenstudien mit mehr als einer Million Teilnehmenden, von denen 394 492 Patienten Migräne hatten. Es zeigte sich ein erhöhtes Risiko für ischämische oder hämorrhagische Schlaganfälle (1,42-fach), vor allem bei Migräne-Patienten mit Aura (1,56-fach mit Aura vs. 1,27-fach ohne Aura).
Wichtiger vaskulärer Risikomarker
Langzeit-Kohortenstudien belegen aber nicht nur ein erhöhtes Schlaganfallrisiko, sondern auch einen Zusammenhang zwischen Migräne und dem Auftreten anderer kardiovaskulärer Ereignisse wie Myokardinfarkt (1,39-fach erhöht) und kardiovaskuläre Mortalität (1,37-fach erhöht). Eine neuere Auswertung der Women´s Health Study betrachtete das absolute Risiko bei 27 858 Frauen (1 435 mit Aura, 2 177 ohne Aura, 24 246 ohne Migräne) über 45 Jahre in einem Beobachtungszeitraum von im Mittel 22,6 Jahren. Die adjustierte Inzidenzrate für schwere kardiovaskuläre Ereignisse (Herzinfarkt, Schlaganfall, kardiovaskulär bedingter Tod) lag bei Migräne-Patientinnen mit Aura bei 3,36 pro 1 000 Personenjahre und damit deutlich über der von Frauen ohne Migräne (2,11). Bei Migräne-Patientinnen ohne Aura gab es keinen Unterschied im Vergleich zu Frauen ohne Migräne. Frauen mit Migräne und Aura hatten auch eine signifikant höhere Inzidenz für schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse als Frauen mit anderen Risikofaktoren wie Adipositas (2,29) und niedrigen High-Density-Lipoprotein(HDL)-Werten (2,63). Damit war Migräne mit Aura einer der wichtigsten vaskulären Risikofaktoren nach Diabetes und Rauchen.
Läsionen der weißen Hirnsubstanz
Migräne gilt als eine paroxysmale Erkrankung ohne langfristige Folgen. Bildgebende Studien deuten jedoch darauf hin, dass Migräne mit strukturellen Läsionen im Gehirn einhergehen kann.
Eine niederländische populationsbasierte Studie (Cerebral Abnormalities in Migraine, an Epidemiological Risk Analysis, CAMERA) untersuchte die Zusammenhänge an insgesamt 435 Probanden (295 Migäne, 140 Kontrollen) im Alter von 30 bis 60 Jahren mittels Magnetresonanztomografie (MRT) des Gehirns. Bei Frauen mit Migräne fanden sich häufiger Läsionen der weißen Substanz (White Matter Lesions, WML) als bei gesunden Kontrollpersonen. Allgemein wiesen Patienten mit Migräne im posterioren Stromgebiet eine höhere Prävalenz von subklinischen Infarkten auf als Kontrollpersonen (5,4 % vs. 0,7 %). Noch deutlicher war der Unterschied bei Migräne-Patienten mit Aura (8,1 %).
Auch eine französische cross-sektionale Studie (n = 780) kam anhand von MRT-Aufnahmen des Gehirns zu dem Ergebnis, dass Migräne mit Aura eng mit dem Auftreten von WML und subklinischen Hirninfarkten, in dieser Studie vermehrt auch außerhalb der posterioren Zirkulation, assoziiert ist. Eine Langzeitstudie (1967–2006; n = 4 689, 57 % Frauen) wies zudem nach, dass Menschen, die in jungen Jahren unter Migräne mit Aura leiden, ein erhöhtes Risiko haben, im späteren Leben im MRT infarktähnliche Läsionen zu entwickeln. Auch hier zeigte sich insbesondere ein erhöhtes Risiko für zerebelläre Läsionen bei Frauen.
In einer Studie zeigten sich bereits bei Kindern mit Migräne White Matter Lesions.
Erhöhte Anfälligkeit für ischämische Hirnverletzungen und Schlaganfälle
WML sind ein signifikanter Prädiktor für Schlaganfälle bei Älteren: In einer populationsbasierten Studie (n = 1 634, > 65 Jahre) stieg das Risiko eines Schlaganfalls mit zunehmendem Ausgangsvolumen der WML signifikant an. Mit einem Risiko für andere vaskuläre Ereignisse waren die WML nicht assoziiert.
Mausmodelle zur familiären hemiplegischen Migräne konnten zeigen, dass diese Tiere empfindlicher gegenüber Perfusionsdefiziten sind und größere ischämische Hirninfarkte entwickeln. Zwei Kohortenstudien untermauern diese experimentelle Beobachtung größerer akuter Hirninfarkte und einer erhöhten Vulnerabilität des Gehirns gegenüber Ischämien bei Migräne auch für den Menschen.
Migräne als systemische vaskuläre Erkrankung?
Die Pathomechanismen hinter dem erhöhten kardiovaskulären Risiko und der Entwicklung von WML bei Migräne-Patienten sind nicht abschließend geklärt. Mögliche Ursachen sind fokale Hypoperfusionen mit mikrovaskulären ischämischen Störungen. Es gibt Hinweise darauf, dass Migräne mit Aura mit einer endothelialen Dysfunktion assoziiert ist, die wiederum mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko einhergeht. Eine weitere Studie konnte eine Migräne-spezifische Assoziation von einer herabgesetzten zerebrovaskulären Reaktivität auf Apnoe und einer erhöhten Zahl von WML zeigen.
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Therapeutische Implikation
Die aktuelle Studienlage deutet darauf hin, dass Migräne mit Aura ein ernst zu nehmender kardiovaskulärer Risikofaktor ist. In Anbetracht der insgesamt sehr seltenen vaskulären Ereignisse in der zumeist jüngeren Patientengruppe ist das absolute Risiko allerdings weiter gering. Die therapeutischen Konsequenzen daraus sind bislang unklar. Nicht bekannt ist, ob eine wirksame medikamentöse Prophylaxe das kardiovaskuläre Risiko senken kann. Insbesondere Frauen mit Migräne mit Aura sollten auf das relativ erhöhte Schlaganfallrisiko hingewiesen werden, ohne sie jedoch zu verunsichern. Weitere Risikofaktoren wie die Einnahme von hormonellen Kontrazeptiva oder Rauchen sollten möglichst vermieden werden. Mehr praxisrelevantes Wissen finden Fachkreise auch online im Migräne- und Kopfschmerz-Guide unter www.mk-guide.org, einem Projekt der DMKG Initiative „Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen“.
Der Autor
PD Dr. med. Lars Neeb
Oberarzt Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie der
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Literatur beim Autor
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