Die demografische Entwicklung bringt es mit sich, dass auch immer häufiger Senioren wegen Kopfschmerzen in Praxen vorstellig werden. Da sich die Symptomatik mit zunehmendem Alter verändert, stellen die diagnostische Einordnung und Behandlung der Beschwerden eine Herausforderung dar.
Gemeinhin werden Kopfschmerzen als ein Problem junger Erwachsener erlebt. Die Häufigkeit von Kopfschmerzen (6-Monats-Prävalenz) ist mit 44,6 % am höchsten für das 35.–54. Lebensjahr und nimmt bis zu einem Alter > 75 Jahre auf 26,9 % ab. Innerhalb der einzelnen Altersgruppen unterscheidet sich die Häufigkeit der Kopfschmerztage nicht, allerdings tritt bei Frauen > 75 Jahre relativ häufiger ein hochfrequenter Kopfschmerz auf als in den jüngeren Altersgruppen. Zudem ist in dieser Gruppe auch eine höhere Anzahl von Tagen mit Schmerzmedikation zu beobachten, sodass auf einen Medikamenten-Übergebrauchs-Kopfschmerz zu achten ist [1].
Rückgang der Häufigkeit nicht geklärt
Die Abnahme der Kopfschmerzhäufigkeit über das Alter ist ursächlich nicht geklärt, denn parallel steigt die Häufigkeit von sekundären Kopfschmerzen (z. B. Arteriitis temporalis, chronisch subdurales Hämatom, intrakranielle Raumforderungen). Außerdem nehmen allgemeine Schmerzen auch insbesondere durch degenerative Veränderungen von Gelenken und der Wirbelsäule zu, sodass nicht grundsätzlich von einer geringeren Schmerzempfindlichkeit im Alter ausgegangen werden kann.
Diskutierte Gründe für die Abnahme der Häufigkeit von primären Kopfschmerzen sind die Änderung der hormonellen Situation mit Eintritt der Menopause bei Frauen sowie eine Änderung der kortikalen Reizverarbeitung mit einer generell reduzierten Empfindlichkeit eine „cortical spreading depression“ (CSD) auszubilden [2]. Die CSD wird von einigen Autoren als ein wesentlicher Trigger für die Aktivierung des trigemino-vaskulären Systems gesehen, welches letztlich für die Ausbildung des Migräneschmerzes verantwortlich ist. Auch Estrogen und Progesteron haben Einfluss auf diese Erregbarkeit. Ungeklärt ist aber, warum auch der Kopfschmerz vom Spannungstyp, bei dem die CSD nicht als pathophysiologische Ursache gesehen wird, tendenziell abnimmt.
Länger anhaltende Attacken
Unabhängig von der Häufigkeit kommt es mit zunehmendem Alter auch zu einer Symptomveränderung der Migräne, welche diagnostisch zu berücksichtigen ist. Im Gegensatz zu der kindlichen Migräne, die häufig nur kurze Attacken mit ausgeprägter vegetativer Symptomatik („abdominal migraine“) zeigt, kommt es mit zunehmendem Alter zu Attacken, die länger anhalten und weniger bis keine vegetativen Symptome mehr zeigen. Auch der Schmerzcharakter ändert sich und wird eher bilateral drückend [3].
Dies führt zur Schwierigkeit der Abgrenzung solcher Kopfschmerzen zu Kopfschmerzen vom Spannungstyp. Kopfschmerzen im höheren Lebensalter bei Patienten mit Migräne in der Vorgeschichte sollten aber weiterhin als Migräne diagnostiziert werden.
Eine ähnliche Änderung der Attackensymptomatik ist gut beschrieben für die chronische Migräne, bei der es zu zunehmenden Tagen mit einem eher Spannungskopfschmerz-typischen bilateral, dumpf drückenden Kopfschmerz kommt. Welche biologischen Mechanismen für diese Änderung der Symptomatik sowohl im Alter als auch bei der Entwicklung einer chronischen Migräne verantwortlich sind, ist bisher nicht untersucht [3].
Wenn man die Änderung der Kopfschmerzsymptomatik berücksichtigt, sind auch die epidemiologischen Zahlen, die einen starken Abfall der Migräneprävalenz im Alter zeigen, zu hinterfragen. Völlig unerklärt ist, warum im Gegensatz zur Migräne, bei der es regelhaft zu einer Änderung des Beschwerdebildes im Laufe des Lebens kommt, beim ansonsten einige Ähnlichkeiten (genetisch, Aktivierung des trigemino-vaskulären Systems) aufweisenden Clusterkopfschmerz keine solche Änderung der Symptomatik zu beobachten ist.
Werden Kopfschmerzen von älteren Patienten beschrieben, sind im klinischen Alltag folgende Punkte zu beachten:
Mehr praxisrelevantes Wissen finden Fachkreise online im Migräne- und Kopfschmerz-Guide unter www.mk-guide.org, einem Projekt der DMKG Initiative „Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen“.
Der Autor
Prof. Dr. med. Andreas Straube
Universitätshospital Klinikum Großhadern
LMU München
1 Müller B et al., Front Neurol 2019; 10: 1000
2 Guedes RC et al., Braz J Med Biol Res 1996; 29: 1407–12
3 Straube A et al., J Headache Pain 2019; 20: 35. Errarum in: J Headache Pain 2019; 20: 71
Bildnachweis: privat