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Allgemeinmedizin

Psychische Belastung und psychotherapeutische Optionen

Clusterkopfschmerzen

Dipl.-Psych. Anna-Lena Guth

17.5.2024

Die mit Clusterkopfschmerz einhergehende hohe Beeinträchtigung sowie die häufige psychische Komorbidität sollten im ärztlichen Kontakt adressiert werden. Zudem kann psychotherapeutische Mitbehandlung mit den Zielen Verbesserung von Krankheitsbewältigung sowie Prävention und Behandlung von Komorbiditäten hilfreich sein.

Aktuelle qualitative Arbeiten dokumentieren die psychische Belastung von Patientinnen und Patienten mit Clusterkopfschmerz, insbesondere in Form von Beeinträchtigung, Invalidierung, Depression, Ängsten und sozialer Isolation [1,2,3]. Sie machen auch deutlich, dass psychische Aspekte bislang zu wenig berücksichtigt wurden und die Versorgung der Betroffenen insgesamt unzureichend ist. Dabei sind die sozioökonomischen Auswirkungen von Clusterkopfschmerzen bekannt: Im Vergleich zu anderen Kopfschmerzerkrankungen sind die Beeinträchtigung und Reduktion von Lebensqualität ausgeprägt, insbesondere für Erkrankte mit chronischem Clusterkopfschmerz und während der Episoden [4,5]. Entsprechend finden sich erhöhte Raten von Arbeitsunfähigkeit und Berentung und deutliche Einschränkungen bei sozialen und Familienaktivitäten sowie bei der Haushaltsführung [6,7]. Je höher die Kopfschmerzfrequenz, desto mehr sind Betroffene in der Verfolgung ihrer Lebensziele, z. B. hinsichtlich beruflicher Ziele oder Familiengründung, eingeschränkt [8].

Diagnostik

Zur Erfassung der psychischen Belastung gibt es neben der Anamnese (Infokasten) auch deutschsprachige clusterkopfschmerzspezifische Frage­bögen wie die Cluster Headache Scales (CHS, [9], Behandlungsbeginn, Behandlungsplanung) sowie den Cluster Headache Impact Questionnaire (CHIQ, [10], ökonomische Verlaufsmessung).

Psychische Komorbidität

In der Behandlung von Clusterkopfschmerz ist auch wegen der ungünstigen gegenseitigen Beeinflussung von Depression, Ängsten, Anspannung und Schmerzwahrnehmung eine adäquate Behandlung der psychi­schen Belastung und Komorbidität wichtig. Für Clusterkopfschmerzpatienten und -patientinnen sind im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung die ­Risiken für Depression (Odds Ration [OR] 2,77; 95%-KI 1,70–4,51; [11]) und Suizidalität (OR 2,04; 95%-KI 1,08–3,85; [12]) erhöht, wobei Zusammenhänge mit reduzierter Schlafqualität [13] durch nächtliche Clusterkopfschmerzattacken vermutet werden [11]. Insbesondere Betroffene mit überwiegend nächt­lichen Attacken, die weiterhin berufs­tätig sind, oder Erkrankte, die Schlaf aufgrund von Angst vor Attacken hinauszögern, sind in Richtung einer zunehmenden Erschöpfung und Anspannung mit steigender Episodendauer gefährdet. Auch andere Ängste (Agoraphobie, Panik) und Substanzkonsum bzw. Suchterkrankungen treten häufig auf [4,14,15].

Was therapeutisch hilfreich sein kann

In der Clusterkopfschmerz-Leitlinie von 2015 sind Edukation und Psychotherapie nicht berücksichtigt. Evidenzbasierte psychotherapeutische Ansätze existieren bisher nicht, sodass dringender Forschungs­bedarf besteht [16]. Empfehlungen und Vorschläge (Abb.) beinhalten Edukation und Lebensstilanpassungen, die Bearbeitung von Trigger- und Erwartungsängsten und Attackenmanagement [17]. Letzteres bedeutet u. a. Schmerzdistanzierung sowie Gegenstimulationstechniken oder Bewegung zur Vorbeugung von Selbstverletzung [17,18].

Biofeedback, Entspannung und Achtsamkeit sind nicht ausreichend untersucht, können aber bei der Anspannungsregulation oder bei Schlafproblemen begleitend unterstützen, ergänzend ist der Einsatz von Skills zur Anspannungsregulation bei ausgeprägten Spannungszuständen und Unruhe empfehlenswert [16,18]. In ihrem Patienten-Ratgeber legen Klan et al. den Fokus auf Krankheitsbewältigung im Alltag, z. B. auf die Stärkung des sozialen Netzes und auf die Resilienzförderung (Emotionsregulation, Selbstmitgefühl, Dankbarkeit, Ziel- und Werteorientierung) [18]. Auch Grinberg et al. (2021) verweisen auf die vielversprechenden Ergebnisse sowohl bei psychischen Erkrankungen als auch bei Migräne durch Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT), welche eine Werteorientierung, Akzeptanz von Leid statt Schmerz- und Leidkontrolle fokussiert, und Achtsamkeit integriert [16].

Die Umsetzung eines interdisziplinären Vorgehens, wie es bereits in Zentren stationär zur Anwendung kommt [19,20] und in anderen Bereichen wie der Psychoonkologie bereits etabliert ist, wäre auch ambulant von großem Vorteil. Kurzfristige Akutinterventionen bei Krankheitsbeginn oder drohender psychischer Dekompensation könnten die Versorgung von Clusterkopfschmerzpatienten und -patientinnen deutlich verbessern [21]. Hierzu müssten vorhandene Strukturen (z. B. Schmerzkonferenzen) intensiver genutzt, ausgebaut (z. B. Komplexversorgung) und lokale interdisziplinäre Behandlernetzwerke aus Kopfschmerzexperten geschaffen werden. Interdisziplinär ausgerichtete und beworbene Fortbildungen können hierzu entscheidend beitragen. Edukation, auch in Form von in der Praxis vorrätigen Materialien sowie Informationen zum Zugang zu Psychotherapie sind ergänzend sinnvoll.

Auch an die Angehörigen denken

Neben der Belastung der Erkrankten selbst gilt es, die häufig auch vorhandene Belastung der Angehörigen zu berücksichtigen. Auch hier spielen Edukation und Kommunikation sowie gegebenenfalls die Vermittlung geeigneter Unterstützungs- und Therapiemöglichkeiten eine wichtige Rolle. Der Austausch mit anderen Betroffenen und Angehörigen sollte angeregt werden und wird von vielen als sehr hilfreich empfunden. Hierzu kann an den Bundesverband der Clusterkopfschmerz-Selbsthilfe-Gruppen (CSG) e. V. (www.clusterkopf.de) verwiesen werden.

Mehr praxisrelevantes Wissen finden Fachkreise online im Migräne- und Kopfschmerz-Guide unter www.mk-guide.org, einem Projekt der DMKG Initiative „Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen“.

Die Autorin

Dipl.-Psych. Anna-Lena Guth
Psychologische Psychotherapeutin
Spezielle Schmerzpsychotherapie
Supervisorin
Kopfschmerzzentrum Frankfurt

a.guth@kopfschmerz-frankfurt.de

  1. Buture A et al., Br J Gen Pract 2020; 70: e514–22
  2. Schindler EAD et al., Headache 2021; 61: 318–28
  3. Andre L et al., Br J Pain 2021; 15: 420–8
  4. Jürgens TP et al., Cephalalgia 2011; 31: 671–82
  5. Dióssy M et al., Ideggyogy Sz 2020; 73: 15–26
  6. Jensen RM et al., Cephalalgia 2007; 27: 535–41
  7. Steinberg A et al., Neurology 2019; 93: e404–13
  8. Pohl H et al., Headache 2020; 60: 360–9
  9. Klan T et al., Cephalalgia 2020; 40: 1240–9
  10. Kamm K et al., J Headache Pain 2022; 23: 37
  11. Louter MA et al., Neurology 2016; 87: 1899–906
  12. Koo BB et al., J Headache Pain 2021; 22: 28
  13. Göbel CH et al., Pain and Therapy 2021; 10: 1121–37
  14. Kim BSu et al., J Headache Pain 2020; 21: 58
  15. Rossi P et al., Cephalalgia 2012; 32: 1031–40
  16. Grinberg AS et al., Curr Pain Headache Rep 2021; 25: 65
  17. Lüking M, Krankheitsverhalten bei Clusterkopfschmerz. In: Günther Fritsche (Hg.): Multimodale Schmerztherapie bei chronischen Kopfschmerzen. Interdisziplinäre Behandlungskonzepte. Unter Mitarbeit von Jörn Altenscheidt und Charly Gaul. Stuttgart, New York, NY: Thieme, 2013
  18. Klan T, Guth AL, Gaul C, Clusterkopfschmerz: Trigeminoautonome Kopfschmerzen wirksam behandeln und vorbeugen. Stuttgart: Kohlhammer, 2023
  19. Jensen R et al., Cephalalgia 2010; 30: 1214–24
  20. Gaul C et al., Cephalalgia 2016; 36: 1181–91
  21. Schenck LAM et al., Neurol Sci 2019; 40: 3–7
Weitere Artikel aus dieser Serie finden Sie hier

Bildnachweis: privat

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