Der zunehmende Einsatz von digitalen Technologien kann dazu beitragen, die Effizienz der medizinischen Versorgung zu erhöhen, die Patientenzufriedenheit zu verbessern und das Management von Gesundheitsdaten zu optimieren. Das ist seit Jahren eigentlich unstrittig. Wir stellen den Stand der Dinge vor.
Digitale Ansätze in der Patientenversorgung bieten innovative Möglichkeiten zur Verbesserung der Versorgung – auch in der Gynäkologie. Wir stellen innovative Ansätze aus verschiedenen gynäkologischen Indikationen vor.
Telemedizin in der Gynäkologie
Die Telemedizin hat sich schon länger als nützliches Instrument in der Gynäkologie etabliert, etwa bei der Fernüberwachung von Schwangerschaften – gerade bei Risikoschwangerschaften. Bei Hypertonie kann beispielsweise ein Blutdruck-Monitoring auch ohne Praxisbesuch mehr Sicherheit geben und zeitnahe medikamentöse Anpassungen ermöglichen. Messdaten, etwa von einem CTG-Gerät, was gerade zum Ende der Schwangerschaft hin relevant wird. Das vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses geförderte „Versorgungsnetz Sichere Geburt“ macht die hochschulmedizinische Expertise des Zentrums für Feto-Neonatale Gesundheit Dresden in der gesamten Versorgungsregion Ostsachsen verfügbar. Dabei werden besonders Anwendungsgebiete in der Pränatalmedizin, bei der Erstversorgung und Betreuung von kranken Früh- und Neugeborenen und der psychosozialen Unterstützung der Familien dieser Kinder im Fokus stehen und wissenschaftlich ausgewertet werden. Das ist besonders vorteilhaft für Patientinnen in ländlichen Gebieten oder für solche, die aufgrund physischer Einschränkungen Schwierigkeiten haben, eine Praxis zu besuchen.
Auch das vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte Projekt „Sensorgestützte Schwangerschaftsvorsorge im häuslichen Umfeld“ (SMART Start) der Universität Erlangen soll helfen, Schwangere besser und gezielter zu betreuen. Mittels einer App werden Sensorik- und Gesundheitsdaten verarbeitet. Es soll ein gesamtheitliches Smart-Home-Konzept entwickelt werden, das Messungen aus der regulären Schwangerschaftsvorsorge und Home-Messungen – etwa der Schlafqualität und des Bewegungsverhaltens – integriert. Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) und des maschinellen Lernens werden eingesetzt, um die aus den Sensoren gewonnenen Daten zu analysieren und daraus konkrete Handlungsempfehlungen abzuleiten.
Eine Studie der Uniklinik Münster zeigte, dass eine Tele-Pränataldiagnostik ein großes Potenzial hat. In der Studie gelang es, 59 % der grundsätzlich notwendigen Überweisungen in die Uniklinik zu vermeiden, da die Fragestellungen rein telemedizinisch gelöst werden konnten. Hierfür erfolgte innerhalb eines Netzwerks der Austausch und die gemeinsame Beurteilung von Ultraschallbildern und -videos z. B. im Zuge von Telekonsilen.
Mit dem Kinderwunschkonsil (KIWUkons) hat der Berufsverband der Frauenärzte (BVF) zusammen mit Reproduktionsmedizinern ein innovatives telemedizinisches Konsil für Gynäkologen und Gynäkologinnen entwickelt, die Paare mit unerfülltem Kinderwunsch betreuen. Das KIWUkons bietet teilnehmenden Frauenärztinnen und Frauenärzten die Chance, die Behandlung ungewollt kinderloser Paare vor Ort in ihren Praxen zu verbessern. Den Reproduktionsmedizinern schafft das Konsil die Möglichkeit, im Bedarfsfall nach ausgereizter Therapie in der Basisversorgung direkt mit Maßnahmen der assistierten Reproduktion fortfahren zu können.
FemTech-Apps und DiGA
FemTech-Apps gehören für viele Frauen mittlerweile zum Alltag. Zu den adressierten Gesundheitsthemen gehören Zykluskontrolle, die reproduktive und sexuelle Gesundheit, die Gesundheit von Müttern sowie die Menopause. Viele dieser Apps, die kostenlos oder für kleines Geld in den App-Stores von Apple und Google verfügbar sind, zielen darauf ab, Beratungen anzubieten, die Kommunikation zwischen Professionals und Patientinnen zu verbessern, evidenzbasierte Informationen zu verbreiten und den Austausch über Webinare und Social-Media-Kanäle zu ermöglichen.
Wearables wie Fitness-Tracker und spezialisierte Sensoren können solche FemTech unterstützen, indem sie kontinuierlich Gesundheitsdaten sammeln, die für die gynäkologische Versorgung relevant sind. Solche Geräte können beispielsweise zur Überwachung der Herzrate, des Schlafmusters oder der körperlichen Aktivität während der Schwangerschaft genutzt werden. Die daraus resultierenden Daten können frühzeitig Hinweise auf mögliche Komplikationen geben und somit präventiv wirken.
Die Zusammenarbeit zwischen jungen Eltern und Ärztinnen und Ärzten steht im Zentrum der Anwendung „U-Untersuchung für Kinder PLUS Eltern beim Pädiater zur Förderung der kindlichen Entwicklung mit Impuls aus frauenärztlicher Schwangerenvorsorge“ (UplusE). Hier geht es um die Indikation der peripartalen Depression. Standardisierte Screeningverfahren stellen eine erprobte Hilfe dar, um Betroffene früh zu erkennen und einer spezialisierten Behandlung zuzuführen. Gynäkologische und pädiatrische Praxen sind dafür der richtige Ort. Denn bei den Vorsorgeuntersuchungen sehen diese fast alle Schwangeren und jungen Eltern regelmäßig.
Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) gehen einen Schritt weiter. Sie sind vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zugelassen, auf Rezept erhältlich und zeichnen sich durch einen klaren medizinischen Nutzen aus. DiGA bieten Patientinnen die Möglichkeit, aktiv an ihrer Gesundheitsvorsorge teilzunehmen und fördern eine individualisierte Behandlung. Die Verschreibung von DiGA erfolgt extrabudgetär (GOÄ/GOP 01470, 18 Punkte), weder Heilmittel- noch Arzneimittelbudget werden belastet.
Solche Apps auf Rezept gibt es z. B. für die Indikationen Endometriose und Vaginismus. Die DiGA „HelloBetter Vaginismus Plus“ besteht aus 8 Kurseinheiten mit Texten, Videos und Audios zu sexuellen Funktionsstörungen, insbesondere zu Vaginismus und Dyspareunie. Dort erlernen die Teilnehmerinnen wirksame Strategien aus der kognitiven Verhaltenstherapie, u. a. Strategien im Umgang mit belastenden Gedanken und Gefühlen, Entspannungs- und Beckenbodenübungen, Sensualitätstraining (Sensate Focus) sowie schrittweise vaginale Einführungsübungen mit Dilatatoren. Die Einheiten werden von geschulten Psychologinnen begleitet. In einer randomisierten kontrollierten Studie war für 31 % der Teilnehmenden nach Abschluss des Online-Therapieprogramms vaginales Einführen beim Geschlechtsverkehr wieder möglich. Auch Schmerzen, sexuelle Ängste und belastende Gedanken konnten signifikant verringert werden.
Die Endo-App für Patientinnen mit Endometriose tritt für eine anhaltende Verbesserung der Lebensqualität an, indem sie alle Informationen an einem Ort bündelt. Dazu gehören u. a.:
Auch für das in der Frauenarztpraxis immer wichtigere Thema Adipositas listet das DiGA-Verzeichnis beim BfArM zwei Apps auf Rezept: Oviva und Zanadio. Die beiden DiGA-Apps unterstützen Patientinnen bei der Veränderung ihrer Gewohnheiten in den Bereichen Bewegung, Ernährung sowie weiterer Verhaltensweisen mit dem Ziel, langfristig ihr Gewicht zu reduzieren. Die Programme setzen den etablierten Behandlungsansatz der multimodalen Adipositastherapie digital um.
Gleich eine ganze Reihe von Apps gibt es zur Betreuung von Patientinnen mit Mammakarzinom. Die Leitlinie „Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatien*innen“ (AWMF-Registernummer: 032-051OL, Link) von 2023 empfiehlt erstmals psychoonkologische E-Health-Anwendungen. Das Kapitel 8.4 fasst auf sechs Seiten die Evidenz zu folgenden Themen zusammen:
Die Leitlinie vergibt auf dieser Basis eine „sollte“- und eine „kann“-Empfehlung. Empfehlung 8.11: Psychoonkologische E-Health Interventionen sollten Krebspatient*innen unabhängig vom Belastungsgrad zur Verbesserung der Lebensqualität angeboten werden (Empfehlungsgrad B, LoE 1a). Empfehlung 8.12: Psychoonkologische E-Health Interventionen können Krebspatient*innen unabhängig vom Belastungsgrad zur Reduktion von psychischer Belastung, Depressivität, Angst und Fatigue angeboten werden (Empfehlungsgrad 0, LoE 1a).
Die Empfehlungen beziehen sich auf den Einsatz von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA), die als Medizinprodukt zertifiziert sind.
Das sind aktuell:
Bei der Prävention des Mammakarzinoms unterstützen KI-Algorithmen beim Mammografiescreening, wo es um die Erkennung von Mustern geht. Ein immer wieder diskutiertes Thema sind hier die falsch-positiven Ergebnisse im Screening. Diese können für die Patientin zu seelischer Belastung sowie zu körperlichen Belastungen durch die daraus folgende invasive Diagnostik führen. Eine Studie von 2022 hatte gezeigt, dass KI-gestützte Systeme das Potenzial haben, die Rate an Intervallkarzinomen im Mammografiescreening zu reduzieren [1]. Eine schwedische Studie bestätigte die Ergebnisse: Basierend auf den Mammografien von 55 000 Frauen war die KI bei der Erkennung von Brustkrebs genauso gut wie zwei Radiologen. In einigen Fällen entdeckte die Kombination aus einem Radiologen und KI sogar mehr Krebsfälle als zwei Radiologen [2].
Die elektronische Patientenakte
Die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) soll es ermöglichen, sämtliche gesundheitsrelevanten Daten einer Patientin zentral zu speichern und bei Bedarf schnell und sicher abrufbar zu machen. Dies erleichtert nicht nur die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen verschiedenen medizinischen Fachbereichen, sondern ermöglicht auch eine präzisere und effektivere Behandlung. Datengestützte Ansätze, wie die Analyse großer Datenmengen (Big Data), können dazu beitragen, individuelle Risikoprofile zu erstellen und personalisierte Behandlungsempfehlungen zu geben.
Am 15. Januar 2025 soll die ePA für alle starten, und auf der DMEA im April 2024 diskutierte eine illustre Runde unter dem Titel „Vom E-Rezept zur elektronischen Patientenakte“ darüber, was man aus der teilweise chaotischen Einführung des E-Rezepts gelernt hat. Und was man vielleicht bei der ePA besser machen kann. Neben gematik-Geschäftsführer Florian Hartge saßen Vertreter von Hausärzteverband, KVen, Apothekerverbänden und den Herstellern von Praxisverwaltungssoftware auf dem Podium.
Die gute Nachricht: Alle waren sich einig, dass das E-Rezept nach anfänglichem Holpern mittlerweile ziemlich rund läuft. Natürlich hat jede Interessengruppe andere Befürchtungen, was den Start der ePA angeht. Aber zumindest beim Vorgehen herrscht dann doch wieder Einigkeit. Der Vertreter des Hausärzteverbandes, Prof. Wolfgang von Meißner, formulierte es so: „Statt die One-Day-Lösung zu finden, bei der alles am ersten Tag funktioniert, versuchen wir es jetzt mit Day One: Am Tag 1 starten wir mit einer kleinen Lösung. Und entwickeln von diesem Punkt aus weiter.“
Der gesetzliche Rahmen findet sich im Digital-Gesetz und im Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Aus der ePA und anderen Registern entstehende Datensätze sollen es auch der wissenschaftlichen Forschung ermöglichen, auf anonymisierte Patientendaten zuzugreifen, um damit Forschungsprojekte zu beschleunigen.
Digitale Tools in der Gynäkologie bieten zahlreiche Möglichkeiten zur Verbesserung der Patientenversorgung. Sie ermöglichen eine personalisierte und effiziente Behandlung und tragen dazu bei, die Zugänglichkeit und Qualität der gynäkologischen Versorgung zu erhöhen. Insbesondere die Integration von DiGA in den Behandlungsprozess stellt einen wichtigen Schritt in Richtung einer digitalisierten Medizin dar, die patientenzentriert und datengetrieben ist.