Dass sportliche Aktivität bei chronischen Rückenproblemen Schmerzen lindern kann, wissen die Patienten. Doch was hält sie davon ab, aktiv zu werden – und zu bleiben? Eine aktuelle Studie der Philipps-Universität Marburg lieferte dazu Erklärungsansätze und Lösungen.
Ein Team von Allgemeinmediziner der Philipps-Universität Marburg hat mit einer Interviewstudie untersucht, was Patienten mit chronischen Rückenschmerzen (> Schmerzmedizin) davon abhält, ihre Beschwerden mittels körperlicher Übungen zu lindern bzw. wie sie sich zu sportlichen Aktivitäten motivieren lassen. Hierzu wurden betroffene Patienten und behandelnde Ärzte befragt. Die Studienergebnisse zeigen durchaus Bekanntes, z. B. dass die Übungsintensität der Patienten mit nachlassender Symptomatik geringer wird, Gruppentraining dem entgegenwirkt oder ein App-basiertes Recall wirksam ist. Es offenbarte sich aber auch eine komplexe Arzt-Patienten-Beziehung, z. B. ein paternalistisches Verhalten mancher Ärzte oder eine Patientenmentalität, die die medizinische Behandlung auf ein Dienstleistungsverhältnis reduziert.
Was motiviert Betroffene?
Chronische Rückenschmerzen sind weit verbreitet, entsprechend der vom Robert Koch Institut (RKI) und Destatis 2021 veröffentlichten BURDEN-Studie sind rund 60 % der Erwachsenen in Deutschland davon betroffen (DOI 10.25646/7854). Körperliche Aktivität ist eine der wirksamsten Behandlungsmöglichkeiten zur Schmerzlinderung. „Für Allgemeinmediziner ist es jedoch nach wie vor eine schwierige Aufgabe, die Betroffenen zu regelmäßigem Training zu ermutigen“, sagt Dr. med. Nicole Lindner (Marburg). „Es gibt ein paar Tricks, wie Menschen mit chronischen Rückenschmerzen aktiv bleiben können. Unsere Studie gibt Aufschluss darüber, was die Betroffenen motivieren kann“ (> Sportmedizin).
Das Team um Lindner untersuchte, wie körperliche Aktivität bei der Behandlung chronischer Rückenschmerzen wahrgenommen wird, wie die Motivation der Betroffenen verbessert und Hemmnisse abgebaut werden können. „Während die Perspektiven von Patienten einerseits und von behandelnden Ärzten andererseits bislang nur getrennt voneinander untersucht wurden, widmen wir uns erstmals der Beziehung zwischen den beiden Seiten“, ergänzt die Dr. med. Annika Viniol (Marburg).
Verschiedene Hindernisse führen zu Inaktivität
Das Forscherteam führte qualitative halbstrukturierte Interviews mit 14 Betroffenen, die an chronischem Rückenschmerz leiden, und mit 12 Allgemeinmedizinern in Deutschland. Die Meinungen und Erfahrungen der Ärzte und der Betroffenen stimmten in vielen Punkten überein. So teilten beide Gruppen die Überzeugung, dass körperliche Betätigung im Freien eine besonders positive Wirkung auf die Gesundheit hat. Die Befragten äußerten sich auch zu den Hindernissen, die einer körperlichen Aktivität entgegenstehen. Hierzu gehört unter anderem, dass die Übungen nicht weitergeführt werden, wenn sich die Schmerzen vermindern. Auch Lustlosigkeit, unzureichende regionale Angebote oder Zeitmangel wirken sich neben spezifischen pandemiebedingten Beschränkungen hemmend aus.
Die Beziehung zwischen Arzt und Patient
Die Befragung lieferte darüber hinaus Ideen, wie man diese Hemmnisse beseitigen könnte und wodurch sich sportliche Betätigung bei chronischem Rückenschmerz fördern ließe, etwa durch gemeinsames Training in der Gruppe oder regelmäßige Erinnerungen mithilfe einer App.
Die Beziehung zwischen Arzt und Patient beurteilten beide Gruppen grundsätzlich als positiv. Jedoch stellten die Forscher auch bemerkenswerte Unterschiede fest: „Manche Ärzte begegnen ihren Patienten gerne auf Augenhöhe, andere nehmen eine paternalistische Rolle ein“, so Lindner. Patienten sähen sich hingegen manchmal selbst als Fachleute und betrachteten die medizinische Behandlung nur als eine Dienstleistung. „Daraus können Probleme erwachsen, die zu einem verringerten Behandlungserfolg beitragen“, erklärt Lindner. „Unsere Ergebnisse können die Auswahl von Strategien unterstützen, mit denen die Betroffenen zu mehr Bewegung motiviert werden können“.
1 Pressemitteilung„Wenn die Schmerzbehandlung zur Dienstleistung wird“. Philipps-UniversitätMarburg, 9.2.2023 (https://idw-online.de/de/news809121).
2 * Lindner N et al.: Physical activity for chronicback pain: qualitative interviews among patients and GPs. Br J Gen Pract. 2023Feb 1 February; BJGP.2022.0215 (DOI 10.3399/BJGP.2022.0215).