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Dermatologie

Lipohyperplasia Dolorosa

Diagnostik und Therapie des Lipödems

Prof. Dr. med. Manuel Cornely

5.5.2023

„Work in progress“ umschreibt am besten die bemerkenswerten Erkenntnisse der vergangenen Jahre zur Lipohyper­plasia dolorosa (LiDo), gemeinhin immer noch „Lipödem“ genannt. Die Diagnose wird klinisch gestellt, wobei Palpation und nicht Pinching im Vordergrund steht. Definitiv therapiert wird mit lymphgefäßschonender Liposuktion.

Die seit 1940 bekannte Erkrankung „Lipedema of the legs“ wird zunehmend besser verstanden. Im Fokus der Erforschung stehen zurzeit zytologische, ­immunologische, inflammatorische, hormonelle und genetische ­Aspekte des Krankheitsbilds ebenso wie die Untersuchung der Ödematisierung des Fettgewebes, besser: seines Interstitiums. Das noch von den Erstbeschreibern protokollierte orthostatische Ödem des „Lip­ödems“ entsteht nicht an den Armen und nicht zwingend an den Beinen [1]. Diese Art von „Ödem“ ­verliert bei der Fettverteilungsstörung der Frauen an Armen und Beinen seine pathophysiologische Bedeutung – anders als das Phänomen Schmerz [2-4]. Denn die Schmerz­haftigkeit ist in ihrer weiten klinischen Ausprägung obligat für die korrekte Diagnose: „Lipödem tut weh.“

Die Ursache des Schmerzes ist sicher nicht ­psychosomatisch, sondern somatisch, am ehesten nozizeptiv/mechanozeptiv. Hierzu gibt es erste ­Messungen zur Objektivierung: Veränderungen des Vibrationsvermögens sind besonders auffällig [5,6].

Diese und weitere wissenschaftliche Erkenntnisse sind „work in progress“, sie werden zu einem Renaming der Erkrankung führen. Daher lautet die richtige Bezeichnung der Erkrankung „Lipohyperplasia dolorosa“ (LiDo), denn die Volumenzunahme durch hyperplastische Adipozyten ist genetisch fixiert und die Schmerzsensation ist im Verlauf dynamisch zunehmend, also progredient [7].

Bis auf einen verschwindend kleinen Anteil an Männern leiden nur Frauen an dieser lymphologischen Erkrankung mit den zwei Hauptmerkmalen „Fettverteilungs­störung an den Extremitäten“ und „Schmerz“.

Regelhaft besteht ein mitunter dramatischer Leidensweg der Patientinnen, Ausprägung und Gewichtung sind unterschiedlich, das Unverständnis der nicht von LiDo Betroffenen ist jedoch die Regel [6].

Was ist eine Lipohyperplasia dolorosa?

Die Lipohyperplasia dolorosa ist kein Ödem, kein Lymphödem und keine ­Adipositas [8]. „The basic difficulties in Lipedema is the deposition of an unusual amount of fat beneath the skin.” Dieser Satz von Allen und Hines, 1940 publiziert [9], lenkt den Blick direkt auf das Gewebe, das bei der Beschreibung der von den Erstautoren „Lipedema“ genannten Erkrankung im Vordergrund steht. Fettgewebe ist am Körper formgebend, Ödem ebenso. Die beiden internistischen Autoren sahen eine subkutane Fettverteilung an den Beinen und ein zusätzliches orthostatisches Ödem. Diese klinische Beobachtung führte zum Misnomer„Lipedema“. Die bessere Bezeichnung, die der Autor seit 2005 publiziert und nutzt, die korrekte Bezeichnung, ist aber „Lipo­hyperplasia dolorosa“ (LiDo) [7]. Sie beschreibt die angeborene, also genetisch bedingte [10], ­symmetrische, druckschmerzhafte Fettverteilungsstörung an den Beinen und Armen unter Berücksichtigung der bekannten histologischen adipozytären Variante, der adipozytären Hyperplasie bei gleichzeitiger Veränderung der Silhouette, genannt Hypertrophie des Fettes. Zudem tritt LiDo bei bis zu 90 % der Patientinnen auch an den Armen auf. Dieses Verteilungsmuster war den Erstbeschreibern nicht aufgefallen [4]. Ein dellbares Ödem ist nicht vorhanden, sodass der Terminus LiDo zu Recht auf den Zusatz „Ödem“ verzichtet. Ein passageres orthostatisches Ödem kann gelegentlich an den Beinen, jedoch nie an den Armen zur typischen Fettverteilungsstörung hinzutreten.

Heute ist es möglich, präziser als vor 80 Jahren zu beschreiben, was dieses Krankheitsbild der Frauen umfasst, wie es charakterisiert ist, und wie den Patientinnen geholfen werden kann [11-20].

Hören Sie Ihrer Patienin aufmerksam und umfänglich zu, Ihre patientin ist in der Lebensqualität schwerer betroffen als Klinisch evident sein mag. Nicht selten gilt für diese Frauen immer noch das Zitat von Allen und Hines: It ruined her life.

Welche Symptome haben die Patientinnen?

Die lymphologische Erkrankung hat zwei Hauptmerkmale: die symmetrische zum Körperstamm disproportionale Fettverteilungsstörung an den Beinen und ggf. Armen, die durch Diäten und Sport nicht beeinflusst werden kann, und den Schmerz. Das obligate Symptom „Schmerz“ ist dabei unabhängig vom Body-Mass-Index (BMI), der bei der LiDo nur bedingt verwertbar ist [21]. Auch Sugillationen, die ohne relevanten Anlass schnell entstehen, sind typisch. Die Extremitäten sind auf Palpation missempfindlich, ja schmerzhaft.

Bei 640 Patientinnen einer Fachklinik für operative Lymphologie wurde mittels Fragebogen der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. (DSF) eine Analyse zum Schmerz durchgeführt [22]. Die meisten Befragten beschrieben ihn dabei als dumpf, drückend, ziehend und stechend. Rund 90 % berichteten über tägliche Schmerzen, ungefähr 50 % der Patientinnen beschrieben eine mittlere Schmerzintensität zwischen 2 und 6 auf einer visuellen Analogskala von 0 bis 10 ­(VAS-Wert). Auch fühlte sich ein großer Anteil der Betroffenen bei der Ausführung von Alltagsaktivitäten beeinträchtigt, und eine ähnliche Verteilung und Beeinträchtigung wurde auch bei den Freizeitaktivitäten festgestellt. Bei einer kleinen Minderheit von etwa 3 % der Patientinnen war sogar die Arbeitsfähigkeit vollständig beeinträchtigt.

Wie wird eine LiDo diagnostiziert?

Die Diagnose Lipohyperplasia dolorosa basiert auf der Anamnese, dem Ausschluss anderer Fettgewebsveränderungen, wie der schmerzlosen Lipohypertrophie oder der Adipositas, und der sorgfältigen klinischen Untersuchung durch subtile Inspektion und Palpation.

Die Diagnose einer LiDo wird also immer noch prima vista rein klinisch gestellt, wobei die disproportionale Zunahme des subkutanen Fettgewebes an den Extremitäten und die Schmerzhaftigkeit die wesentlichsten Kriterien darstellen [1]. Hinzukommt eine Kapillarfragilität bzw. Mikroangiopathie, die sich klinisch in der Hämatomneigung bei Bagatelltraumen äußert.

Drei Untersuchungsschritte und fünf Handgriffe –  nach dem Motto „Palpation statt Pinching“ – klären die Diagnose:

1. Schritt: Die Inspektion aus der Distanz

Grundsätzlich erfolgt bei Patientinnen mit Verdacht auf Lipohyperplasia dolorosa eine Untersuchung des vollständigen Integuments. Die Patientin steht, nur in Unterwäsche bekleidet, „face to face“ in einem Abstand von 3 bis 4 m dem Untersucher gegenüber, sodass die Gesamtkonstitution des Körpers von Kopf bis Fuß beurteilt werden kann. Üblicherweise ist eine Disproportion zwischen den Gliedmaßen und dem Körperstamm zu sehen (Abb. 1). Hierbei fällt en passant auf, ob eine über diese Disproportion hinausgehende Adipositas des Stammes vorhanden ist.

Neben der zu erwartenden freien Sicht durch die Spatien der Zehen sind bei ödemfreiem Vorfuß die Venen des Fußrückens gut zu erkennen, eine dorsale Zehenfalte kann abgehoben werden, eine Dellbarkeit am Fußrücken ist nicht vorhanden oder auslösbar.

2. Schritt: Die Inspektion aus der Nähe

Nun folgt die Inspektion des oberen Sprunggelenks und hier im Besonderen die der mit Fettgewebe gefüllten Bisgaard‘schen Kulisse. Auch ist häufig im Bereich des proximalen Unterschenkels medial ein wulstförmiges Konvolut aus Fettgewebe zu sehen. Die weitere Inspektion der Beine ergibt eine entsprechende Fettgewebszunahme symme­trisch bis zur Leiste.

3. Schritt: Palpation statt Pinching

Bei Lipohyperplasia dolorosa sollten die Extremitäten an fünf Stellen zur Prüfung auf Schmerzhaftigkeit des Gewebes palpiert werden:

1. Unterschenkel medial
2. Oberschenkel bimanuell lateral (Abb. 2)
3. Arme dorsal (Abb. 3)
4. Bauch periumbilikal und lateral
5. Bauch versus Arme und Beine bimanuell (Abb. 4)

Der oft beschriebene Pinching-Test (Kneif-Test nach Nürnberger) ist deutlich zu grob, um bei der Palpation der LiDo angewendet zu werden [23,24].

Erschwert werden Diagnostik und Therapie der LiDo gelegentlich durch eine koinzidente proportionale symmetrische Fettgewebsvermehrung im Sinne einer Adipositas. Erstaunlicherweise werden für die Bestimmung dieses Adipositasanteils häufig keine validen anthropometrischen Parameter eingesetzt. Einzig der wohlbekannte Body-Mass-Index, bei dessen Berechnung Körpergröße und Körpergewicht herangezogen werden, findet sich in diversen Studien [15,18, 25-32] und verschiedenen Leitlinien [33,34] – allerdings fehlt dem BMI bereits die Konstruktvalidität. Neben der Inspektion und Palpation setzt sich heute zunehmend die Waist-to-Height-Ratio (WHtR) als Maßeinheit bei LiDo durch [35].

Die Einteilung der LiDo in die morphologischen Stadien I bis III [33] vermittelt den falschen Eindruck einer Progression der Erkrankung, was jedoch nicht der Fall ist. Ausschließlich die Schmerzhaftigkeit entwickelt sich ­dynamisch progressiv, die Volumenzunahme an den Extremitäten ist genetisch bedingt und verläuft als solche alterstypisch. Davon unabhängig sind metabolisch initiierte Fettzunahmen.

Therapeutische Möglichkeiten

Für die mit einfachen Mitteln leicht und eindrucksvoll zu stellende klinische Diagnose der Lipohyperplasia dolorosa gibt es sowohl konservative als auch operative Behandlungsmöglichkeiten.

Konservative Maßnahmen

Seit den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts werden konservative Therapien in der Lymphologie – hier besonders zur Behandlung des Lymphödems – eingesetzt [36]. Und auch bei LiDo findet die komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE) Anwendung [37]. Die Indikation ist jedoch fragwürdig, da eine lymphödematöse Komponente bei der LiDo nicht besteht. Die interstitielle ­Ödematisierung des Gewebes wird allerdings offensichtlich positiv beeinflusst, denn die Schmerzhaftigkeit schwindet unter der Behandlung durch den Therapeuten und durch die nachfolgende Kompressionsbekleidung für Arme und Beine. Der positive Effekt ist jedoch nicht von Dauer, und das Fettgewebe der Extremitäten muss bei einer Verteilungsstörung regelmäßig von Hand oder durch intermittierende apparative Kompression drainiert werden. Werden die konservativen Verfahren abgesetzt, hat sich strukturell an der Lipohyperplasia dolorosa der Arme und Beine nichts verändert, Umfang und Schmerzen sind unverändert vorhanden.

Chirurgische Optionen

Ein seit 1997 etabliertes Verfahren ist die chirurgische Behandlung mittels Lymphologischer Liposculptur™ [38]. Die pathophysiologische These der Hochvolumentransportinsuffizienz und die dadurch ausgelöste Imbibierung des lipohyperplastischen Fettgewebemantels der Extremitäten mit konsekutiver interstitieller Ödematisierung wurden zur Blaupause für den operativen therapeutischen Ansatz der Lymphologischen Liposculptur™. Nach Erforschung, Entwicklung und Bewertung weiterer pathophysiologischer Grundlagen für die operative Behandlung [39] und Analyse der publizierten Daten [40] zum Krankheitsbild „Lipödem“ konnte die Erkrankung Lipohyperplasia dolorosa 1997 in Düsseldorf erstmals mit dem Verfahren der Fettgewebeentfernung durch mikrokanüläre Operationen in lymphgefäßschonender Weise [41,42] behandelt werden. Eine Änderung des Blickwinkels in der Therapie der LiDo wurde dadurch angestoßen [43]. Dieses Operationsverfahren, das initial für die LiDo entwickelt wurde, bedeutete nicht nur in der Behandlung der LiDo-Patientinnen, sondern auch für Patientinnen und Patienten mit sekundären oder primären Lymphödemen einen Paradigmenwechsel [44]. Denn diese operative Methode kann das Desaster der Betroffenen wirkungsvoll kurieren.

Welche Komorbiditäten und Koinzidenzen können mit der LiDo einhergehen?

Eine LiDo muss von anderen symmetrischen, schmerzlosen Fettverteilungs­störungen – insbesondere von der koinzidenten Adipositas an Armen und Beinen – prima vista und nach palpatorischer Untersuchung unterschieden werden. Komorbiditäten können, müssen aber nicht – im Sinne einer Folgeerkrankung –, ursächlich mit der Grunderkrankung zusammenhängen.

Eine Adipositas ist bei LiDo-Patientinnen nicht komorbid, aber häufig koinzident vorhanden. Körperliche Aktivität und Ernährungsumstellung können zwar das Übergewicht reduzieren, nicht aber die ausschließlich LiDo-bedingte ­disproportionale Fettgewebevermehrung an den Extremitäten beseitigen. Bei mit Adipositas koinzidenten LiDo-Patientinnen hat die Magenchirurgie daher keinen Effekt auf die obligate Schmerzhaftigkeit der LiDo [45]. Die alimentär bedingte Adipositas an Stamm und Extremitäten lässt die Disproportion der genetisch bedingten LiDo allmählich in den Hintergrund treten, da die adipositasbedingte Gewichtszunahme immer auch zu einer starken Volumenzunahme an den durch LiDo betroffenen Gliedmaßen führt und so die abdominale Adipositas die ­Disproportion kaschiert.

Eine koinzidente Adipositas kann die Beschwerden einer LiDo verschlechtern und steht im Verdacht, die Ursache für das komorbide sekundäre Lymphödem und die dazugehörenden Sekundärveränderungen zu sein.

Auch wirken Inflammation, Insulinresistenz und eine vermehrte, z. T. Insulin-­getriggerte Estradiolbildung im Fettgewebe bei Lipohyperplasia dolorosa morbiditätsbeschleunigend. Deshalb sind eine antiinflammatorische und gewichtsreduzierende Ernährung und Sport aus hormoneller und lymphologischer Sicht in der Therapie sinnvoll.  

Bei LiDo-Patientinnen besteht trotz eines mittleren BMI von 35 kg/m² eine Risiko­reduktion für das metabolische Syndrom, speziell für Typ-2-Diabetes und Hypertonie [20,46]. Einen Hinweis darauf geben auch Laboruntersuchungen, die zeigten, dass die Insulinresistenz in einem Kollektiv adipöser LiDo-Patientinnen trotz eines höheren Durchschnittsgewichts weniger ausgeprägt war als in einem Vergleichskollektiv adipöser Patientinnen ohne LiDo. Dieser Unterschied verlor sich jedoch mit zunehmender abdominaler Adipositas [47].

Wichtig zu beachten ist: Es gibt adipöse Frauen ohne LiDo ebenso wie es schlanke LiDo-Patientinnen gibt.

FAZIT
Die genetisch bedingte Lipohyperplasia dolorosa (LiDo) ist eine lymphologische Erkrankung mit den zwei Hauptmerkmalen „Fettverteilungsstörung an den Extremitäten“ und „Schmerz“. Ein passageres orthostatisches Ödem der Beine kann gelegentlich hinzukommen, ist aber kein Diagnosekriterium. Eine Adipositas kann koinzident vorhanden sein, muss aber von der LiDo klar unterschieden werden. Die Diagnose wird klinisch durch Inspektion aus Distanz und Nähe sowie die Palpation definierter Körperstellen gestellt. Therapeutisch kommt neben den oft nur unzureichenden konservativen Maßnahmen die lymphgefäßschonende Liposuktion erfolgreich zum Einsatz.

Der Autor

Prof. Dr. med. Manuel Cornely
Facharzt für Dermatologie und Venerologie
Medical Director LY.SEARCH GmbH, Köln

post@lysearch.de

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Bildnachweis: undefined undefined (gettyimages)

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