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Dermatologie

Androgenetische Alopezie

Haarausfall-Therapie jenseits des Standards

Angelika Ramm-Fischer

10.5.2023

Die androgenetische Alopezie ist mit weitem Abstand die häufigste Form des Haarausfalls. Den meisten Betroffenen kann mit einer Standardtherapie geholfen werden. Doch bei manchen Konstellationen ist spezielles Know-how erforderlich – so bei Transgender-Personen oder pubertierenden Jungen mit frühem Haarausfall.

Die körperlichen und psychischen Veränderungen in der Pubertät machen allen Teenagern zu schaffen. Das wird noch erschwert, wenn sich bereits in diesem Alter bei Jungen der familiär bedingte androgenetische Haarausfall bemerkbar macht. Die Kombination aus Pickeln und beginnender Glatze kann das Selbstwertgefühl und die psychosoziale Entwicklung erheblich beeinträchtigen.

Mittel der Wahl bei Männern mit androgenetischer Alopezie (AGA) ist der 5α-Reduktasehemmer Fina­sterid (1 mg/Tag). Er blockiert die 5α-Reduktase und verhindert so die Umwandlung von Testosteron in Dihydrotestosteron (DHT). Die Rezeptoren der Haarfollikel, die empfindlich auf DHT reagieren, werden somit weniger alteriert und die Anagenphase der Haare verlängert (Abb. 1).

AGA bei männlichen Teenagern
DHT für Peniswachstum wichtig

Doch bei Tennies heißt es aufgepasst! Für diese Altersgruppe ist Finasterid keineswegs das Standardmedikament, warnte Dr. med. Pierre de Viragh (Zürich). Wie der Haarspezialist auf dem diesjährigen Swiss Derma Day erläuterte, steht die Hemmung des DHT nämlich dem Virilisierungsprozess entgegen.

Zwar leistet Testosteron den Hauptbeitrag, indem es Stimmbruch, Hodenabstieg, männliche Behaarung und Zunahme der Muskelmasse steuert. Für das Peniswachstum ist jedoch das DHT zuständig. Auch wenn der Penis in der Regel schon etwa ab einem Alter von 8 Jahren wächst, ist das Wachstum doch erst mit etwa 16–17 Jahren abgeschlossen. Vor diesem Alter sollte eine Finasterid-Therapie daher nicht erwogen werden, auch wenn bei einigen Knaben der Haarausfall schon mit 14 Jahren deutlich wird. Denn ein Mikropenis würde die jungen Männer sicher lebenslang mehr belasten als eine Glatze.

Vor Finasterid-Anwendung Penisgröße anschauen

De Viragh empfiehlt vor einer Finasterid-Therapie bei Teenagern mit durchaus männlichem Habitus sich auch beim Genitale anzuschauen, ob das Wachstum altersgerecht ist, und den Hormonstatus abzuklären.

Wenn eine Finasterid-Therapie erfolgt, sollte auch gelegentlich daraufhin kontrolliert werden, ob sich eine Gynäkomastie entwickelt. Denn durch den 5α-Reduktasehemmer wird mehr Testosteron in Estrogen umgewandelt, was bekanntlich das Brustwachstum fördert.

Topisches Finasterid nicht geeignet

Könnte topisches Finasterid bei jüngeren Knaben mit Haarausfall eine Option sein? Immerhin ist ein solches Produkt bereits 2021 zugelassen worden und bereits auf dem deutschen Markt erhältlich, wie de Viragh berichtete. Doch auch die topische Galenik, die vermutlich bei der Compliance problematisch sein dürfte, ist seiner Meinung nach für diese Altersgruppe nicht geeignet. Zwar wird DHT im Serum durch die topische Anwendung weniger stark gehemmt als bei der systemischen (35 % vs. 56 %), doch ist dies in der sensiblen Entwicklungsphase möglicherweise immer noch zu viel für ein regelrechtes Peniswachstum.

Minoxidil als Alternative

Für Jungs unter 16 Jahren mit AGA könnte Minoxidil eine Therapieoption sein. Allerdings wird in der Literatur vor kardialen Nebenwirkungen wie Arrhythmien gewarnt. Dagegen spricht eine Publikation, in der über einen Herstellungsfehler bei einem Apotheker berichtet wird: Hier wurde Minoxidil statt eines Protonenpumpenblockers in eine Magistralrezeptur zur oralen Anwendung bei Kindern gemischt. Trotz des systemischen hoch dosierten Minoxidils kam es bei den etwa 20 Kindern mit dieser „Vergiftung“ zu keinen gravierenden Nebenwirkungen. De Viragh meint daher, dass bei der Behandlung von Kindern mit topischem 2%igem Minoxidil  zwar Vorsicht geboten sei, sie aber dennoch mit etwas geringerer Dosierung (z. B. 4 statt 6 Pumpstöße) angewendet werden könne.  

Frauen mit AGA
Hormonstatus beachten

Auch wenn sich die Glatze hauptsächlich bei Männern einstellt, leiden auch viele Frauen – vor allem ab den Wechseljahren – unter einem sich lichtenden Scheitel. Ursache dafür ist die relative Zunahme von Androgenen bei reduzierten Estrogenspiegeln. Abhilfe kann hier eine Hormonersatztherapie (HRT) schaffen, die üblicherweise durch den Gynäkologen gesteuert wird. Kommt eine HRT nicht infrage, liegt der (Therapie-)Ball wieder beim Hautarzt. Mittel der Wahl ist hier topisches Minoxidil, das als Lösung und als Schaumzubereitung zur Verfügung steht.

Jedoch sollte die Verordnung von topischem Minoxidil bei Frauen mit AGA kein Automatismus sein, so de Viragh. Zumindest sollte bedacht werden, dass die Verordnung in der Regel eine lebenslange Therapie bedeutet. Bei einem Kinderwunsch muss die Therapie jedoch gestoppt werden, da es Berichte über Missbildungen unter topischem Minoxidil in der Schwangerschaft gibt.

Zudem birgt die topische Zubereitung, wie die meisten Externa, das Risiko für eine Kontaktallergie. Diese Sensibilisierung geht bei der flüssigen Zubereitung vor allem auf das Konto des Lösungsmittels Propylenglykol. Aber auch Minoxidil selbst kann Kontaktekzeme auslösen.

Falls dieser Fall eintritt, kann immer noch mit Minoxidil per os das Haarwachstum verbessert werden. Allergien auf systemisches Minoxidil, das als Blutdrucksenker zum Einsatz kommt, wurden nämlich bisher nicht beobachtet, sagte de Viragh.

Perorales Minoxidil ist ebenfalls eine Option, wenn das topische Präparat versagt. Ursache hierfür ist, dass meist zu wenige Sulfotransferasen in der Haut vorhanden sind, die das Prodrug Minoxidil in das wirksame Agens Minoxidil-Sulfat spalten. Wird ­Minoxidil allerdings systemisch zugeführt, wandeln die Sulfotransferasen es in der Leber in die Wirksubstanz um.

Vorsicht bei Low-dose-Minoxidil  

Die orale Low-dose-Minoxidil-Therapie bei AGA ist allerdings off-label und sollte nur bei kardial gesunden Frauen angesetzt werden. Minoxidil als Blutdrucksenker birgt Risiken, die sich mit zunehmender Therapiedauer steigern: So stellen sich bei Frauen mit einer Dosierung von über 1,25 mg/Tag zunächst Rhythmusstörungen, dann Schwindel und Kopfschmerzen ein – Ödeme können auch erst ein Jahr nach Therapiebeginn auftreten (Abb. 2).

De Viragh empfiehlt daher, zunächst sehr niedrig mit 0,625 mg Minoxidil zu beginnen. Die Einnahme sollte abends erfolgen, da es etwa drei Stunden nach Einnahme zum Blutdruckabfall kommt. Sollte es ­nötig sein, kann nach frühestens drei Monaten langsam auf 1,25 mg/Tag gesteigert werden. Da es sich bei der AGA-Therapie mit Minoxidil immer um eine langfristige – wenn nicht gar lebenslange – Anwendung handelt, sollte auch auf Erkrankungen geachtet werden, die sich erst im Laufe des Lebens einstellen (z. B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen) – schließlich bleibt kaum jemand lebenslang kardial gesund. Vor allem ist mit zunehmender Multimorbidität auf Wechselwirkungen mit den dann erforderlichen Medikamenten zu achten.

AGA bei Transgender-Personen

Die Zahl der Transgender-Personen hat sich in den vergangenen 50 Jahren verzwanzigfacht und sie machen heute zwischen 0,002 % und 0,2 % der Bevölkerung  aus – Tendenz steigend. Auch Transsexuelle leiden häufig unter dem androgenetischen Haarausfall – sowohl die Male-to-female-XY-Transsexuellen (Transfrauen), bei denen in über 60 % der Fälle eine AGA-Diagnose vorliegt, als auch die Female-to-male-XX-Transmänner mit über 40 %, vor allem bei Beginn der Testosteron-Therapie. Die Behandlung erfolgt im Prinzip wie bei den Cis-­Geschlechtern. Doch gibt es hier einige Besonderheiten zu beachten.

Transmänner: erst Minoxidil, dann Finasterid

Wie de Viragh berichtete, werden Transmänner im Prinzip wie XY-Männer behandelt. Übliches Standardmedikament für Männer mit AGA ist Finasterid 1 mg/Tag per os. Da DHT jedoch hormonaktiv ist, könnte der 5α-Reduktasehemmer in den Hormonhaushalt und damit bei den Transmännern in den Virilisierungsprozess eingreifen. De Viragh rät deshalb dazu, in den ersten zwei Jahren bis zur Geschlechtsangleichung (Gonadektomie + Hormontherapie) zunächst nur Minoxidil einzusetzen. Nach abgeschlossener Geschlechtsangleichung ist der 5α-Reduktasehemmer dann geeigneter, da er Testosteron steigen lässt, aber das DHT senkt.

Transfrauen: Auf die Estrogene kommt es an

Die AGA-Behandlung bei Transfrauen richtet sich ebenfalls nach der bei XX-Frauen. Die Therapie ­findet eigentlich schon durch die antiandrogene Grundtherapie und durch die Estrogensubstitution statt. Ist das Testosteron auf ein sehr tiefes Niveau gesunken und hat die Orchiektomie stattgefunden, können die antiandrogene Therapie sistiert und nur noch Estrogene zugeführt werden. Wie de Viragh betonte, liegt die Aufgabe des Hautarztes bei AGA von Transfrauen darin, dermato-trichologische Manifestationen einer inkongruenten Hormonlage zu erkennen, in Zusammenarbeit mit dem Gynäkologen auf die nicht dermatologischen Konsequenzen hinzuweisen und Korrekturen zu empfehlen.

Zusatztherapie mit Minoxidil

Manchmal genügt jedoch die Behandlung über die Hormonschiene nicht. Vor allem, wenn die Personen ihre Geschlechtsumwandlung erst erhalten, wenn sich bereits die Geheimratsecken und der lichte Scheitel ausgedehnt haben. Hier kann Minoxidil als Zusatztherapie zum Einsatz kommen. Allerdings ist bei der Dosierung Vorsicht geboten, da es unter Minoxidil (sowohl topisch als auch off-label als perorales Low-dose-Präparat) zu Hypertrichose (Bartwuchs!) kommen kann. Gegebenenfalls muss das Medikament abgesetzt werden – dann fallen die Haare wieder aus.

Wechseljahre bei Transfrauen

Doch was ist zu tun, wenn Transfrauen in die (Wechsel-)Jahre kommen? Grundsätzlich sollte bei der Behandlung von Transsexuellen angestrebt werden, die Cis-Hormonlage altersgerecht abzubilden, so de Viragh. Das bedeutet, dass mit den Wechseljahren die Estrogenzufuhr reduziert, aber keinesfalls auf null heruntergefahren wird. Schließlich haben auch XX-Frauen im Alter noch nachweisbare, wenn auch geringe Estrogenspiegel. Und die anabole Wirkung der Estrogene ist im Alter nicht nur wegen der Haare, sondern z. B. auch als Osteoporose-Prophylaxe wichtig. Auch hier sollte eine enge Zusammenarbeit mit dem Frauenarzt erfolgen.

Vortrag „Androgenetische Alopezie für Fortgeschrittene:
dos and dont’s“ von Dr. Pierre de Viragh (Zürich) auf dem „Swiss Derma Day and STI reviews and updates“ (Veranstalter: Klinik für Dermatologie und Venerologie in Bern), Luzern, Januar 2023

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