Gerade Erwachsene mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) erhalten häufig nicht die richtige Diagnose. Das gleichzeitige Auftreten einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) kann dazu beitragen. Dies stellt eine nicht ungefährliche Kombination dar, die gezielt behandelt werden sollte.
Dass Chaos, Stimmungsschwankungen, Impulsivität, Suchterkrankungen etc. auf eine adulte ADHS hinweisen können, ist hierzulande noch wenig bekannt. Diese für eine Persönlichkeitsstörung sprechenden Symptome richtig einzuordnen, fällt zudem schwer, weil etwa BPS häufiger als Komorbidität auftritt.
Beide Erkrankungen zeigen nach Ansicht von PD Dr. med. Marc-Andreas Edel (Gevelsberg) zahlreiche Gemeinsamkeiten. So stellen sie häufige psychische Störungen dar – etwa 5 % der Bevölkerung haben ADHS, BPS 1–2 % (bei BPS 10 % im ambulanten, 20 % im stationären Bereich) und Komorbitäten sind bei ihnen nicht ungewöhnlich (30–60 % ADHS bei BPS). Zudem bestehen in rund 60 % der Fälle sowohl „formalgenetische“ Überschneidungen als auch ähnliche Symptome. Im Jugendalter haben diese Störungen offenbar ihre Ursache häufig in aversiven oder traumatischen Erfahrungen der Kindheit, sodass offensichtlich im Krankheitsbild Gen-Umwelt-Interaktionen, also epigenetische Auswirkungen, auftreten können.
Dennoch zeigen sich auch Unterschiede: ADHS ist eine neurobiologisch verankerte frühkindliche Entwicklungsstörung, die in 70–80 % der Fälle erblich sowie durch nicht reaktive, „kalte“ Impulsivität gekennzeichnet ist (> Neurologie). Häufig „verwächst“ sich die Erkrankung im Erwachsenenalter nicht, sondern zeigt sich später mit veränderten Symptomen. BPS trägt Züge einer abweichenden Persönlichkeitsentwicklung, ist nur knapp zur Hälfte hereditär bedingt und taucht erst in der Adoleszenz mit „heißen“ emotional überschießenden, reaktiven Symptomen auf. ADHS ist laut Edel handlungsbezogen und kann nur schwer unterbrochen werden, wogegen bei BPS Kontextfaktoren nicht genutzt werden können – die Reaktionen geschehen gleichsam „blind vor Wut“.
Nach dem angenommenen pathogenetischen Modell liegt die Wurzel beider Störungen in der Kombination von Kandidaten- oder Suszeptibilitätsgenen, beeinflusst durch epigenetische Umweltfaktoren. Für ADHS ist eine gestuft-kombinierte Behandlung aus Psycho- und Pharmakotherapie indiziert, für BPS allein die Psychotherapie. Komorbitäten, häufig Depression sowie Angst- und Schlafstörungen, werden medikamentös adressiert.
PD Dr. rer. nat. Mona Abdel-Hamid (Göttingen) empfahl bei ADHS ein multimodales Konzept aus Gespräch, Ergotherapie und Medikation. Allein durch Psychotherapie lasse sich häufig schon nach vier bis sechs Wochen die Selbstwahrnehmung der Patienten im Sinne erhöhter Achtsamkeit mithilfe klassischer Verhaltenstherapie anheben.
Suizidgefahr besteht nach Darstellung von PD Dr. med. Daniel Alvarez-Fischer (Lübeck) bei ADHS nicht, sondern eher bei Depressionen. Die Differenzialdiagnose von ADHS und Depression sei auch hier wegen der Symptomüberschneidungen mitunter schwierig. Treten sie komorbid auf, sollte der Schweregrad der Symptome als Maßstab der vorrangigen Therapie gelten.
Symposium „Adulte ADHS: Wege aus dem Chaos“ (Veranstalter: Medice Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG), November 2022