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Allgemeinmedizin

Adipositas

Erhöhtes Risiko für Morbidität und Mortalität

Prof. Dr. med. Alfred Wirth

30.3.2022

Je mehr Körpergewicht ein Mensch auf die Waage bringt, desto höher ist sein Mortalitätsrisiko. Mit Komorbiditäten nimmt die Übersterblichkeit noch drastischer zu. Wie bereits bekannt, nimmt auch das Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf zu. Die Wahrscheinlichkeit einer Hospitalisation ist dementsprechend auch höher.

Seit den 1950er-Jahren ist wissenschaftlich belegt, dass die Krankheit Adipositas mit einem erhöhten Sterblichkeitsrisiko einhergeht. Die Übersterblichkeit ist jedoch nicht das gesundheitliche Hauptproblem, sondern die Morbidität aufgrund von Folgekrankheiten, die nicht nur die Sterblichkeitswahrscheinlichkeit steigern, sondern die Lebensqualität vermindern (z. B. Gonarthrose), die Befindlichkeit beeinträchtigen (z. B. Hirsutismus) und eine Stigmatisierung bedingen. All diese Faktoren zeigen sich in häufigen Krankschreibungen und Behinderungen sowie in vorzeitiger Berentung.

Beurteilt man Adipositas mit dem Body-Mass-Index (BMI), ist das Mortalitätsrisiko ab 32 kg/m2 gesteigert, bei 35 kg/m2 um ca. 50 % erhöht und bei 40 kg/m2 verdoppelt. Das Risiko ist weitgehend unabhängig von Alter und Geschlecht. Nimmt man andere Kenngrößen für die Adipositas wie den Taillenumfang oder die Körperfettmasse, ist das Risiko für vorzeitiges Sterben höher.

Risikofaktoren

Die Mortalität wird durch Faktoren im Fettgewebe, welches eine Reihe von Substanzen mit pathogener Potenz sezerniert, getriggert: Hormone (z. B. Estrogene, Cortisol, Angiotensinogen), Entzündungsparameter (z. B. Tumor-Nekrose Faktor-α, Interleukin-6), Fettsäuren, Plasminogen-Aktivator-Inhibitor Typ 1, Enzyme und andere Produkte. Diese Faktoren begünstigen auch die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes mellitus, einer Hypertonie, einer Dyslipidämie, einer Fettleber und von verschiedenen Tumoren. Besteht eine Koexi­stenz von diesen Krankheiten mit Adipositas, ist das Mortalitätsrisiko erheblich höher als bei alleiniger Adipositas.

Bereits im Frühjahr 2020 zeigte sich, dass die Adipositas ein Risikofaktor für eine Corona-Infektion ist: Adipöse Personen wurden etwa doppelt so häufig wie normalgewichtige Personen hospitalisiert, intensivmedizinisch betreut und beatmet. Es wundert daher auch nicht, dass die Sterblichkeit erhöht war. In einer großen Metaanalyse mit 17 Studien nahm die Sterblichkeit mit steigendem BMI von Grad I bis III um 27 %, 56 % und 92 % zu.

Wie kann man sich den Zusammenhang von Adipositas und Übersterblichkeit bei COVID-19-Infektion erklären? Komorbiditäten wie Diabetes mellitus, Hypertonie und kardiovaskuläre Erkrankungen erhöhen das Mortalitätsrisiko bei bestehender Adipositas erheblich. Besonders bedeutsam ist die Funktionseinschränkung der Lunge bei Adipösen aufgrund einer verminderten Lungenkompliance und Vitalkapazität (viszerale Fettmasse) mit Verteilungsstörung der Perfusion in liegender Position. Es werden höhere Beatmungsdrucke benötigt. Die oben erwähnten vom Fettgewebe freigesetzten Entzündungsparameter beeinträchtigen die Immunfunktion. Das Angiotensin-Converting-Enzym ist eine „Eintrittspforte“ für Corona-Viren. Hinzu kommt, dass die intensivmedizinische Betreuung von adipösen Patienten eine ­Herausforderung in mehrfacher Hinsicht darstellt und nicht immer optimal gelingt.

Adipositas-Paradoxon

Unter „Adipositas-Paradoxon“ versteht man, dass Adipositas zwar prospektiv mit Folgekrankheiten und einer gesteigerten Mortalität einhergeht. Die Mortalität ist jedoch bei Koexistenz von Adipositas und bestimmten Krankheiten verringert. Nachgewiesen wurde das bei Herzinsuffizienz, koronarer Herzkrankheit, Schlaganfall, Diabetes mellitus Typ 2, Nierenkrankheiten u. a. Physiologisch erklären kann man das Phänomen nur unzureichend. Vorstellbar ist, dass bei chronischen Krankheiten die vermehrte Fettmasse eine bessere Energieversorgung gewährleistet. Die bisherigen Studien werden häufig kritisiert, da wichtige Parameter für die Mortalität nicht verlässlich berücksichtigt worden sind, wie Alter (in Kollektiven sind Adipöse jünger wegen erhöhter Sterblichkeit), Muskelmasse, körperliche Aktivität usw. Es werden prospektive Studien benötigt, um Klarheit zu dieser Sachlage zu erhalten.

Wichtig ist das Phänomen hinsichtlich einer therapeutisch induzierten Gewichtsabnahme. Bisher konnte jedoch noch nicht gezeigt werden, dass eine Gewichtsreduktion bei Koexistenz der erwähnten Krankheiten das Sterblichkeitsrisiko erhöht. Es fehlen jedoch genügend belastbare prospektive Studienergebnisse.

FAZIT: Je höher das Körpergewicht eines Patienten ist, desto größer ist das Sterblichkeitsrisiko. Sind zudem noch Begleitkrankheiten der Adipositas vorhanden, nimmt die Übersterblichkeit noch weiter zu. Adipöse Personen sterben im Mittel vorzeitig, weil das Fettgewebe pathogene Substanzen sezerniert: inflammatorische Produkte, Hormone, Enzyme, Stoffwechselprodukte. Zudem sind sie anfälliger für eine COVID-19-Infektion, das betrifft die Hospitalisation und die intensivmedizinische Betreuung. Personen über 65 Jahre sind besonders betroffen.

Das „Adipositas-Paradoxon“ ist möglicher­weise real. Solange verlässliche Daten fehlen, sollten adipöse Patienten auch mit Begleitkrankheiten Gewicht abnehmen.

Der Autor

Prof. Dr. med. Alfred Wirth
Past-Präsident der Deutschen
Adipositas-Gesellschaft e. V.

82152 Martinsried

Literatur beim Autor
Bildnachweis: privat

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